Blutige Stammeskriege Hunderttausende fliehen vor Gewalt im Südsudan

Leer · Der Staat ist erst vier Jahre alt und seit zwei Jahren von blutigen Stammeskriegen geprägt. Ein Friedensabkommen sollte die Lage im Südsudan verbessern, aber das Töten geht weiter.

 Im Südsudan sind Hunderttausende auf der Flucht.

Im Südsudan sind Hunderttausende auf der Flucht.

Foto: ap

Mary Nyak Chot hat im südsudanesischen Bürgerkrieg alles verloren. "Alle meine Kinder sind umgekommen", erzählt sie, während sie in einer Schlange auf die Lebensmittelspende des Roten Kreuzes wartet. "Die beiden Jüngsten sind im Haus verbrannt. Die anderen vier starben bei Artillerie-Angriffen. Mein Mann starb auch." Der Bürgerkrieg begann vor zwei Jahren in einem Staat, der erst vier Jahre alt ist. Und die Gewalt dauert an, trotz eines Friedensabkommens, das vor mehr als drei Monaten unterzeichnet wurde.

"Die Lage hat sich nicht verändert", sagt Daud Gideon. Er ist Mitglied des Remembrance Project, das die Namen der im Krieg getöteten Menschen registriert. "In verschiedenen Teilen des Landes wird weiter getötet und jeden Tag verlieren wir weitere Leben."

Auslöser des Bürgerkriegs war am 15. Dezember 2013 ein Scharmützel zwischen Soldaten in einer Kaserne in Juba, der Hauptstadt des Südsudans. Soldaten, die Anhänger von Präsident Salva Kiir waren, verübten danach Morde an Angehörigen der Nuer, wie aus einem Bericht der Afrikanischen Union (AU) hervorgeht. Dem Stamm gehört auch Kiirs politischer Rivale Riek Machar an, der Präsident gehört den Dinka an.

Das Massaker von Juba führte zu einem Aufstand der Nuer im Nordosten des Landes, angeführt von Machar, dem früheren Vizepräsidenten unter Kiir. Die Aufständischen verübten ihrerseits Massaker und setzten eine Spirale der Gewalt in Gang.

Die Kämpfe kosteten nach Angaben der Vereinten Nationen mehrere Zehntausend Menschen das Leben. Andere Quellen gehen sogar von bis zu 100.000 Todesopfern aus. Die Brutalität hat alte Gräben zwischen den ethnischen Gruppen wieder aufgerissen und neue geschaffen. Alle Versuche, eine Versöhnung einzuleiten, blieben bisher erfolglos.

"Es gibt kein Vertrauen", erklärt der Friedensaktivist und Pfarrer James Ninrew. "Die Menschen identifizieren sich jetzt über ihren Stamm." Selbst innerhalb der Nuer und der Dinka herrsche nicht immer Einigkeit.

Im Südsudan sind derzeit laut den Kriterien der Vereinten Nationen rund 3,9 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Mehr als zwei Millionen Menschen sind vor den Kämpfen aus ihren Häusern geflohen, Hunderttausende suchten Schutz in den Nachbarländern. Rund 180.000 kamen in Lagern der Vereinten Nationen unter, wo Krankheiten und Gewalt grassieren. Andere verstecken sich in den Sümpfen und Wäldern, weil sie zu viel Angst haben, nach Hause zurückzukehren.

"Ich laufe jeden Tag davon", sagt Nyalen Top, die aus dem Hinterland von Leer in die Stadt gekommen ist. Ihre zwei Kinder sind krank und benötigen medizinische Hilfe. Die ist in Leer schwer zu bekommen, die Region gehört zu denen im Südsudan, die am schlimmsten unter der Gewalt leiden. "Es ist besser, sich im Busch zu verstecken, denn wenn die Männer dich kriegen, können sie dich vergewaltigen oder töten."

Der Regierung gelang es in diesem Jahr, militärisch die Oberhand zu gewinnen. Sie wehrte zunächst einen Versuch der Rebellen ab, die Ölfelder im Staat Upper Nile einzunehmen, und startete dann eine Offensive im Staat Unity. Friedensgespräche in Äthiopien im März scheiterten.

Die Frist für den Aufbau einer Übergangsregierung verstrich im vergangenen Monat ohne Fortschritte. Die Rebellen sind nicht nach Juba zurückgekommen, weil die Regierung nur einige Dutzend von ihnen in die Stadt lassen will.

"Das Friedensabkommen bringt uns nicht weiter", erklärt der Aktivist Ninrew. "Die Leute, die ihn unterzeichnet haben, die ihn eigentlich umsetzen sollten, arbeiten gegen ihn."

Top kann kein weiteres Jahr des Krieges aushalten. "Wir sitzen fest, wie Fische auf dem Trockenen", sagt sie, während sie die Fliegen von ihrem fiebernden Kind vertreibt. "Wenn das nächste Jahr so wird wie die letzten zwei Jahre, werden wir dieses Land verlassen."

(ap)
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