Zuflucht in Deutschland CSU bringt Asyl für verfolgte Türken ins Gespräch

Istanbul · In der Türkei ist die Zahl der Festnahmen seit dem gescheiterten Putsch auf mehr als 10.000 gestiegen. Jetzt bringt die CSU politisches Asyl für verfolgte Türken ins Gespräch.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: ap, BO

Angesichts der innenpolitischen Unruhen in der Türkei hat die CSU verfolgten Türken Asyl in Deutschland in Aussicht gestellt. "Wir erwarten, dass Menschen kommen, die von der Herrschaft von Erdogan und seiner Partei verfolgt werden", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Das muss man dann nach rechtsstaatlichen Prinzipien in Deutschland und Europa bewerten."

Scheuer sagte, dass nach dem deutschen Asylrecht "jeder Anspruch auf individuelles Asyl" habe. Erdogan trete die Grundrechte, die Menschenrechte und die Pressefreiheit mit Füßen. Jetzt müsse Druck auf die Türkei ausgeübt werden, forderte er. "Denn so kann es nicht weitergehen, wie man in der Türkei mit dem Rechtsstaat umgeht."

Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erwartet, dass die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei bald deutlich ansteigt. Vor allem zahlreiche Intellektuelle und Wissenschaftler suchten sich bei andauernden Repressalien eine Zukunft im Ausland, sagte Bernd Mesovic von Pro Asyl der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". "Die Entlassungen und Verfolgungen bedeuten für viele praktisch eine Existenzvernichtung."

Özdemir will Programm für politisch Verfolgte

Unterdessen fordert der Grünen-Chef Cem Özdemir ein Programm für die Aufnahme von Türken, denen politische Verfolgung droht. "Nach dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara müsste die deutsche Regierung jetzt eigentlich ein Programm auflegen für Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, das ihnen die Möglichkeit gibt, in Europa einen Platz zu finden", sagte Özdemir der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".

Özdemir geht davon aus, dass zunehmend Türken Asyl in Deutschland beantragen werden: "Ich kenne viele in der Türkei, die sich gerade die Frage stellen, ob sie nicht dauerhaft nach Europa gehen, weil sie den Kampf um Demokratie und Freiheit als verloren ansehen."

Mehr als 10.000 Festnahmen

Unterdessen sagte Recep Tayyip Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zu Freitag im Präsidentenpalast in Ankara, dass 10.410 Verdächtige bei den andauernden Razzien festgenommen worden seien. 4060 von ihnen seien in Untersuchungshaft genommen worden. Die Massenfestnahmen und die Suspendierung von Zehntausenden Staatsbediensteten haben international zu Rufen nach Verhältnismäßigkeit geführt.

Seit Donnerstag gilt in der Türkei ein 90-tägiger Ausnahmezustand, den der Staatspräsident ausgerufen hat. Ziel ist nach seinen Worten, gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen. Erdogan macht Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen der Streitkräfte mit mehr als 260 Toten verantwortlich. Die Türkei fordert von den USA Gülens Auslieferung.

Erdogan erklärte den 15. Juli, an dem der Putschversuch mit mehr als 260 Toten begann, zum "Gedenktag für Märtyrer" und sagte: "Kommende Generationen werden die Helden des Kampfes für die Demokratie nie vergessen." Das Volk sollten sich weiterhin auf den Plätzen des Landes versammeln, "bis unser Land diese schwere Phase vollständig hinter sich gelassen hat".

Die Menschen müssten sich gegen den "hinterlistigsten und niederträchtigsten Putschversuch in der Geschichte des türkischen Volkes" zur Wehr setzen, sagte Erdogan. In der Nacht zu Freitag demonstrierten Tausende Menschen auf der Bosporusbrücke gegen den Umsturzversuch. Putschisten hatten die Brücke mit Panzern besetzt und auf Zivilisten das Feuer eröffnet.

Zum Ausnahmezustand sagte der Sprecher der Regierungspartei AKP, Yasin Aktay, "dass wir die Kritik aus Europa zu diesem Thema nicht nachvollziehen können. In Frankreich und in Belgien gibt es zwei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit, in denen jeweils nach Terrorangriffen zunächst für sechs Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und danach um sechs Monate verlängert wurde."

Obwohl die Türkei unter mehr Angriffen gelitten habe, habe sie bislang nicht zu der Maßnahme gegriffen gehabt, sagte Aktay laut Anadolu. "Dass wir es in diesem Fall getan haben, sollte vielmehr gelobt werden."

Nach Aktays Angaben handelt es sich bei den 10.410 Festgenommenen um 7423 Soldaten, 287 Polizisten, 2014 Richter und Staatsanwälte sowie 686 weitere Zivilisten. Unter den festgenommenen Soldaten sind demnach 162 Generäle - fast die Hälfte aller Generäle der zweitgrößten Nato-Armee.

EU besorgt

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn zeigten sich besorgt über die Entwicklung. In einer gemeinsamen Erklärung verlangten sie, dass die türkische Regierung unter allen Umständen die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten bewahren müsse.

Zudem steht die sogenannte Heranführungshilfe der EU für die Türkei in Milliardenhöhe in der Kritik. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) bezeichnete sie als Hohn und forderte das sofortige Einfrieren der Zahlungen. Die Entwicklung der Türkei hin zu einem autoritären Regime beweise, dass die Hilfe "nachweislich völlig wirkungslos" sei, sagte Singhammer der "Süddeutschen Zeitung".

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief das Land zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Konstitutionelle Ordnung und die internationalen Menschenrechte müssten respektiert werden, forderte Ban in einer am Donnerstag in New York verbreiteten Mitteilung. Dazu gehörten unter anderem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und die Unabhängigkeit des Rechts- und Gerichtswesens.

(felt/AFP/dpa)
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