Hilflos gegen Russland und Wladimir Putin Das Elend der ukrainischen Armee

Kiew · Die neuen Machthaber in Kiew pochen darauf: niemals werde man die Krim aufgeben. Verteidigungsminister Igor Tenjuch gibt die Teilmobilmachung bekannt. Doch der Zustand der Armee ist erbärmlich. Es fehlt an Benzin und Essen. 4000 Soldaten auf der Krim sind auf sich gestellt. Bis Freitag müssen sie sich entscheiden: fliehen oder desertieren.

Ukraine: Freiwillige trainieren im Militärcamp nahe Kiew
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Ukraine: Freiwillige trainieren im Militärcamp nahe Kiew

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Europa und die USA bemühen sich nach Kräften, den Konflikt mit Russland nicht eskalieren zu lassen. Vor allem die Ungewissheit über Putins Pläne bereitet Sorgen. Sollte er wie vor allem in Kiew befürchtet wird, noch mehr Gebiete in der Ost-Ukraine beanspruchen, könnte es zum Äußersten kommen.

Die Regierung in Kiew wirkt angesichts der Entwicklung im Osten vor allem eins: hilflos. Die prorussischen Gruppen in Donezk und anderswo werden von Tag zu Tag stärker. "Unsere Armee ist in höchster Gefechtsbereitschaft, um auf die Bedrohung zu antworten, die an der östlichen Grenze und auf der Krim besteht", sagt Verteidigungsminister Igor Tenjuch. Es klingt wie das Pfeifen im Walde.

Die Kämpfer vom Maidan gegen die russische Armee

Er und seine Mitstreiter mobilisieren nach dem Referendum auf der Krim die letzten Reserven. 20.000 Reservisten sollen zu den regulären Streitkräften stoßen, 20.000 Soldaten zu der noch zu bildenden Nationalgarde. Die Garde soll sich vor allem aus Freiwilligen der so genannten Selbstverteidigungsgruppen vom Maidan, dem zentralen Platz der Proteste in Kiew, zusammensetzen und einmal 60.000 Mann umfassen.

Genau so viele Soldaten sollen die Russen nach Angaben Kiews bereits an der Ostgrenze zur Ukraine versammelt haben. Die russische Truppenstärke liegt bei 845.000 Soldaten. Die offizielle Zahl der regulären ukrainischen Armee liegt bei gerade mal 130.000. Doch selbst darauf kann sich das Kabinett in Kiew in einem Land mit Auflösungstendenzen nicht hundertprozentig verlassen.

Keine Ressourcen Die ukrainische Armee befindet sich ganz offensichtlich in einem erbarmungswürdigen Zustand. In einem Interview mit welt.de schildert Andriy Parubi, Chef des Rats für nationale Sicherheit und ehemals Sicherheitsbeauftragter des Maidan, das Ausmaß des Elends: "Als ich am 27. Februar, also vor nicht einmal drei Wochen, meine Arbeit aufgenommen habe, war ich geschockt. Wir hatten nicht einmal mehr Benzin, um Fahrzeuge und Panzer zu betanken." Viele Waffen sind veraltet, sollen noch aus der Sowjet-Zeit stammen.

Dass es an Nahrung und Uniformen mangelt, mag er ebenfalls nicht bestreiten. Man arbeite daran, die Probleme zu lösen. Aber: "Was über Jahre zerstört wurde, lässt sich nicht über Nacht wieder aufbauen", sagt Parubi. Medienberichte, nach denen nur 6000 Soldaten einsatzbereit seien, weist er allerdings zurück.

Keine Ausbildung In Kiew haben sich in den vergangenen Wochen Tausende als Freiwillige für die neue Nationalgarde gemeldet. Außerhalb der Stadt wurden Trainingscamps aus dem Boden gestampft, in denen die Männer zumindest eine militärische Grundausbildung erhalten sollen.

Die Aufnahmen aus den Ausbildungslagern zeigen unerbittlich, wie sehr die Freiwilligen-Armee improvisieren muss. Ein wenig erinnern sie an die Bilder libyscher Rebellen im Trainingsanzug. Die Bekleidung ist zusammengewürfelt, manchen fehlt es offenkundig an körperlicher Fitness. "Wir werden unser Bestes geben”, sagt einer.

Keine Loyalität Allein der Fall des hoch dekorierten Marine-Admirals Denis Beresowski macht die ganze Not der ukrainischen Armee deutlich. Am 1. März wurde er von der neuen Regierung zum neuen Befehlshaber ernannt, am 2. März lief er zu den Russen über. Er fühlte sich offensichtlich so wie die Bevölkerungsmehrheit auf der Krim Russland zugehörig.

Vermutlich kein Einzelfall. Die ukrainische Armee droht zu zerreißen wie das Land. Im Westen die bis zu allem entschlossenen Maidan-Kämpfer. Im Osten 4000 Soldaten der regulären Streitkräfte, die derzeit auf der Krim stationiert sind, in ihren Kasernen umlagert von prorussischen Militärs, notdürftig versorgt von Unterstützern aus der Zivilbevölkerung. Die prorussische Regierung der Halbinsel hat ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder sie schließen sich den neuen Machthabern an. Oder verlassen die Insel. Am 21. März läuft der Waffenstillstand ab.

(pst)
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