Münchner Sicherheitskonferenz Syrien spaltet die Welt in Ost und West

München · Die jüngste Serie von Gewaltexzessen des syrischen Regimes hat nicht nur die Münchner Sicherheitskonferenz überschattet, sondern auch zu einer Wiederkehr der Blockbildung zu Zeiten des kalten Krieges zwischen Ost und West geführt. Empört und enttäuscht reagieren die USA und Deutschland auf das russische und chinesische Votum gegen eine Syrien-Resolution des Weltsicherheitsrates.

Baschar Al-Assad – vom Hoffnungsträger zum Zyniker
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Das ist Baschar Al-Assad

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Als am Abend die Eilmeldungen das Votum Moskaus und Chinas gegen eine Verurteilung der Massaker in Syrien durch den Weltsicherheitsrat nach München bringen, zögert US-Außenministerin Hillary Clinton keine Sekunde, um deutlich zu werden. Was denn noch passieren müsse, um die internationale Gemeinschaft zum Handeln zu bringen, fragt sie mit schneidiger Stimme vor den laufenden Kameras.

Sie sagt es nicht, aber jedem ist klar, dass sie die Empörung an die Adresse Russlands richtet. Bereits am Vormittag ist sie bei internen Unterredungen mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow heftig aneinander geraten. Und nun wiederholt sie es auch öffentlich: Wer sich dieser Resolution verweigere, trage Mitverantwortung für das grauenhafte Blutvergießen in Syrien.

Sprache des Kalten Krieges

Es ist die Sprache des Kalten Krieges, die mit der Eskalation der Gewalt in Syrien in den Bayerischen Hof in München Einkehr hält. Die Erinnerung an den Kalten Krieg hat Lawrow am Morgen selbst als Drohung in den Mund genommen.

Und er hat von einem "Keil" gesprochen, der in die Ost-West-Verständigung über die drängendsten Probleme der Welt getrieben werden könne. Von einem "Potenzial" für Konfrontion und von einem Vorgang, der zu einer "globalen Katastrophe" führen könnte. Doch das alles meinte er nicht mit Blick auf Syrien, sondern mit Blick auf die Raketenabwehrpläne der Nato, die Russland gegen sich selbst gerichtet sieht. Auch wenn die USA und auch Deutschland nicht müde werden, dieses zu verneinen und Russland zum Mitwirken an der gegen den Iran gerichteten Raketenabwehr einzuladen.

Doch sowohl das Atombombenbauprogramm des Irans als auch der Startschuss für das Raketenabwehrprojekt der Nato spielen in den immer hektischer werdenden Gesprächsformaten am Rande der Konferenz kaum noch eine Rolle. Westerwelle und Clinton zeigen sich fest entschlossen, die Begegnungen mit Lawrow zu nutzen, Russland zum Einlenken zu bewegen.

Bereits stark abgeschwächte Resolution

Die morgendlichen Nachrichten vom brutalen Niederschießen der Menschen in der syrischen Rebellenhochburg Homs mit Hunderten von Toten hat in New York eine Sondersitzung des Weltsicherheitsrates zur Folge. Und bei der soll eine auf Wunsch Russlands bereits stark abgeschwächte Resolution gegen das Vorgehen des Assad-Regimes endlich verabschiedet werden. Aber Russland will die schon weichgespülte Resolution noch weicher.

Der vertrakte Hintergrund: Schon einmal stand die Welt vor einem Regime, das mit brutalster Gewalt gegen Demonstrationen, dann gegen Proteste und schließlich einen bewaffneten Aufstand im eigenen Land vorging: Libyen. Seinerzeit bekam der Westen die Vetomacht Russland dazu, den Schutz der Aufständischen vom Sicherheitsrat absegnen zu lassen.

Dass die Nato dann das Mandat zu monatelangen Militäroperationen daraus ableitete und so lange Bomben warf, bis Diktator Muamar Gaddafi gestürzt war, hat Moskau mit fassungslosem Entsetzen verfolgt — und zu dem Vorsatz geführt, sich nie wieder vom Westen so über den Tisch ziehen lassen.

Für ihre Zwecke "missbraucht"

Deshalb steht Russland seit vielen Tagen auf der Bremse. Ein erster Resolutionsentwurf des Westens hatte keine Chance. Anfang der Woche legte Marokko im Auftrag der Arabischen Liga einen deutlich entschärften Text nach. Tatsächlich bescheinigt Lawrow am Samstag Morgen in München diesen Formulierungen indirekt begrenzte Zustimmungsfähigkeit. Die Androhung von Sanktionen seien nicht mehr drin, lobt er, und es gebe auch keine Hintertür zu einer Intervention mehr.

Doch zwei weitere Zähne will Russland der Resolution noch ziehen. Die Schärfe, mit der die Regierung von Baschar al Assad verurteilt werden soll, schmeckt den Russen noch nicht. Und außerdem wünscht sich Moskau, dass im selben Atemzug auch das Vorgehen der bewaffneten Gruppen verurteilt wird. Mit einer solchen Gleichbehandlung tun sich wiederum die westlichen Außenminister schwer.

Nach russischer Wahrnehmung geht es darum, dass syrische Volk zu unterstützen. Die friedlichen Demonstranen würden von bewaffneten Gruppen für ihre Zwecke "missbraucht", so Lawrow, und deshalb sei es für Russland auch nicht akzeptabel, dass sich die regulären syrischen Truppen zurückziehen müssten.

Konferenz auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen

Es ist ein Auseinanderklaffen zwischen Worten und Handlungen, wie es krasser kaum sein könnte: In Syrien richten die Militärs Massaker an, läuft nach Einschätzung der arabischen Liga eine wahre "Tötungsmaschine" auf Hochtouren. Und im wohltemperierten bayerischen Hof sitzen die wichtigsten Außenminister der Welt zusammen und fingerhakeln über Formulierungen, natürlich ahnend, dass auch eine "starke" Resolution Assad kaum zum Einlenken bringen würde.

Trotzdem ringen die Minister in wechselnden Verhandlungsformaten darüber, ob die Resolution noch ein wenig abgeschwächt oder noch ein wenig mehr abgeschwächt werden muss. Parallel halten sich ihre UN-Botschafter in New York bereit, sondieren ebenfalls Kompromisslinien und hören auf die Signale, die aus München kommen.

Dort läuft die Konferenz am Samstag Nachmittag längst auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen ab. Die beiden US-Minister Hillary Clinton (Außen) und Leon Panetta (Verteidigung) haben dem offiziellen Konferenzgeschehen nur eine Stunde am Morgen beiwohnen können.

Zeitpläne kommen ins Rutschen

Über die mehr oder weniger spannenden Beiträge und Diskussionen der vielen anderen Minister, Präsidenten und Verantwortlichen aus den Finanzmärkten müssen sie sich von ihren Beobachtern von Zeit zu Zeit berichten lassen. Sie wandern mit ihren Delegationen von Stockwerk zu Stockwerk, von Konferenzraum zu Konferenzraum, um in Dutzenden von "bilaterals" genannten Zwei-Nationen-Gesprächen unerledigte Probleme der Welt zu wälzen. Und das sind an diesem Nachmittag, dafür hat Assad gesorgt, vor allem die Perspektiven für Syrien.

Dabei kommen Zeitpläne ins Rutschen. Eigentlich will Deutschlands Außenminister um 12.45 Uhr vor die Presse treten, um nach seinem Vier-Augen-Gespräch mit Lawrow eine Einschätzung abzugeben. Seine Sprecher vertrösten die Journalisten zuerst im Viertel-, dann im Halbstundentakt.

Nach 15 Uhr schließlich bringt Westerwelle seine "äußerste Besorgnis" über das grausame Geschehen in Syrien zum Ausdruck und appelliert an den Weltsicherheitsrat, dass die internationale Gemeinschaft zu diesem Vorgehen des syrischen Regimes "nicht länger schweigen" dürfe. Das seien die Vereinten Nationen nicht nur den Menschen in Syrien, sondern auch dem eigenen Ansehen schuldig.

Plötzlich liegt der Bayerische Hof am East River

Über Details der Gespräche und Verhandlungen spricht Westerwelle nicht. Außer, dass sie "sehr schwierig" seien. Aber offenbar hat der Westen am Nachmittag die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er Moskau doch noch zum Einlenken bewegen kann. Jedenfalls verschiebt Westerwelle zunächst seinen geplanten Abflug aus München, dann knickt er seine übrigen Tagespläne ganz, um mit den befreundeten Ministern zu beraten, welche Formulierungen in New York mitgetragen werden können. Auch Hillary Clinton sagt nun ihre Abreise vorerst ab. Plötzlich liegt der Bayerische Hof am East River, geht es in München darum, was in New York geschehen soll.

München richtet sich auf eine lange Nacht des Pokerns ein. Die positiven Signale Russlands lassen die Delegationen erwarten, dass sich die Verhandlungen in New York, in München und telefonisch zwischen den handelnden Hauptstädten der Welt noch Stunden hinziehen können.

Dass Moskau anderes im Sinn hat, zeichnet sich indes schon gegen Mittag ab. Lawrow selbst werde dam Dienstag nach Damaskus reisen, um mit Assad über mögliche Reformschritte zu sprechen, lässt seine Delegation zuerst als Gerücht und dann als unbestätigte Information in München über die Flure wabern. Zu diesem Zeitpunkt mag Lawrow Assad nicht mehr als "Freund" bezeichnen. Westliche Delegationen lesen daraus sogleich wieder einen Fortschritt heraus.

Auftakt für neue Anstrengungen

Denn nach ihrer Einschätzung weiß auch Russland selbst, was auf dem Spiel steht. Die russisch-syrische Partnerschaft war über Jahrzehnte der Zugang Moskaus zu mitbestimmendem Einfluss auf die Entwicklungen im gesamten Nahen Osten. Doch das deutliche Abrücken der arabischen Liga von Assad hat nicht nur den syrischen Machthaber überrascht, sondern auch Russland zum Nachdenken gebracht, ob man am Ende der Entwicklung nicht auf der falschen Seite steht und angesichts der Umwälzungen im arabischen Frühling den Anschluss verpasst.

Möglicherweise hat diese Interpretation der russischen Signale aber einen wichtigen Aspekt übersehen, heißt es am Rande der Konferenz in München: Auch Russland steckt längst mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Wladimir Putin will als starker Mann wieder nach ganz oben.

Falsche Zeichen an eine wachsende russische Opposition will er vermeiden. Und ein Russland, das sowohl in der Irank-Frage als auch in der Raketenabwehr-Frage und nun auch noch in der Syrien-Frage westlichem Druck nachgibt, passt offensichtlich nicht in die Wahlkampf-Agenda.

Für Westerwelle lässt Russland mit dem Scheitern auch der zweiten Syrien-Resolution zwar die Menschen in Syrien im Stich. Aber er nimmt das nur als Auftakt für neue Anstrengungen und will ausdrücklich nicht ausschließen, dass es einen dritten Anlauf geben wird. Die Spirale der Gewalt in Syrien dürfe sich nicht weiter drehen. Nach diesen Grausamkeiten habe Assad keine Zukunft. Das freilich hat Lawrow schon am Morgen in München anders gesehen.

(csr)
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