Angesichts Sanktionen in Ukraine-Krise Die Angst der russischen Milliardäre

Moskau · In der Öffentlichkeit zeigt sich Russland unbeeindruckt von den neuen und deutlich härteren Sanktionen des Westens. Hinter den Kulissen aber wächst der Druck auf Wladimir Putin. Denn russische Unternehmer haben Angst vor der internationalen Isolation.

Akteure in der Krim-Krise
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Nachdem auch die Milliardäre zuvor monatelang die Sanktionen des Westens als wirkungslos herunterspielten, fürchten sie nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 ernste und dauerhafte Schäden für die wirtschaftliche Entwicklung.

Seit Beginn der Krise in der Ukraine richteten sich die Sanktionen des Westens hauptsächlich gegen Einzelpersonen. Die wirtschaftlichen Beziehungen blieben unangetastet. In der vorletzten Woche dann verhängten die USA Strafmaßnahmen gegen einige der größten russischen Konzerne. Einen Tag später wurde Flug MH17 über der Ukraine abgeschossen.

"In den vergangenen Monaten hatte man den Eindruck, Putin handelt entschlossen und korrekt, und der Rest der Welt wird sich an die Realität gewöhnen, und wir kommen wieder zum gewohnten Geschäftsbetrieb zurück", erklärt der Unternehmer Bernard Sucher aus Moskau, der auch im Vorstand der unabhängigen Investmentbank Aton sitzt. "Jetzt reden wir über echte Angst."

USA schlossen Finanzmärkte für viele Unternehmen

Als Russland im März die bis dahin zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim annektierte und die Beziehungen litten, gab die russische Börse nach, erholte sich aber wieder. Die Investoren gingen davon aus, dass die lukrativen Handelsbeziehungen keinen Schaden nehmen würden. Europa zögerte, die Energie-Importe aus Russland zu blockieren oder den Handel mit Autos und schweren Maschinen zu stoppen.

Die USA waren weniger zurückhaltend, beschränkten ihre Sanktionen aber zunächst auch auf das Einfrieren von Vermögen Einzelner, denen vorgeworfen wurde, die Separatisten in der Ukraine zu unterstützen. Am 16. Juli, einen Tag vor dem Absturz der Boeing 777 der Malaysia Airlines, schienen sich die russischen Märkte vollständig erholt zu haben. Der Index MICEX hatte zu diesem Zeitpunkt seit dem 1. März rund 23 Prozent zugelegt.

Dann verkündete die Regierung in Washington neue Sanktionen, die die Investoren aufschreckten. Die USA schlossen ihre Finanzmärkte für zahlreiche Unternehmen. Darunter ist auch Rosneft, der größte Ölkonzern des Landes, an dessen Spitze der Putin-Vertraute Igor Setschin steht. Der Präsident der Amerikanischen Handelskammer in Russland, Alexis Rodzianko, erläutert, diese umfassenderen und zielgerichteten Sanktionen seien die ersten mit echter Schlagkraft gewesen: "Sie gingen über das Symbolische hinaus."

Als dann einen Tag später die malaysische Passagiermaschine abstürzte, befürchteten die Investoren eine weitere Verschlimmerung der Lage. Die Börse gab diesmal deutlich nach. Finanzexperten rechnen damit, dass noch mehr Geld als bisher aus Russland abgezogen wird. In den ersten sechs Monaten des Jahres waren es bereits 74,6 Milliarden Dollar, für das Jahr wird mit einer Summe von 100 Milliarden Dollar gerechnet. Das wäre fast doppelt so viel wie 2013. Gleichzeitig rechnet der Internationale Währungsfonds nur noch mit einem Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr, während die Landeswährung weiter unter Druck gerät.

Schweigen der Milliardäre ist charakteristisch

Und doch wird öffentlich kaum Kritik an Präsident Wladimir Putin laut. Von den milliardenschweren Oligarchen ist nichts zu vernehmen. Eine Quelle mit Verbindungen zur Regierung sagte, es sei derzeit zu gefährlich, in der Öffentlichkeit und sogar bei Treffen mit Putin Besorgnis über die wirtschaftliche Entwicklung zu äußern. Die Oligarchen teilten ihre Einwände Regierungsmitarbeitern mit, die sie wiederum an den Präsidenten weiterleiteten.

Das Schweigen der Milliardäre ist ein Charakteristikum von Putins Herrschaft. Anfang der 2000er Jahre schloss er eine Vereinbarung mit den russischen Wirtschaftsführern: Der Kreml schützte ihre oft zweifelhaften Deals, mit denen sie ihr Vermögen gemacht hatten. Im Gegenzug hielten sich die Tycoons aus der Politik heraus. Der einzige Mann, der sich nicht an diese Regel hielt, Michail Chodorkowski, der einst reichste Mann der Landes, verbrachte zehn Jahre in Haft, bevor er im vergangenen Jahr von Putin begnadigt wurde.

Putin selbst zeigt sich bisher unbeeindruckt von den Sanktionen. Beobachter weisen jedoch darauf hin, dass der russische Präsident bei aller Kriegsrhethorik doch in einigen Punkten nachgegeben hat. Nach den ersten Strafmaßnahmen habe Russland keine weiteren Teile der Ukraine annektiert wie zuvor die Krim, erklärt russische Ökonom Sergej Guriew, der an der Pariser Hochschule Sciences Po arbeitet. Die Sanktionen hätten die russische Regierung auch gezwungen, die Wahlen in der Ukraine anzuerkennen.

Sanktionen der EU gegen Geheimdienstoffiziere

Die Europäische Union weitete ihre Strafmaßnahmen gegen Russland am Wochenende aus, allerdings vor allem gegen ranghohe russische Geheimdienstoffiziere. Auf weitere Wirtschaftssanktionen hat sich die EU zwar grundsätzlich geeinigt, doch stehen vor dem Inkrafttreten noch enige weitere Schritte. Insgesamt ist die EU weiter zurückhaltender als die USA.

Die USA und die EU spielten derzeit eine Art "guter Cop, böser Cop" mit Russland, sagt Chris Weafer von der Beratungsfirma Macro-Advisory mit Sitz in Moskau. Noch bleibe abzuwarten, ob der Absturz der Malaysia Airlines eine Wende bringe. "Entweder der Vorfall drängt Russland in eine noch größere Isolation, oder er markiert ein Ende — oder den Anfang vom Ende — der gefährlichsten Phase im Konflikt in der Ostukraine."

(ap)
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