Britischer Irak-Ausschuss Tony Blair im Kreuzverhör

London (RPO). Großbritannien will den Irak-Krieg juristisch aufarbeiten. Über mehrere Monate sollen Militärs, Diplomaten, hochrangige Beamte und Regierungsvertreter in öffentlichen Anhörungen über den umstrittenen Einsatz auspacken. Auch Ex-Premier Tony Blair wird erscheinen. Doch er muss sich nicht fürchten: Die Kommission besteht aus unerfahrenen Politikern und Parteifreunden.

Wie Blair den Irak-Krieg begründete
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Foto: ap

Der umstrittene Einmarsch in den Irak beschäftigt auch nach sechs Jahren die Gemüter. Ab Dienstag wird eine britische Kommission die Geschehnisse aus dem Jahr 2003 aufarbeiten. Seinerzeit hatten US-Präsident George W. Bush und seine "Koalition der Willigen" die Invasion unter dem Verweis auf eine Bedrohung durch irakische Chemiewaffen durchgeführt. Die aber wurden niemals gefunden.

Während sich die USA nicht zu einer Aufarbeitung der Ereignisse durchringen können, hat Blairs Nachfolger Gordon Brown ein Gremium eingesetzt. Militärs, Diplomaten, hochrangige Beamte und Regierungsvertreter soll vor der unabhängigen Kommission in London aussagen. Bushs engster Weggefährte Blair wird sich den Fragen ebenso stellen wie der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan und der damalige UN-Chefwaffeninspekteur Hans Blix.

Am Dienstag begannen die öffentlichen Anhörungen in London. Der Kommissions-Vorsitzende John Chilcot betonte bei der Eröffnung, es handle sich um Anhörungen, niemand stehe vor Gericht. "Aber ich versichere, dass wir uns im Abschlussbericht nicht scheuen werden, Kritik zu üben - ganz gleich ob an Institutionen, Vorgängen oder Individuen - wo sie gefragt ist."

Chilcot zeigte sich in einem BBC-Interview am Montag zuversichtlich, einen "vollständigen und aufschlussreichen" Einblick in die Entscheidungsprozesse der britischen Regierung zwischen Juli 2001 und Juli 2009 zu erhalten. Der Kommission liege ausreichend Beweismaterial vor, um die Zeugen bei Falschaussagen oder lückenhaften Einlassungen festzunageln, sagte Chilcot der britischen Nachrichtenagentur PA. Letztlich will er klären, ob der Einsatz im Irak überhaupt legal war.

Doch die Kommission selbst steht in der Kritik. "Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses fehlt es eindeutig an juristischer Expertise, um die Frage der Legalität beantworten zu können", zitierte die britische Tageszeitung "Guardian" einen bekannten Juristen. Mehrere Kollegen schlossen sich diesem Urteil an.

Kritik an Kommission

Ihre Begründung: In der Kommission seien kaum Richter und Rechtsanwälte vertreten. Statt dessen sitzen dort Befürworter des Irak-Kriegs, Bewunderer von Blair und sogar solche, die für Unternehmen mit geschäftlichen Interessen in der Region arbeiten. Chilco selbst war bereits in einer früheren Kommission unter Lord Butler zum Irak-Krieg Mitglied. Damals wurde die Blair-Regierung vom Vorwurf, in Bezug auf Saddams Massenvernichtungswaffen gelogen zu haben, freigesprochen. Chilcos jetzige Funktion sorgt ebenfalls für Spott: Es sei so, als lasse man dasselbe Verbrechen zweimal vom gleichen Richter beurteilen, sagte der ehemalige Blair-Berater Carne Ross im "Observer".

Dieses Mal ist die Lage vielleicht ein wenig anders: Erst in den letzten Tagen erschienen - zeitlich passend - mehrere Zeitungsartikel mit pikanten Details über die Invasion. Zahlreiche ranghohe britische Offiziere beklagten sich beim Londoner Verteidigungsministerium über ihren geringen Einfluss auf die Entscheidungen ihrer US-Kollegen im Irak, wie der "Daily Telegraph" berichtete. Der oberste Kommandeur, Generalmajor Andrew Stewart, habe seine US-Kollegen mit einer "Gruppe Marsmenschen" verglichen, denen jeder "Dialog völlig fremd" sei.

Zwischen dem britischen Hauptquartier in Basra und der US-Führung in Bagdad habe es nicht einmal eine "gesicherte Funkverbindung" gegeben. Stabschef JK Tanner bemängelte, dass die britische Militärführung "ungeachtet unserer sogenannten 'besonderen Beziehungen' nicht anders behandelt wird als die Portugiesen".

Militärs monieren schlechte Vorbereitung

Die Zeitung "Sunday Telegraph" hatte bereits am Wochenende aus einem Regierungsbericht zitiert, in dem hochrangige Militärs die schlechte Vorbereitung des Einmarsches anprangerten. So habe es kein Konzept für die Zeit nach dem Fall der Hauptstadt Bagdad und von Basra im Süden des Landes gegeben. "Es fehlte eine politische Vorgabe für das, was Großbritannien insgesamt erreichen wollte", zitierte das Blatt. Außerdem seien die Soldaten schlecht ausgerüstet gewesen. Es habe an Schutzwesten, Schuhwerk für die Wüste und Schutzmasken vor Chemieangriffen gemangelt.

Angesichts dieser haarsträubenden Details dürfte die Kommission sicherlich einige Fragen an den Kronzeugen haben. Blair, der sein Land trotz starker Ablehnung in der Bevölkerung und ohne UN-Mandat an dem von den USA geführten Krieg beteiligt hatte, wird voraussichtlich erst im kommenden Jahr vor laufenden Kameras aussagen. Britische Juristen bezweifeln, dass die unerfahrene Kommission dem eloquenten Ex-Premier wirklich gefährlich werden könnte - nicht umsonst nennt ihn die Presse "Teflon-Toni".

Letztlich ist es eigentlich egal, zu welchem Schluss die Kommission am Ende kommt. Ihr Schlussbericht soll frühestens Ende 2010 vorliegen. Dann dürfte die angeschlagene Labour-Partei ohnehin nicht mehr an der Macht sein, denn vorher sind die Unterhauswahlen.

Mit Agenturmaterial.

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