Islamistische Terrormiliz US-Verteidigungsminister: IS gefährlicher als Al Qaida

Washington/Damaskus · Bislang hat US-Präsident Obama eine Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg gemieden. Nun ändert sich der Ton in Washington deutlich. Luftschläge scheinen nicht mehr ausgeschlossen. Doch ein Militäreinsatz wäre ein politisches Dilemma.

 Chuck Hagel.

Chuck Hagel.

Foto: afp, SL/rix

Martin Dempsey ist ein besonnener Mann. Der Generalstabschef der US-Streitkräfte und engste militärische Berater von Präsident Barack Obama vermeidet Kriegsgetöse, wo er nur kann.

Doch geht es um die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), ist es mit seiner Zurückhaltung vorbei. Die Organisation verfolge eine "apokalyptische" Strategie sagt er und gibt ein klares Ziel aus: "Sie muss besiegt werden".

Obama vergleicht Terrorgruppe mit Krebs

Die Worte des Militärchefs spiegeln die Meinung der US-Regierung und selbst vieler oppositioneller Kongressmitglieder wider. Obama selbst spricht mit Blick auf die Terrorgruppe mittlerweile von einem Krebs, der entfernt werden müsse. Verteidigungsminister Chuck Hagel meint, IS sei wesentlich gefährlicher als Al-Kaida. "Das ist jenseits von allem, was wir bisher gesehen haben", sagt er. Und Chefdiplomat John Kerry erklärt, der Miliz müsse dort entgegengetreten werden, "wo auch immer sie versucht, ihren abscheulichen Hass zu verbreiten".

Lange nicht mehr waren sich Politiker aller Lager in den USA so einig. Spätestens die per Video zur Schau gestellte Enthauptung des US-Journalisten James Foley hat den Platz der IS auf der Rangliste der Staatsfeinde gefestigt. Hagel äußert gar unumwunden die Angst vor einem neuen Terrorangriff auf das Land wie am 11. September 2001. Die Frage ist längst nicht mehr, ob Amerika mit Militärgewalt gegen die Organisation vorgeht, sondern wie groß der Einsatz noch wird - und ob er sich räumlich ausdehnt.

US-Kommentatoren jedenfalls verstehen die verschärfte Rhetorik aus dem Weißen Haus und dem Pentagon als Einstimmung auf einen langen Krieg gegen die Terrorgruppe, der über den Irak hinausgeht. "Kann sie besiegt werden, ohne den Teil der Organisation in Syrien ins Visier zu nehmen? Die Antwort lautet nein", sagt Dempsey. Das sind ganz neue Töne von dem General, der bislang ein Eingreifen in dem Bürgerkriegsland für viel zu gefährlich hielt.

Auch jetzt noch scheint ihm die Idee nicht ganz geheuer, quasi an der Seite des verhassten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegen die IS vorzugehen. "Ich sage nicht voraus, dass es (Luftangriffe) in Syrien geben wird, zumindest nicht durch die Vereinigten Staaten", erläutert er. Denn die Risiken bleiben, dass unschuldige Zivilisten von US-Geschossen getötet werden, dass ein bemanntes Flugzeug abgeschossen wird oder Obama doch noch in einen Bürgerkrieg verwickelt wird, aus dem er sich seit Jahren zum Missmut vieler Kritiker fast völlig heraushält.

Doch hat er überhaupt eine Wahl? "Wenn die USA nicht den weltweiten Krieg gegen den Terrorismus anführen, dann wird dieser Krieg nicht geführt", meint ein Kolumnist der "Washington Post". Die Probleme zu leugnen und hinauszuschieben, würde sie nur verschlimmern. Die Hoffnung der Amerikaner, dass andere Nationen die militärische Last tragen, scheint vergeblich. "Bis jetzt hat niemand eine plausible Strategie für einen Sieg gegen IS vorgelegt, die nicht einen großen US-Einsatz am Boden einschließt", schreibt der US-Extremismusexperte Brian Fishman. "Und keiner wird, weil es keine gibt."

Doch eine Verwicklung in Syrien wäre für die USA und den Rest des Westens ein Dilemma. Der Bürgerkrieg, der im Frühjahr 2011 als Protest für mehr Freiheit und Demokratie begann, entwickelt sich zu einem Zweikampf zwischen dem Assad-Regime und den IS-Extremisten.
Während die Regierung die größten Teile des Westens Syriens kontrolliert, beherrscht die Terrorgruppe riesige Gebiete im Norden und Osten - insgesamt rund ein Drittel des Landes.

Mit der Bekämpfung der Miliz in Syrien würde Obama ausgerechnet Assad einen Gefallen tun, den er schon unzählige Male zum Rücktritt aufrief und als brutalen Kriminellen bezeichnete, der sein eigenes Volk massakriere. Für den Mann im Weißen Haus ist es somit die Wahl zwischen Pest und Cholera: Weil sie die Grenze zwischen Syrien und Irak längst aufgelöst haben, wandern Waffen und Kämpfer problemlos zwischen beiden Ländern hin und her. Selbst wenn es den Irakern mit Hilfe der US-Luftangriffe gelingen sollte, den IS zu vertreiben, hätte er in Syrien nach wie vor eine sichere Basis.

Assad dürfte die Entwicklung von Damaskus aus mit einiger Genugtuung beobachten. Es tritt genau das ein, was der Präsident immer hat verbreiten lassen: Er deklarierte den Bürgerkrieg in Syrien von Anfang an als "Krieg gegen Terroristen" - noch bevor der Islamische Staat sich überhaupt derart ausbreiten konnte. Die Amerikaner haben sich lange geziert, gemäßigtere Rebellen mit Waffen auszustatten. Nun sind diese immer mehr in der Defensive und laufen Gefahr, mit der nordsyrischen Metropole Aleppo ihre wichtigste Stadt zu verlieren.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort