Lebensmittel-Embargo in Russland "Und was ist mit meinem Joghurt, Mama?"

Moskau · Russland hat ein Lebensmittel-Embargo gegen die EU und die USA verhängt. Unsere Russland-Korrespondentin berichtet von den Sorgen ihrer Familie am Frühstückstisch und beim Einkauf im Supermarkt.

 Einige beliebte Produkte sind mit dem Embargo aus russischen Supermärkten verschwunden.

Einige beliebte Produkte sind mit dem Embargo aus russischen Supermärkten verschwunden.

Foto: afp

Der Protest gegen Wladimir Putins Sanktionen beginnt an unserem Abendbrottisch. "Was? Unseren Lieblingskäse wird es nicht mehr geben?", fragt meine Tochter Sophie (9) entsetzt und fängt an zu heulen. Ihr kleiner Bruder Sebastian (4) stimmt gleich mit ein. "Uhuhu, unser schöner Käse!" Der finnische Oltermanni, wegen seiner Milde von den Kindern geschätzt, fällt künftig unter das Embargo, das Russland gegen Lebensmittel aus der EU und den USA verhängt hat. "Und was ist mit meinem Joghurt, Mama?", fragt Sebastian, dem immer noch Tränen über die Wangen kullern. Ja, leider, auch der "Landliebe"-Naturjoghurt aus Deutschland wird bald fehlen. Es wird nicht leicht sein, beide Produkte durch russische Waren zu ersetzen. Die Joghurts russischer Hersteller enthalten meist Stärke und andere Zusatzstoffe - oder sie sind als "Elite-Produkt" aufwendig im Glas verpackt und kosten drei Euro pro Stück.

Mein Mann und ich gehen die Nahrungsmittel durch, auf die wir künftig verzichten müssen. Mein englisches Müsli - Trockenfrüchte und Nüsse - steht auch auf dem Index. Finnische Milch, italienischer Parmesankäse, griechischer Feta, französischer Brie, Schwarzwälder Schinken der Firma "Abraham", Rosinen von "Seeberger" - alles weg. In den acht Jahren, in denen wir in Moskau leben, waren diese Produkte eine Selbstverständlichkeit für uns. Wir nahmen hin, dass sie fast doppelt so teuer sind wie in Deutschland. Und dass ihr Kauf gegen unsere Maxime verstößt: "buy local - kauf heimische Produkte". Doch russische Alternativen gibt es einfach nicht.

In Polen, wo ich zuvor sechs Jahre als Korrespondentin gearbeitet habe, war das anders. Wir merkten schnell: Polnische Lebensmittel sind genauso gut wie importierte, aber nur halb so teuer. Statt Roquefort gab es fortan "Rokpol" - polnischen Blauschimmelkäse.

Die russische Agrarwirtschaft dagegen ist auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion nicht in der Lage, in Preis und Qualität mit ausländischer Ware mitzuhalten. Und sie produziert nicht genug: Nach Angaben der Moskauer Universität beträgt der Anteil importierter Lebensmittel derzeit 53 Prozent.

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Trotzdem gibt sich die Führung in Moskau optimistisch. "Diese Schritte werden die Regale für die russischen Produzenten freimachen", sagt Premier Dmitri Medwedew, "der Markt wird aufgefüllt mit unseren frischen, qualitativ guten Lebensmitteln." Und Landwirtschaftsminister Nikolaj Fjodorow behauptet, der Importstopp werde für die Verbraucher "kaum merkbar" sein. Ernsthaft wird diskutiert, künftig Milch und Milchprodukte aus Ecuador und Chile einzuführen.

Die russischen Verbraucher glauben der Propaganda. "Unsere Bauern können genug produzieren, wenn man sie nur lässt", sagt die Rentnerin Natascha (61). Vor der Filiale der exklusiven Feinkost-Kette "Asbuka Wkusa", die fast ausschließlich teure Importprodukte verkauft, herrscht bei den Kunden Burgmentalität. "Ich mag die ausländischen Lebensmittel sowieso nicht", beteuert eine gut gekleidete Dame und nestelt hastig an den Einkaufstüten, damit die westliche Reporterin nicht hineinsehen kann. Trotzig verweisen manche Russen darauf, dass sie am Ende der Sowjetzeit ganz andere Versorgungskrisen durchgestanden haben.

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Das stimmt. Ich habe es selbst erlebt. Rückblende: Leningrad, Februar 1990. Für zwei Monate bin ich Gaststudentin am Gornyj-Institut. Gleich zur Begrüßung überrascht uns die Dekanin der Russisch-Fakultät mit einer guten Nachricht: "Die Lebensmittelkarten für Zucker wurden gerade abgeschafft!" Tee gebe es allerdings weiterhin nur auf Marken. Die bekommen wir ausgehändigt - und dazu einen Berechtigungsschein, der uns als "Leningrader auf Zeit" ausweist. Dieses Dokument benötigen wir, um Fleisch zu kaufen, erklärt uns die Dekanin. Mit dem Schein solle verhindert werden, dass die unterversorgte Dorfbevölkerung zu Hamsterkäufen in die Millionenstadt ströme.

Gegenüber unserem Studentenwohnheim steht ein "Universam" - ein sowjetischer Supermarkt. Die Kunden stehen vor meterweise leeren Regalen. Die Produktpalette ist übersichtlich. Es gibt Kohl, Kartoffeln, Mohrrüben, Zwiebeln, Rote Bete, Butter, Eier, Milch, Sahne, Joghurt, Kefir, Konserven mit Sprotten und drei Sorten Brot. Das war's. Zum Glück haben wir große Mettwürste und Käsestücke aus Deutschland mitgebracht. So können wir uns abends wenigstens ein belegtes Brot machen. In der Mensa der Universität gibt es jeden Tag Kartoffelbrei und Rührei - monatelang das Gleiche.

Meine Kommilitonen und ich - alle vom Überfluss verwöhnte Westdeutsche - lernen schnell, uns in der Mangelwirtschaft zurechtzufinden. Reihum schwänzt einer von uns die Vorlesungen, um in der Stadt nach Lebensmitteln zu jagen. Sieht man auf der Straße eine Menschenschlange, heißt es: Erst anstellen und dann fragen, was es gibt. Wir legen Zwiebeln auf die Fensterbank - sie sollen keimen, damit mal was Grünes auf den Tisch kommt. Auch Schösslinge aus Bohnenkernen ziehen wir erfolgreich heran. Verhungern muss man zumindest nicht. Nur macht das Essen irgendwann keinen Spaß mehr.

Haben die Russen die Erinnerung an diese Zeit erfolgreich verdrängt? Oder stehen sie so unter dem Einfluss der hurrapatriotischen TV-Propaganda, dass sie glauben, ihr Land mit eigenen Opfern gegen Angreifer verteidigen zu müssen? Natürlich, so schlimm wie 1990 wird es nicht werden. Nur werden die Preise rasant steigen, und die Qualität von alternativen Importprodukten aus Südamerika oder China ist mehr als fragwürdig. Ich habe meine Lektion gelernt. Bei meiner nächsten Reise nach Deutschland nehme ich einen riesigen Koffer mit - und fülle ihn mit Lebensmitteln. Den Mini-Import zum eigenen Verzehr hat Wladimir Putin noch nicht verboten.

(RP)
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