Streit mit der Türkei Griechenland fürchtet neue Flüchtlingswelle

Athen · Kündigt der türkische Präsident Erdogan tatsächlich den EU-Flüchtlingspakt und öffnet die Schleusen, könnte es kritisch werden.

 Flüchtlinge vor der Insel Lesbos. Die Aufnahme stammt aus dem Frühjahr 2016.

Flüchtlinge vor der Insel Lesbos. Die Aufnahme stammt aus dem Frühjahr 2016.

Foto: dpa, nie lof gfh vge

Die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die aus der Türkei über die Ägäis zu den griechischen Inseln kommen, steigt seit einigen Tagen wieder stark an - wegen des milden Frühlingswetters? Oder macht die Türkei ihre Drohung wahr, den vor einem Jahr in Kraft getretenen Flüchtlingspakt aufzukündigen? 566 Schutzsuchende kamen seit Donnerstag über die Ägäis auf die Inseln Lesbos, Chios und Samos - so die offiziellen Angaben der griechischen Behörden von gestern Mittag. Damit hat sich die Zahl der Ankömmlinge gegenüber den ersten Märzwochen verdreifacht: Kamen bisher 35 Menschen pro Tag, sind es seit vergangenen Donnerstag mehr als 100 im Schnitt täglich.

Experten der griechischen Küstenwache und Fachleute des Ministeriums für Migrationspolitik in Athen suchen nach einer Erklärung für den unerwarteten Anstieg. Ein Grund könnte das ruhige Wetter sein. In Griechenland aber wächst die Sorge, dass die türkischen Behörden den Schleusern jetzt wieder freiere Hand lassen. Die Regierung in Ankara hatte im Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der EU während der vergangenen Tage mehrfach gedroht, das vor einem Jahr geschlossene Flüchtlingsabkommen aufzukündigen.

"Das könnt ihr vergessen"

In dem Vertrag verpflichtete sich die Türkei, illegal nach Griechenland eingereiste Flüchtlinge und Migranten zurückzunehmen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte die Vereinbarung bereits vergangene Woche infrage gestellt: "Was für ein Rückführungsabkommen? Das könnt ihr vergessen!"

Seit Inkrafttreten des Abkommens wurden allerdings ohnehin nur rund 900 Menschen aus Griechenland in die Türkei zurückgebracht. Viel brisanter wäre es, wenn die Türkei jetzt die Schleusen öffnet. Im vergangenen Jahr hatten die türkischen Behörden die Kontrollen an der Küste verschärft. Seit Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens kamen 27.711 Menschen nach Griechenland. Vergangene Woche drohte allerdings der türkische Innenminister Süleyman Soylu der EU: "Wenn ihr wollt, schicken wir euch jeden Monat 15.000 Flüchtlinge, das wird euch umhauen!"

Auf den griechischen Inseln hatte sich die Situation in den Flüchtlingslagern in den vergangenen Wochen entspannt, nachdem Flüchtlinge aufs Festland umgesiedelt wurden. Jetzt wird es durch die Neuankömmlinge wieder enger in den Camps. Den größten Andrang verzeichnete die Insel Chios mit 341 Ankünften seit Donnerstag. "Wir hätten nicht einmal 50 zusätzliche Schutzsuchende verkraften können", sagte der Bürgermeister der Insel, Manolis Vournous, der Zeitung "Ethnos". Die neu ankommenden Menschen müssen provisorisch in Zelten untergebracht werden.

Die Kanzlerin reagiert

Der türkische Präsident geht derweil weiter auf Konfrontation mit Deutschland und Europa. Erdogan hatte Angela Merkel am Sonntag erstmals persönlich "Nazi-Methoden" vorgeworfen. Die Kanzlerin hat nun mit deutlichen Worten reagiert: "Wir werden nicht zulassen, dass der Zweck die Mittel immer wieder heiligt und jedes Tabu fällt", sagte die CDU-Chefin gestern in Hannover und verwies auf eine sogenannte Verbalnote des Auswärtigen Amtes. Darin habe die Bundesregierung unmissverständlich mitgeteilt, dass Auftritte türkischer Politiker in Deutschland nur stattfinden könnten, wenn sie auf der Grundlage der Prinzipien des Grundgesetzes erfolgen. Die Regierung behalte sich vor, alle Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich einer Überprüfung der mit dieser Note erteilten Genehmigung", fügte die Kanzlerin hinzu. Entscheidet die Bundesregierung bei einer solchen Überprüfung negativ, käme das einem Einreise- und Auftrittsverbot für türkische Politiker gleich, die hier für das Referendum von Erdogan werben wollen, das ihm deutlich mehr Macht geben würde.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sagte: "Die verbalen Ausfälle von Erdogan sind absurd und unsäglich zugleich." Offenbar wolle er mit aller Macht von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Referendum ablenken. Die Verzweiflung scheine groß zu sein, jenes zu verlieren. Anders ließen sich die immer überdrehteren Angriffe auf Deutschland nicht erklären.

(jd)
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