Wahlen in Russland "Sie lassen uns keine Wahl"

Moskau (RPO). Russland geht zur Wahl. Die Stimmberechtigten sehen sich schweren Repressalien ausgesetzt. Angestellte müssen ihr Kreuz im Dabeisein des Chefs machen. "Die Unregelmäßigkeiten haben schon begonnen", sagen Wahlbeobachter. Ihnen wird an vielen Orten der Zugang verwehrt. "Das ist schrecklich, sie lassen uns keine Wahl", klagt eine 25-jährige Lehrerin.

Wählen in Russland
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Sie habe ihren Stimmzettel in einer Kabine auf dem Schulgelände ausfüllen müssen, sagte sie, die in Moskau in einer Schule angestellt ist. Aus Angst um ihren Arbeitsplatz sagt sie nur ihren Vornamen: Sofia .

Andere berichteten, sie hätten im Beisein ihrer Vorgesetzten wählen müssen, um eine hohe Wahlbeteiligung und Stimmen für Medwedew zu garantieren. Die Wahlbeobachtergruppe Golos berichtete von ähnlichen Vorkommnissen.

Der Wahlgang wurde Menschenrechtsgruppen zufolge von den Behörden erheblich manipuliert. Obwohl insgesamt vier Kandidaten für das höchste Amt im Kreml antraten, galt der Sieg Medwedew bereits seit Wochen als ausgemachte Sache. Die Spannung verschob sich dadurch auf die Wahlbeteiligung, die Behördenvertreter und Firmenchefs mit Versprechungen und Druck zu erhöhen versuchten. Beobachter erwarten, dass Putin, der nach zwei Mandaten nicht mehr antreten durfte, zukünftig als Ministerpräsident die Geschicke seines Landes bestimmen wird.

Unregelmäßigkeiten

"Die Unregelmäßigkeiten haben schon begonnen", sagt Lilija Schibanowa, Direktorin der bedeutendsten russischen Wahlbeobachtergruppe Golos (Stimme). An vielen Wahllokalen sei den Golos-Beobachtern der Zugang verwehrt worden, besonders massiv in der südlichen Region Astrachan, sagte Schibanowa. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die 25 Beobachter in das riesige Land entsandt hatte, sprach in einer im Vorfeld veröffentlichten Stellungnahme von einer Wahl, "die nicht als fair betrachtet werden kann".

Die Kommunistische Partei, deren Kandidat Gennadi Sjuganow von den drei Konkurrenten Medwedews die meisten Stimmen erwarten konnte, beklagte, in Wladiwostok hätten Firmenchefs ihre Angestellten zur Stimmabgabe gezwungen.

Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatten ihre Teilnahme bereits im Vorfeld abgesagt, weil sie sich von den russischen Behörden massiv behindert fühlten. In einem gemeinsamen Bericht mit der Anti-Korruptions-Gruppe Transparency International kritisierte die OSZE, der Kreml habe regionale Behörden unter Druck gesetzt, um eine hohe Wahlbeteiligung zu erzielen, und den Staatsapparat für Medwedews Wahlkampf missbraucht.

Mindestens 60 Prozent

Medwedew zeigte sich bei seiner Stimmabgabe in einem Wahllokal nahe der Moskauer Staatsuniversität gutgelaunt. "Ich bin in guter Stimmung. Der Frühling ist gekommen", sagte der Erste Stellvertretende Ministerpräsident. Während es in der Nacht in der russischen Hauptstadt noch geschneit hatte, wandelte sich der Niederschlag am Tage in Regen. Auch Präsident Putin freute sich über die milderen Temperaturen und nannte den Regen bei seiner Stimmabgabe "ein gutes Omen".

Umfragen zufolge konnte Medwedew gleich im ersten Wahlgang mit mindestens 60 Prozent der Stimmen rechnen, eine Stichwahl wäre damit nicht notwendig. Neben dem Kommunisten Sjuganow kandidierten auch der Rechtsnationalist Wladimir Schirinoswki und der weitgehend unbekannte Andrej Bogdanow.

Putin erfreut sich in Russland großer Beliebtheit. Durch einen beispiellosen Anstieg der Öl- und Gaspreise hat er in den acht Jahren seiner Amtszeit die Staatsfinanzen konsolidiert, die Streitkräfte wieder erstarken lassen und in der Außenpolitik neues Selbstbewusstsein gezeigt. Seine Kritiker werfen ihm vor, die Medien gleichgeschaltet, das Parlament entmachtet und unliebsame politische Gegner kaltgestellt zu haben.

Wahlbeteiligung

Wichtig für die Kremlführung war am Sonntag die Wahlbeteiligung, die Putins Nachfolger eine möglichste große Legitimität verschaffen soll. In den Unruherepubliken des Kaukasus deutete sich eine ähnlich hohe Beteiligung wie bei den Parlamentswahlen am 2. Dezember an, als in Inguschetien und Tschetschenien jeweils 98 und 99 Prozent des Wahlvolkes zu den Urnen gingen. In Tschetschenien führte Russland seit 1994 zwei verlustreiche Kriege, um eine Unabhängigkeitsbewegung zu unterdrücken.

Die letzten Wahllokale sollten am Sonntagabend um 19 Uhr (MEZ) in Kaliningrad schließen, erste Prognosen wurden kurz darauf erwartet. Das vorläufige Endergebnis sollte Montagmorgen festehen.

(ap)
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