Österreichs Bildungsminister im Interview "Umverteilung von Flüchtlingen ist weltfremd"

Wien · Österreichs Bildungsminister Heinz Faßmann gilt als Architekt der Integrationspolitik seines Landes. Manche Debatten in Deutschland erstaunen ihn. Im Interview mit unserer Redaktion warnt er vor falschen Anreizen für Migranten.

 "Österreich ist faktisch ein Einwanderungsland": Heinz Faßmann.

"Österreich ist faktisch ein Einwanderungsland": Heinz Faßmann.

Foto: rtr, HPB/OLA

Er gilt als einer der renommiertesten Experten für Migration und Integration und berät schon seit vielen Jahren Regierungen zu diesen Fragen. Nun ist der parteilose Heinz Faßmann selbst in die Politik gewechselt und gehört der neuen österreichischen Regierung als Bildungsminister an. Geboren wurde Faßmann in Düsseldorf, aber seit 1994 hat er einen österreichischen Pass und fühlt sich heute "komplett assimiliert". Er empfängt in seinem Büro in einem Wiener Barock-Palais aus dem 17. Jahrhundert unter viereinhalb Meter hohen Decken — ganz angenehm, wenn man wie Faßmann 2,07 Meter groß ist.

Herr Faßmann, die Regierung, der Sie angehören, wird wegen der Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Ausland sehr misstrauisch beobachtet. Stört Sie das?

Faßmann Ja, ich halte das für nicht in Ordnung. Die FPÖ hat ihre frühere Haltung korrigiert und sich eindeutig vom Rechtsextremismus abgegrenzt. Sie hat heute eine ganz klare Position zum Antisemitismus, und sie hat sich ebenso klar von der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs distanziert. Die FPÖ ist nicht vergleichbar mit der AfD, weder im Tonfall noch in den Sachaussagen. Das mag man in Deutschland nicht so wahrnehmen, aber ich habe diesen Wandlungsprozess über Jahre mitverfolgt, und ich halte ihn für glaubwürdig.

Schon bevor Sebastian Kurz im vergangenen Jahr Bundeskanzler wurde, haben sie ihn jahrelang in Migrations- und Integrationsfragen beraten. Hört er denn auf Sie?

Faßmann Ich denke schon, dass ich bei der Frage, was bedeutet eigentlich Integration, welche gesellschaftliche Konzeption steckt dahinter, sein Weltbild mitgeprägt habe. Kurz kam ja aus der Kommunalpolitik, für ihn waren diese Themen noch Neuland, als wir unsere Zusammenarbeit begonnen haben. Heute gibt es bei Fragen von Einwanderung und Integration zwischen uns eine große Übereinstimmung. Aber natürlich hängt die konkrete Umsetzung auch von politischen Opportunitäten ab, und nicht jede wünschenswerte Maßnahme kann man auch durchsetzen.

Ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund — empfindet sich Österreich als Einwanderungsland?

Faßmann Die Statistik lügt nicht: Österreich ist faktisch ein Einwanderungsland, und die Österreicher erinnern sich auch an die lange Geschichte dieser Einwanderung, die ja nicht erst im 20. Jahrhundert begonnen hat. Aber - und da geht es uns wohl genauso wie den Deutschen - die Leute sind trotzdem überrascht, wenn sie hören, wie viele Menschen von Immigranten abstammen. Da hinkt die Akzeptanz, dass wir uns mit Einwanderung in der Gegenwart und auch der Zukunft intensiv beschäftigen müssen, der Realität leider noch deutlich hinterher.

Haben Sie die Flüchtlingskrise 2015 als einen staatlichen Kontrollverlust wahrgenommen?

Faßmann Ja, natürlich, und zwar sowohl in Deutschland wie auch hier in Österreich. Die massive und unkontrollierte Zuwanderung, die damals stattgefunden hat, war aber auch mit den Mitteln der Nationalstaaten allein nicht mehr zu bändigen. Das können wir nur auf europäischer Ebene regeln.

Im Koalitionsvertrag der neuen österreichischen Regierung ist viel die Rede von illegaler Einwanderung und wie man ihr begegnen will. Über Integration steht da beinahe nichts — warum?

Faßmann Möglicherweise, weil ja gerade Sebastian Kurz den Gedanken der Integration in Österreich schon stark vorangetrieben hat. Zum Beispiel haben wir die sprachliche Frühförderung gestärkt. Wir haben ein Integrations-Monitoring eingeführt, das uns anhand statistischer Daten Hinweise geben soll, wo wir etwas verbessern müssen. Es wurde ein Integrationsgesetz verabschiedet - es ist wirklich schon viel geschehen.

In Deutschland wird derzeit über den Familiennachzug von Flüchtlingen gestritten…

Faßmann Ich bin über diese deutsche Debatte, ehrlich gesagt, etwas erstaunt, denn es geht dabei ja um den Familiennachzug von Flüchtlingen, die nur subsidiären Schutz genießen. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn jemand nach den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention einen Schutzstatus erhält oder auch Asyl nach den Bestimmungen des Grundgesetzes. Das ist ein qualitativer Unterschied. Das Argument der Befürworter des Familiennachzugs ist ja, dass man auf diese Weise die Integration der betroffenen Flüchtlinge erleichtern würde — genau das aber ist bei dieser Personengruppe eigentlich nicht beabsichtigt. Wer subsidiären Schutz genießt, genießt Schutz auf Zeit. Er soll nicht bleiben werden, sondern in seine Heimat zurückkehren, sobald dies möglich ist.

Aber in sehr vielen Fällen ist doch völlig unklar, wann eine solche Rückkehr erfolgen kann, wenn überhaupt…

Faßmann Da greifen dann die Mechanismen des humanitären Bleiberechts. Wenn man sieht, dass sich eine Situation so verfestigt hat, dass auf absehbarer Zeit nicht mit einer Rückkehr der Menschen zu rechnen ist, muss man sie natürlich integrieren. Aber von vornherein Menschen mit nur eingeschränktem Schutzstatus den vollen Familiennachzug zu gewähren, das halte ich für falsch.

Wenn wir auf die Integration von Zuwanderern in der Vergangenheit sprechen, gibt es Gruppen, die sich offensichtlich besser integriert haben als andere. Welche Rolle spielt dabei die Religion?

Faßmann Wir sehen in Deutschland wie in Österreich, dass sich etwa die Gastarbeiter aus der Türkei und ihre Nachkommen schwerer tun mit der Integration als etwa Kroaten oder Griechen. Das liegt natürlich auch an ihrer Religion: Sie müssen sich als Muslime in einer christlich geprägten Gesellschaft einordnen. Immerhin haben wir es in Österreich insofern leichter, als wir schon 1912 ein erstes Islamgesetz erlassen haben. Seither gilt der Islam bei uns als gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft, und die Politik hat anders als in Deutschland feste Ansprechpartner, um etwa Fragen rund den Religionsunterricht oder die theologische Ausbildung zu regeln.

Sie haben vor einiger Zeit dafür plädiert, den europäischen Arbeitsmarkt für Migranten aus Afrika zu öffnen, die dann für eine bestimmte Zeit in der EU leben dürften. Halten Sie so etwas tatsächlich für politisch durchsetzbar?

Faßmann Wenn man es richtig angeht und erklärt, ja. Dahinter steckt die Idee der sogenannten zirkulären Migration, eine Art verbessertes Gastarbeitermodell, bei dem eben nicht nur die Anwerbung, sondern auch die spätere Heimkehr der Menschen vor vorneherein ausgehandelt ist. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns in Europa dringend Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit dem Migrationsdruck aus Afrika umgehen wollen. Ohne einen starken Grenzschutz geht es sicher nicht, aber das alleine wird nicht reichen. Wir sollten also intelligente Lösungen im gegenseitigen Interesse finden, damit Menschen für eine gewisse Zeit zu uns kommen können. Europa wird in Zukunft auf zusätzliche Arbeitskräfte angewiesen sein, aber für deren Herkunftsländer ist es auch wichtig, dass sie diese Menschen nicht auf Dauer verlieren. Denn es geht hier sicherlich nicht um ungelernte Arbeitskräfte, sondern vorwiegend um gut qualifizierte Migranten.

Machen sich die Menschen tatsächlich auf den Weg, weil sie ans angeblich goldene Europa glauben?

Faßmann Nein, am Anfang einer Auswanderung steht immer die schlechte Situation in den Heimatländern, also etwa Krieg. Zu diesem Zeitpunkt spielt es wirklich keine große Rolle, ob die Bundeskanzlerin mit Flüchtlingen auf Selfies posiert oder wie hoch die Soziallleistungen in Österreich sind. Wenn die Menschen dann allerdings unterwegs sind — und eine solche Reise kann sich ja über viele Monate, manchmal Jahre hinziehen - dann stellen sie sich natürlich die Frage, in welchem Land sie die besten Möglichkeiten vorfinden. Ganz wichtig ist dann zum Beispiel, ob es dort schon Verwandte, Freunde oder Landsleute gibt. Oder aber auch, wie großzügig Flüchtlinge in dem jeweiligen Land behandelt werden. Und das hat dann ja auch 2015 und 2016 zu der eklatant ungleichen Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU geführt.

Die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU nach einer Quote scheint gescheitert. Wäre so etwas überhaupt sinnvoll?

Faßmann Nein, ich fand diese Idee von vorneherein so unglaublich weltfremd und technokratisch, dass ich mir gedacht habe, das kann doch nicht funktionieren: Dass man Flüchtlinge gegen ihren Willen in einen Bus setzt und in ein anderes Land karrt, wo sie bleiben sollen. Mal ganz abgesehen vom politischen Widerstand vieler Länder, die einfach keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Ich glaube nicht, dass man das erzwingen kann, und ich bin sehr erstaunt, dass Frau Merkel trotzdem weiter darauf beharrt und deswegen offenbar einige EU-Länder finanziell unter Druck setzen will.

Aber müssen wir nicht innerhalb der EU zu einer fairen Lastenverteilung kommen?

Faßmann Ja, aber auf andere Weise. Zu einen muss es beim dem Prinzip bleiben, dass die Erstaufnahmestaaten in der EU zuständig sind für die Flüchtlinge und auch ihre Asylgesuche bearbeiten. Also kein Durchwinken zum Nachbarn. Wir müssen aber im eigenen Interesse dieser Staaten dazu kommen, dass dies viel schneller geschieht. Die Schweiz schafft es, innerhalb von 48 Stunden einen ersten Sofort-Check vorzunehmen, ob ein Asylgesuch überhaupt Aussicht auf Erfolg hätte. Und es muss zu einer weiteren Angleichung der Standards innerhalb der EU kommen. Wir müssen in Deutschland oder Österreich sicher sein können, dass die Verfahren in Griechenland oder Italien genauso sorgfältig durchgeführt werden wie bei uns. Dann könnte es im Gegenzug eine allgemeine Niederlassungsfreiheit für anerkannte Flüchtlinge innerhalb der EU geben.

… die dann aber fast alle nach Deutschland, Österreich oder Schweden gingen?

Faßmann Nicht alle, aber sicherlich viele. Weil wir in Zukunft zusätzliche Arbeitskräfte brauchen, kann etwas Zuwanderung aber gar nicht schaden. Allerdings sind wir gut beraten, der gezielten Einwanderung in besonders großzügige Sozialsysteme einen Riegel vorzuschieben. Wir justieren da in Österreich gerade nach, indem wir die Sozialleistungen für Flüchtlinge herunterschrauben: Jemand, der viele Jahre in die Sozialkassen eingezahlt hat, soll deutlich besser gestellt sein als jemand, der gerade erst eingewandert ist.

Eine Form der Abschreckung?

Faßmann Das will ich gar nicht bestreiten. Wir wollen einfach sicherstellen, dass niemand zu uns kommt, nur weil ihm in Österreich besonders viel Sozialhilfe zusteht. Im Übrigen würde sich das Problem gar nicht in dieser Schärfe stellen, wenn wir die Definition von Asyl zuletzt nicht etwas zu weit ausgelegt hätten. Wenn wir wirklich nur jene aufnehmen würden, denen der Status als Verfolgter zusteht, und deren Rückkehr in ihre Heimat ausgeschlossen scheint, ginge es dabei um eine Zahl von Menschen, die wir leicht integrieren könnten. Wir können eben nicht jedem die Tür öffnen, der für seine Kinder eine bessere Zukunft wünscht, so verständlich das aus seiner Perspektive auch sein mag.

Matthias Beermann führte das Interview.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort