Setzte Assad Giftgas in Syrien ein? UN-Experten: "Wertvolle Daten gesammelt"

Beirut · Allen Widrigkeiten zum Trotz haben die UN-Chemiewaffen-Experten in Syrien fleißig gearbeitet und zahlreiche Proben gesammelt, die den Vorwurf des Einsatzes von Giftgas widerlegen oder bestätigen sollen. Zuvor waren die Experten auf dem Weg von Heckenschützen attackiert worden. Im Westen wächst der Druck auf das Regime Assad.

 Die UN-Experten bei der Arbeit. Die Fachleute sind mit den ersten Proben zufrieden.

Die UN-Experten bei der Arbeit. Die Fachleute sind mit den ersten Proben zufrieden.

Foto: afp, -

Die USA sollen Berichten zufolge einen Militärschlag prüfen, möglicherweise auch ohne UN-Mandat. Syriens Staatschef Assad warnt die USA vor einem zweiten Vietnam.

Die Chemiewaffenexperten haben nach Angaben eines UN-Sprechers schon am ersten Tag "wertvolle Daten" zu den Giftgas-Vorwürfen gegen Damaskus gesammelt. Am Morgen waren sie von einem Heckenschützen angegriffen worden. Verletzt wurde niemand.

In der Ortschaft Moadhamijat al-Scham südwestlich von Damaskus sammelten sie bereits Proben. "Sie sind zufrieden und werden ihre Nachforschungen morgen fortsetzen", sagte der UN-Sprecher Fahan Haq am Montagabend in New York.

Rückkehr offen

Ob das Team am Dienstag nach Moadhamijat al-Scham zurückkehren wird, war zunächst nicht bekannt. "Auf jeden Fall sucht es einen Ort im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Giftgasanschlägen vom 21. August auf", sagte Haq der Nachrichtenagentur der dpa.

Das Ergebnis der vorerst auf zwei Wochen begrenzten Untersuchung der Experten soll UN-Generalsekretär Ban Ki Moon "so schnell wie möglich" vermittelt werden. Ban werde dann entscheiden, in welcher Form die Informationen "genutzt werden können".

Ban schickte eine scharfe Protestnote sowohl an die Regierung in Damaskus als auch an die Aufständischen, weil am Morgen der Konvoi der UN-Experten beschossen worden war. Die Attacke sei von einem "nicht identifizierten Schützen" gekommen, sagte er in einer vom UN-Kanal verbreiteten Videobotschaft.

Der Protest sei von der UN-Hochkommissarin für Abrüstung, Angela Kane, überbracht worden, die sich derzeit in Damaskus aufhält. Derartige Angriffe dürften sich nicht wiederholen, die Sicherheit der Experten müsse "ab morgen sichergestellt sein", sagte Ban.

Überlebende befragt

Die Inspektoren hätten in einer Moschee Überlebende befragt und Proben genommen, berichtete ein Arzt per Telefon der Nachrichtenagentur Reuters. Die Ortschaft wird von Rebellen kontrolliert.

Von den Ergebnissen der Experten wird abhängen, ob und wie die internationale Gemeinschaft auf den Vorfall reagiert. Vor allem in den USA, Großbritannien und Frankreich wird über einen Militärschlag diskutiert. Die Bundesregierung sieht für eine Unschuld der syrischen Regierung nach eigenen Angaben keine Anhaltspunkte. Staatschef Baschar al-Assad selbst warnte die USA vor einem zweiten Vietnam.

Die syrische Führung hatte am Sonntag zugestimmt, dass die UN-Experten die Orte untersuchen, wo die Chemiewaffen eingesetzt worden sein sollen. Bei dem Angriff der Heckenschützen wurde ein Auto der Inspektoren beschädigt.

Wer die Schüsse auf den Konvoi mit UN-Kennzeichnung abgab, blieb zunächst unklar. Die Regierung machte Rebellen verantwortlich. Die Experten wollten auch Leichen untersuchen. Am Nachmittag kehrten sie in ihr Hotel in Damaskus zurück.

Bei dem Angriff in der vergangenen Woche waren nach Erkenntnissen der Organisation Ärzte ohne Grenzen Hunderte Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Kinder. Nach Darstellung der Rebellen gab es allein in Muadimija über 80 Tote.

Auch in Irbin, Ain Tarma and Dschobar sollen Chemiewaffen eingesetzt worden sein. Die UN-Delegation soll klären, ob Chemiewaffen eingesetzt wurden. Aus den Ermittlungen, etwa zum Typ der verwendeten Raketen, könnten sich wichtige Hinweise auf den Urheber des Angriffes ergeben.

"Entsetzliches Verbrechen"

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, Nachrichtendiensten zufolge sei zu einem derart großflächigen Einsatz von Chemiewaffen nur das Regime in der Lage. "Aber wir werden alle Indizien prüfen und hoffen, dass tatsächlich die Mission der UN-Inspektoren uns in der Beurteilung des Sachverhalts ein wenig weiterbringt."

Das "entsetzliche Verbrechen" müsse geahndet werden. Wie Außenminister Guido Westerwelle legte sich Seibert nicht fest, ob mit geforderten Konsequenzen auch ein Militäreinsatz gemeint sein könnte. Westerwelle warnte auf einem Botschaftertreffen in Berlin allgemein vor "einer interventionistischen Politik".

Hagel: "USA planen keinen Alleingang"

Die USA planen als Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz nach Worten von Verteidigungsminister Chuck Hagel keinen Alleingang. Sein Land werde nur gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft und innerhalb des gesetzlichen Rahmens vorgehen.

Fragen nach einem Militäreinsatz beantwortete der Minister bei einem Besuch in Indonesien nicht. Hagel hatte zuvor gesagt, die USA seien auf ein militärisches Eingreifen in Syrien vorbereitet, sollte sich Präsident Barack Obama dafür entscheiden.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte dagegen westliche Staaten, ein Militäreinsatz ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates wäre eine schwerwiegende Verletzung internationalen Rechtes. Dies würde die Lage in dem Land noch verschlimmern.

Russland ist ein wichtiger Verbündeter und Waffenlieferant Assads und hat gemeinsam mit China mehrmals UN-Resolutionen gegen den Machthaber verhindert. Der britische Außenminister William Hague sagte, man könne auch ohne den Sicherheitsrat auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz reagieren. Sein französischer Kollege Laurent Fabius erklärte, eine Militäraktion sei eine Option, die in Betracht gezogen werde.

Auch Assad warnte die USA vor einem militärischen Eingreifen. Dem Land drohe ein Scheitern wie in allen bisherigen Kriegen, sagte er der russischen Zeitung "Iswestia" und verwies auf den Vietnam-Krieg, den die USA nach mehrjährigem Einsatz Mitte der 70er Jahre verloren geben mussten.

Der Staatschef versucht seit mehr als zweieinhalb Jahren, einen Aufstand gegen seine Regierung niederzuschlagen. Die Rebellen nahmen nach Angaben der oppositionsnahen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag die strategisch wichtige Stadt Chanasir im Norden des Landes ein.

Die Aufständischen hätten damit den einzigen Versorgungsweg der Regierungstruppen in die Großstadt Aleppo abgeschnitten, berichtete die in Großbritannien ansässige Organisation.

(REU/KNA)
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