Spanien wählt Die neue Unübersichtlichkeit

Madrid · Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy erwägt angesichts des drohenden Mehrheitsverlustes bei der Parlamentswahl am Sonntag Bündnisse mit anderen Konservativen. Eine linke Regierung will er verhindern. Die Lage ist unübersichtlich.

 Mariano Rajoy auf einer Wahlkampfveranstaltung.

Mariano Rajoy auf einer Wahlkampfveranstaltung.

Foto: afp, CM/raf

Mariano Rajoy fällt es sichtlich schwer in diesen Tagen, seine Anhänger zu begeistern. Nur 5000 Menschen fasst die Stierkampfarena des Madrider Vororts Las Rozas am Fuße der Berge der Sierra de Guadarama. Trotzdem wird sie nicht richtig voll. Rajoy spricht von harten Maßnahmen, Kürzungen und Reformen, die er vor vier Jahren ergreifen musste. "Aber sie ermöglichen uns heute Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Spanien geht es besser", ruft er in die Menge.

Die wirtschaftliche Erholung ist das Pfund, mit dem er im Wahlkampf wuchern kann. Eine Millionen Arbeitsplätze habe er in den letzten vier Jahren geschaffen, aber vor allem, er habe großen Schaden von Spanien abgewendet. Damit hat er ohne jeden Zweifel Recht. Als 2011 Rajoy die Sozialisten an der Regierung ablöste, übernahm er ein Land am Rande des Abgrunds. Mehr als 1000 Menschen verloren täglich ihren Job, das Haushaltsdefizit explodierte, überstieg die Marke von neun Prozent. Die Zinsen für Staatsanleihen wuchsen auf Rekordhöhe, machten eine Refinanzierung ablaufender Kredite fast unmöglich. In dieser Situation drohte auch noch der Bankensektor zusammenzubrechen. Die Zahlungsunfähigkeit Spaniens schien nicht mehr ausgeschlossen. Es wäre auch das Ende des Euro geworden.

Diese Katastrophe scheint heute weit weg, die Banken saniert, die Zinsen niedrig, und doch danken es die Spanier Rajoy kaum. Seine Volkspartei wird die Wahlen gewinnen, aber keine Umfrage sieht die Konservativen bei mehr als 29 Prozent, weit entfernt von den fast 45 Prozent von 2011 und damit auch von der absoluten Mehrheit. Die Botschaft von der wirtschaftlichen Erholung ist für viele Spanier unglaubwürdig. Die Arbeitslosenquote liegt immer noch bei über 21 Prozent. Sie ist zwar um vier Punkte gesunken, doch vor allem dank der vielen Teilzeitverträge.

Rechnet man die Unterbeschäftigten hinzu — also die Menschen, die eigentlich Vollzeit arbeiten wollen — wäre in Spanien fast jeder Dritte auf der Suche nach Arbeit, klagt sogar die wirtschaftsnahe Stiftung Fedea. Die unteren Einkommen sind demzufolge um ein Viertel zurückgegangen, während die Topverdiener keine Einbußen hinnehmen mussten.

So sind die Spanier folglich nur wenig zufrieden mit ihrer Regierung. Gleich zwei neue Kräfte werden ins Parlament einziehen, die linke Podemos - die Protestpartei der sogenannten Empörten — und die neue Partei "Die Bürger" (Ciudadanos), die sich ein wirtschafts- wie gesellschaftspolitisch liberales Programm gegeben haben — eine Art spanische FDP.

Die Demoskopen legen sich auf kein Ergebnis mehr fest: Die Umfragewerte sind jeden andere. Mal sind die Sozialisten zeitstärkste Kraft, mal Die Bürger, mal Podemos. In einer Umfrage würde es für eine von den Bürgern unterstützte Regierung Rajoy reichen, in einer anderen liegt der linke Block vorne. Die letzte veröffentlichte Umfrage von El País sah überhaupt keine mögliche Regierungskoalition.

So ist eigentlich nur eins sicher: Spaniens Parlament wird unübersichtlich. Das wird in Spanien allerdings nicht als Unglück gesehen. Die starken Volksparteien hätten sich den Staat angeeignet, Verwaltung und Justiz mit ihren Parteigängern durchsetzt. Die in dieser Legislaturperiode so oft beklagte Korruption habe damit ein bestelltes Feld vorgefunden, sagt etwa der Politologe Pablo Simón vom thinktank "Politikon". Darum straften die Spanier die Volksparteien ab. Sie wünschten sich, dass alle Parteien sich verständigten, gemeinsam die Probleme des Landes lösten.

Damit käme auf Politiker und auch auf die Medien eine große Verantwortung in der nächsten Legislaturperiode zu. Wenn sie aus den traditionellen Schützengräben zwischen Linken und Rechten herausfinden, das in Spanien immer noch tief verwurzelte Blockdenken aufgeben und die Interessen des Landes über die der eigenen Partei stellen, dann wäre die neue Unübersichtlichkeit in den beiden gesetzgebenden Kammern eine Chance für Spanien.

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