Erdogan will Netzzugang einschränken Türkische Machtprobe auch im Internet

Istanbul · Die Regierung Erdogan will die freie Nutzung von Facebook, Twitter und Youtube per Gesetz einschränken.

Es war ein dramatisches Bild: Ein verletztes Kind liegt auf einer Trage, Infusionsnadeln im Körper, ein blutgetränkter Verband über dem rechten Auge, ein Stützkorsett um den Hals. Das Foto machte bei türkischen Internetnutzern als weiterer Beweis für die Brutalität der Polizei bei der Niederschlagung der regierungsfeindlichen Proteste in Istanbul und anderswo die Runde. Doch es stellte sich heraus, dass es sich um eine Aufnahme eines Unfallopfers von 2012 handelte. So wurde das Bild zum Symbol eines ganz anderen Phänomens: Die Medien, insbesondere die im Internet, sind zum weiteren Schlachtfeld der Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und ihren Gegnern geworden.

Der Internet-Kurznachrichtendienst Twitter und das soziale Netzwerk Facebook würden für "Hetze und Lügen" benutzt, sagte Innenminister Muammer Güler. Er kündigte neue Regelungen zur Nutzung sozialer Medien an. An Verbote wie in China werde dabei aber nicht gedacht, versicherte Hüseyin Celik, der Sprecher der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die neuen Vorschriften würden den Standards der EU und "zivilisierter Länder" entsprechen. Einzelheiten des Gesetzentwurfs sind noch unbekannt.

Dennoch sorgt die Ankündigung für große Unruhe in der Öffentlichkeit, auch weil sich viele Türken nur zu gut an die Einschränkungen der Vergangenheit erinnern: Der Zugang zu Youtube war in der Türkei jahrelang gesperrt.

Insbesondere Twitter ist seit Ausbruch der Unruhen am 31. Mai millionenfach von der Protestbewegung zur Nachrichtenübermittlung und zum Informationsaustausch benutzt worden. In mehreren Städten wurden Twitter-Nutzer darum festgenommen. Auch die Nachricht über die neue Protestform des "stehenden Mannes", bei der Demonstranten schweigend bewegungslos verharren, verbreitete sich dank Twitter schnell.

Die Regierung in Ankara nutzt die Plattform der sozialen Medien aber ebenfalls: Regierungspolitiker, darunter Erdogan selbst, sind täglich in den virtuellen Foren vertreten, um ihre Sicht der Dinge unters Volk zu bringen. So twitterte Erdogan-Berater Mustafa Varank gegen autofahrende Regierungsgegner, die ihren Unmut mit lautem Hupen zeigen: Das sei "nicht Revolution, sondern Herumtreiberei".

Anlass zur Kritik sieht die Regierung auch international. Erdogan wetterte mehrmals über die "ungerechte Berichterstattung" von Sendern wie CNN oder BBC. Die türkische Zeitung "Takvim" veröffentlichte ein erfundenes Interview mit CNN-Starmoderatorin Christiane Amanpour und ließ die angesehene Journalistin angeblich sagen, ihr TV-Sender sei von Ölkonzernen, Alkoholherstellern und Banken zu einer anti-türkischen Linie gezwungen worden — ganz dem Weltbild der Regierung Erdogan entsprechend, die das Land den Angriffen mächtiger ausländischer Interessengruppen ausgesetzt sieht. Amanpour beschwerte sich über das erfundene Gespräch, doch "Takvim" erwiderte, man habe sich lediglich für die CNN-Lügen revanchiert.

In der Türkei selbst war die Medienlandschaft schon vor der jüngsten Protestwelle in regierungsfreundliche und -kritische Zeitungen und Fernsehsender gespalten. Doch die Unruhen haben die Polarisierung noch vertieft. Die regierungsnahe Zeitung "Yensi Safak" etwa verbreitete die Verschwörungstheorie der Regierung, wonach die Protestwelle von Feinden der Türkei im Ausland geschürt wurde. So berichtete das Blatt, die türkischen Unruhen seien schon im Februar von einer konservativen US-Denkfabrik diskutiert worden.

Mitunter grenzt die einseitige Berichterstattung ans Absurde: Nachdem die Räumung des Gezi-Parks durch die Polizei am vergangenen Samstag die schwersten Straßenschlachten in Istanbul seit Langem ausgelöst hatte, titelte die Erdogan-nahe Zeitung "Sabah", die Sicherheitskräfte hätten den Park geräumt, ohne jemanden zu gefährden.

(RP/felt)
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