Kampf gegen IS-Miliz im Irak Sigmar Gabriel: Bei Völkermord nicht tatenlos zusehen

Berlin/Bagdad · In den Koalitionsparteien wächst die Offenheit für Waffenlieferungen in den Nordirak. "Wir können nicht zusehen, wie bis an die Zähne bewaffnete Fanatiker tausende unschuldige Menschen umbringen und deren Verteidiger keine wirksamen Mittel zum Schutz haben", sagte Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in einem Interview.

Das ist Sigmar Gabriel
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Es sei ein "Dilemma", aber "am Ende dürfen wir bei einem Völkermord vor unseren Augen nicht tatenlos zuschauen", fügte der SPD-Chef im Gespräch mit dem "Spiegel" hinzu. CDU-Vizechefin Julia Klöckner sagte dem "Spiegel", wer Waffenlieferungen grundsätzlich ausschließe, werde "beim Kirchentag zwar mit viel Applaus bedacht", als Politiker könne man "aber nicht nur auf den Applaus und den ruhigen Schlaf schielen". "Verantwortung heißt auch Abwägen, das Schlimmere verhindern."

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagte: "Die Frage der deutschen Verantwortung in der Welt ist keine abstrakte Diskussion mehr." Im Extremfall sollten auch Schutzausrüstung, Defensiv- und Abwehrwaffen geliefert werden, etwa die leicht bedienbare Panzerabwehrrakete "Milan", so Schmidt im "Spiegel". "Sich zurücklehnen und hinterher die Toten zählen — das ist keine Option."

Der frühere Außenminister Joschka Fischer sprach sich ausdrücklich für deutsche Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak aus. Eine Terrororganisation wie der Islamische Staat (IS), die Menschen grausam ermorde und Frauen unterdrücke, "kann man weder mit Gebetskreisen noch mit Spruchbändern stoppen", sagte Fischer der "Bild am Sonntag". "Wir sollten den Kurden vielmehr Waffen liefern, denn wir sind zur Hilfe verpflichtet." Der Grünen-Politiker ergänzte: "Ein islamistischer IS-Staat würde auch unsere Sicherheit hier gefährden."

Soll Deutschland Waffen in den Irak liefern?
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Foto: dpa, aj lb wst

Steinmeier: Bis an die Grenze des Möglichen gehen

Die kurdische Regionalregierung hat dem Magazin zufolge bereits konkrete Vorstellungen von ihrem Bedarf an Waffenlieferungen durch Deutschland. "Wir brauchen so schnell wie möglich moderne Sturmgewehre wie das deutsche G36 und panzerbrechende Waffen", sagte Oberst Hasar Ismail, Berater des kurdischen Peschmerga-Ministers Mistafa Kadir, dem "Spiegel". Die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) habe hunderte gepanzerte "Humvee"-Fahrzeuge der irakischen Armee erbeutet. Ohne die schnelle Lieferung panzerbrechender Waffen hätten seine Kämpfer gegen diese Fahrzeuge "keine Chance".

Die Bundesregierung würde indes nach "Spiegel"-Informationen eine internationale Mission im Nordirak begrüßen. Bedingung sei ein entsprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrates, berichtete das Magazin unter Berufung auf Regierungskreise.

Irak: Zehntausende Jesiden auf der Flucht
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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte nach Gesprächen im Irak am Samstag zur Frage der Waffenlieferungen in das Krisengebiet gesagt, es gebe "keine risikofreien Entscheidungen". Deutschland müsse bei seiner Unterstützung "bis an die Grenze des rechtlich und politisch Möglichen gehen", sagte er in den ARD-"Tagesthemen". Langfristig werde der Kampf gegen den IS aber nur durch eine politische Lösung zu lösen sein.

Steinmeier sprach sich aber gegen einen selbstständigen Kurden-Staat im Nord-Irak aus. "Ein unabhängiger Staat der Kurden würde die Region weiter destabilisieren und neue Spannungen hervorrufen, möglicherweise auch mit Nachbarstaaten des Irak", sagte er der "Bild am Sonntag". Er setze daher auf eine Stabilisierung des Landes und hoffe, dass die staatliche Einheit des Irak erhalten bleibe.

Steinmeier hatte sich am Samstag in der irakischen Hauptstadt Bagdad und in der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion, Erbil, ein Bild von der Lage gemacht und in Gesprächen mit Regierungsvertretern den Bedarf an deutscher Unterstützung ausgelotet.

Das brutale Vorgehen der Dschihadisten gegen Zivilisten im Nordirak hat international die Forderung nach Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga-Milizen lauter werden lassen. Frankreich hatte als erstes EU-Land angekündigt, den Kampf der Kurden gegen IS mit Waffen zu unterstützen. Die EU-Außenminister befürworteten am Freitag Waffenlieferungen in den Nordirak.

Bundewehr hat 36 Tonnen Hilfsgüter geliefert

Die ersten deutschen Hilfslieferungen in den Nordirak sind am frühen Sonntagmorgen abgeschlossen worden. "Es ist alles da", sagte der Kommandoführer der Bundeswehr, Roman Lau, am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur dpa im türkischen Incirlik.
Insgesamt brachte die Bundeswehr 36 Tonnen an Lebensmitteln und Sanitätsmaterial zum Flughafen in Erbil im nordirakischen Kurdengebiet. Dorthin hatten sich Zehntausende Jesiden, Christen und andere Vertriebene gerettet, die vor der Terrormiliz Islamischer Staat geflüchtet waren.

Am Sonntagmorgen um 7.15 Uhr Ortszeit kehrte das letzte Transall-Transportflugzeug der Bundeswehr aus dem Irak nach Incirlik zurück. "Es hat während der Flüge keine signifikanten Zwischenfälle gegeben", sagte Lau. Die insgesamt fünf Transall der Bundeswehr sollten die US-Airbase in Incirlik noch im Laufe des Sonntags wieder verlassen und nach Deutschland zurückfliegen. Die Hilfsflieger waren am Freitagmorgen vom schleswig-holsteinischen Hohn aus gestartet.

IS-Miliz tötet in Syrien offenbar 700 Mitglieder eines Stammes

Derweil haben Extremisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien nach Angaben einer oppositionsnahen Gruppe in den vergangenen zwei Wochen rund 700 Mitglieder eines Stammes getötet. Diese kamen alle aus der östlichen Provinz Dair as-Saur, wie die syrischen Menschenrechtsbeobachter am Samstag mitteilten. Was mit weiteren Hunderten Mitgliedern des Stammes Al-Schuaytat geschah, sei unklar.

Die militanten Islamisten hatten zu Beginn des Monats mehrere von dem Stamm bewohnte Dörfer in der ölreichen und strategisch wichtigen Provinz überrannt. Dessen Mitglieder sind aus IS-Sicht "Ungläubige", weil sie sich weigerten, nach den Regeln der Terrormiliz zu leben.

(DEU/dpa)
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