"Viele kommen als seelische Wracks heim" Umarmung für Amerikas Soldaten

Bangor · 220 Freiwillige lösen sich auf dem Flughafen Bangor im US-Bundesstaat Maine ab. Ihre Mission: Soldaten begrüßen, die von ihren Einsätzen im Irak oder in Afghanistan zurückkehren oder dorthin aufbrechen. Sie sprechen Mut zu, sie trösten, sie hören zu. Unter ihnen sind Veteranen genauso wie Pazifisten. Es geht ihnen darum, menschliche Wärme zu vermitteln.

 Cheryl und Ron Lare bringen ihre Therapiehunde Opie und Skylar mit, die zum Einsatz kommen, wenn die Truppen nach Afghanistan abrücken.

Cheryl und Ron Lare bringen ihre Therapiehunde Opie und Skylar mit, die zum Einsatz kommen, wenn die Truppen nach Afghanistan abrücken.

Foto: Herrmann

Wenn Clayton Dodge antritt zum Händeschütteln, darf seine Fellmütze nicht fehlen. Eine Art Baseballkappe ist das. Vorn auf dem Schirm prangen, schon leicht vergilbt, die Stars and Stripes des Sternenbanners. Darüber ein Gestrüpp grauer Fellzotteln, das an die Wuschelfrisur eines rebellischen Rockstars erinnert und den Rentner recht verwegen aussehen lässt.

"Unser Bruce Springsteen", flachst einer, worauf Dodge theatralisch in die Knie geht und beginnt, Luftgitarre zu spielen. Dann eilt er aus der Lounge in die Ankunftshalle, um ganz vorn in der Reihe zu stehen. Sobald die Soldaten das Flugzeug verlassen und die "Troop Greeters" jeden einzeln begrüßen, ist der Opa mit der eigenwilligen Fellkappe und den beigebraunen Hosenträgern der Erste, der ihnen die Hand entgegenstreckt. "Willkommen daheim!" "Willkommen in Bangor!"

Manchmal fügt Dodge grinsend hinzu: "Willkommen in der Hitze der Tropen!" Draußen klirrt die Kälte, drinnen kritzelt einer mit Filzstift die neuesten Zahlen an eine Tafel. 6327 Flüge, 1.298.049 Soldaten, 313 Hunde seit 2003. In Bangor, dem nordöstlichsten Flughafen der USA, landen die Maschinen zum Auftanken, bevor sie nach Europa und weiter nach Mittelost fliegen. Oder, aus Osten kommend, zu den Kasernen in North Carolina, Kalifornien, Texas.

Seit 2003 unermüdlich im Einsatz

Seit Mai 2003 haben die Greeters keine einzige Ankunft verpasst. Heute klingt es nach Ironie, aber angefangen haben sie ziemlich genau an dem Tag, an dem George W. Bush auf einem Flugzeugträger das Spruchband "Mission Accomplished" (Auftrag ausgeführt) entrollen ließ und den Sieg im Irak erklärte, obwohl das Desaster erst richtig begann. Dass sie acht Jahre später noch immer Spalier stehen würden, dürften damals nur die wenigsten geglaubt haben.

Mittlerweile zählt der Freiwilligenverein 220 aktive Mitglieder. Wer einen Ehering trägt, zieht ihn vom Finger, ehe er sich zum Handshake einreiht. "Manche der Burschen drücken ganz schön fest zu", weiß Clayton Dodge. Cheryl Lare lässt sich zur Nachtschicht einteilen, zur härteren Schicht. Tagsüber landen die Rückkehrer aus dem Irak, nachts die Einheiten, die nach Afghanistan abrücken. Tagsüber wird viel gelacht, nachts herrscht bisweilen beklemmende Stille.

Ein paar GIs reden auf zwei Therapie-Hunde ein, um ihre Nerven zu beruhigen. Auf Opie und Skylar, die tibetanischen Shih-Tzus, die Cheryl Lare mitgebracht hat. Einmal saß Opie zwei Stunden auf dem Schoß einer jungen Gefreiten. "Sie hatte solche Angst, es war ihr erster Einsatz in Afghanistan. Manchmal reden Menschen eben lieber mit Hunden."

"Viele kommen als seelische Wracks nach Hause"

Hockt einer in sich gekehrt auf den Bänken, ahnt Cheryl Lare den Grund: PTSD, posttraumatischer Stress. Leise erzählt sie von Justin Crowley-Smilek, einem 21-jährigen Irak-Heimkehrer, der an PTSD litt und sich im Zivilleben nicht mehr zurechtfand. In der Kleinstadt Farmington, knapp zwei Autostunden westlich von Bangor, wurde er im November von einer Polizistin erschossen — offenbar fühlte sie sich bedroht, weil er ein Messer in der Hand hatte.

"Viele kommen als seelische Wracks nach Hause", sagt Cheryl Lare. "Oft dauert es zu lange, bis sie jemand behandelt. Das Land müsste sich besser kümmern um seine Kriegsveteranen." Dienstags bis donnerstags arbeitet die 56-Jährige in einer Arztpraxis, registriert Patienten, führt Akten. Von Freitag bis Montag verbringt sie, zusammen mit ihrem Mann Ron, viele Stunden bei den Truppenbegrüßern. Dass sich die beiden die Nächte auf einem zugigen Flughafen um die Ohren schlagen, hat mit der Erfahrung Vietnams zu tun. Cheryls Bruder wurde angepöbelt und angespuckt, als er sich damals in Uniform blicken ließ. "Wir wollten nicht, dass sich das wiederholt. Die Jungs können nichts für die Kriege, in die man sie schickt."

Es soll keinen geben, der ohne Händedruck kommt oder geht. Dutzende Handys liegen bereit, für Anrufe bei den Familien auf Kosten der Greeters. Auf Tischen stapeln sich Schokoriegel und Erdnussbutterkekse in Mengen, die locker den Wochenbedarf eines Tante-Emma-Ladens decken würden. Und Twinkies, kleine Kuchen mit Cremefüllung. Cheryl Lare, die das Zeug in Großpackungen vom nächsten Wal-Mart-Supermarkt herankarrt, nennt sich die Twinkie-Lady.

"Wir haben selbst genug Probleme"

In Schaukästen 4000 Kriegsmünzen, in einem Regal ein dicker Aktenordner voller Tattoos. Heldenkitsch. Heldenfassade. Lou Horvath hielt die Invasion im Irak schon immer für einen Fehler, von Anfang an. Afghanistan genauso. "Wir sind überall auf der Welt in Ländern, in denen wir nichts zu suchen haben", sagt er nachdenklich. "Dabei haben wir selber genug Probleme." Und doch nutzt der 85-Jährige jede Gelegenheit, um den Soldaten die Hand zu schütteln. Ein Widerspruch? "Glaube ich nicht. Das sind doch meine Kids."

Horvath hat technische Zeichner ausgebildet, eine Zeit lang war er Direktor einer Berufsschule in New Jersey. Ein Kriegsgegner, der sich dennoch entschlossen vor die Armee stellt.

Auch Margaret Puckett, Jeansjacke, Militärkäppi, Veteranin des Golfkrieges von 1991, hat keine Zweifel. Und wenn, dann teilt sie sie nicht mit einem Reporter. "Über Politik reden wir hier nicht", schneidet sie weitere Fragen resolut ab. Ihre Freundin Jane Allen, Strickherzchen auf dem Pulli, hält sich an die Bibel. "Alles, was ich weiß, ist, was in der Schrift steht. Solange unser Herr nicht zurückgekehrt ist, wird es Kriege geben."

Nachmittags halb zwei. Wieder steht Clayton Dodge ganz vorn in der Reihe. Wieder landet ein Trupp aus dem Irak, ehe es weitergeht nach Fort Bliss in Texas. Scott McKean, ein Colonel, ist fünf Monate eher zu Hause als ursprünglich geplant. "Ein schönes Gefühl. Aber zugleich fragt man sich: Was kommt als Nächstes?" Ein junger Afroamerikaner freut sich über den Geldautomaten in der Flughafenhalle, "so was hatten wir nicht in der Wüste". Ein Hispanic meint, dass es zum Schluss in Al-Anbar weder gut noch schlecht war, sondern oft einfach nur furchtbar langweilig. Was auffällt: Die meisten in den Tarnanzügen haben schwarze Haut oder braune.

Irgendwann taucht auch Ron Lare wieder auf, der Seelentröster aus der Nachtschicht. Erzählt von dem Plan, den Raum der Greeters zu einem Museum umzugestalten. Aber das seien bloß erste Gedankenspiele, eine Weile werde man hier wohl noch stehen, um den GIs Mut zuzusprechen. Schon wegen Afghanistan. Und mancher Politiker rede bereits von Iran. "Wann hört das alles mal auf? Irgendwie ist es ziemlich verrückt."

(RP/jre)
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