Florida vor der Wahl Reise durch ein gespaltenes Land

Orlando · Florida gilt als klassischer Swing State. Die Interstate 4 führt von West nach Ost quer durch den Sunshine State. Wer sie entlangfährt, erlebt Amerikas ganze Vielfalt. Begegnungen eine Woche vor der Wahl.

 Vor einer Synagoge am Rande der Stadt Orlando. Saul Senders, Marilyn Senders und Elaine Weinberg (von links nach rechts).

Vor einer Synagoge am Rande der Stadt Orlando. Saul Senders, Marilyn Senders und Elaine Weinberg (von links nach rechts).

Foto: Frank Herrmann

Es gab Zeiten, da wusste Lizbeth Martell nicht, wie sie am nächsten Tag über die Runden kommen sollte. In Florida war die Immobilienblase geplatzt, es ging nur noch bergab. Lizbeth Martell verlor ihre Arbeit bei einem Bauunternehmer, damals war sie alleinerziehende Mutter. "Es war, als wären die Lichter ausgegangen. Ich habe nichts mehr verdient. Nada."

Heute managt Lizbeth eine Hausverwaltung. Sie hat Rafael, einen Automechaniker, geheiratet. Als das Gerücht kursierte, Donald Trump werde fürs Weiße Haus kandidieren, fand sie zunächst Gefallen an der Idee. "Aber dann hat er den Mund aufgemacht", sagt Lizbeth Martell und rollt mit den Augen. All die Geschichten über Trumps Umgang mit Frauen gaben den Ausschlag, dass Martell nun sehr genau weiß, wen sie wählt: Hillary Clinton.

"Bald bin ich die Königin von England!"

"Der Mann ist ein Schwein", sagt die 43-Jährige mit einer Deutlichkeit, die überrascht, ist sie doch eigentlich sehr auf Manieren bedacht. "Er soll endlich Pläne vorlegen und nicht immer nur behaupten: Ich kann es, ich kann es, glaubt mir nur. Da kann ich auch sagen: Bald bin ich die Königin von England."

Martell sitzt im Restaurant ihrer Mutter in Kissimmee, einer rasant wachsenden Stadt in der Nähe Orlandos, der Heimat von Mickey Mouse. "Puerto Rico's Café" war so etwas wie der Rettungsring, der die Familie über Wasser hielt, als inmitten der Krise sonst nicht viel lief. Die Mutter hatte es aufgemacht. Es ist eine Geschichte, wie es sie in Kissimmee zu Hunderten gibt. Viele hier stammen aus Puerto Rico. Politisch eine schwer zu berechnende Größe: Die meisten sind so wenig auf eine Partei festgelegt wie Lizbeth Martell.

Florida gilt als klassischer Swing State. Mit 21 Millionen Einwohnern ist es der bevölkerungsreichste unter jenen Bundesstaaten, in denen das Pendel mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlägt. Obendrein der ethnisch bunteste: 56 Prozent der Bewohner sind Weiße, 24 Prozent Hispanics, 17 Prozent Afroamerikaner. Und der I-4-Korridor, der Landstrich entlang der Autobahn 4, die von Tampa am Golf von Mexiko an Orlando vorbei bis nach Daytona Beach am Atlantik führt, gilt als Swing State innerhalb des Swing State. Dort lässt sich die Vielfalt der Wählerschaft wie unter einem Brennglas betrachten. Wer dort die Mehrheit holt, hat in Florida die Nase vorn. Und wer Florida gewinnt, hat gute Chancen aufs Oval Office.

Im Amphitheater auf dem Messegelände von Tampa dröhnt eine Opernarie aus den Lautsprechern, "Nessun dorma". Es wirkt wie beim Einmarsch eines Gekrönten. Gleich wird Trump die Bühne betreten, und Cassie Syska weiß, dass sie ihn nicht wählen wird. Syska wirbt um Kunden für Pauschalreisen, sie hat eine angenehme Telefonstimme, das hilft. In 46 Lebensjahren ist es ihr erster richtiger Job. In ihrer Heimatstadt New York war sie Stripperin. Florida, so beschreibt sie ihre Lebensodyssee, bedeutet Licht am Ende des Tunnels. Aber die Präsidentschaftswahl treibt sie fast zur Verzweiflung. "Keiner kriegt meine Stimme", hat Syska entschieden.

"Weiß einfach nicht, warum dieser Hass wieder aufbricht"

Eine Synagoge am Westrand Orlandos, Temple Ohalei Rivka. Saul Senders, seine Frau Marilyn und Elaine Weinberg, eine Freundin des Ehepaars, nehmen sich Zeit für ein Gespräch: "Es geht so hässlich zu, dass ich es nicht fassen kann", klagt Saul Senders, ein pensionierter Informatik-Professor. "Meine Eltern haben den Holocaust überlebt. Ich weiß einfach nicht, warum dieser Hass wieder aufbricht", sagt er und schüttelt den Kopf. Trump habe die hässliche Seite des Landes an die Oberfläche gebracht. Schon um ihn zu verhindern, werden alle drei für Hillary stimmen. Wobei sich Elaine Weinberg eine Hillary Clinton wünscht, die fester zu ihren Überzeugungen steht, statt immer so pragmatisch zu sein. "Ist sie mein Idol? Nein, das nicht. Aber ich wäre sehr stolz, würde sie Präsidentin werden."

Weiter auf der Autobahn in Richtung Ozean. In Goldsboro, 1891 gegründet, einer der ältesten afroamerikanischen Siedlungen Floridas, spricht LaShant Hawkins von einem Motivationsproblem. Die fünffache Mutter sitzt im Gemeindezentrum, an den Wänden Fotos der Helden der Bürgerrechtsbewegung. Goldsboro ist Hillary-Land, schwarze Amerikaner sind Clintons verlässlichste Stütze. Doch Hawkins, 41, erzählt davon, wie sie gegen eine gewisse Lethargie in der Generation ihrer Kinder anreden müsse.

In De Land, eine halbe Stunde vorm Atlantik, schwirren hingegen Verschwörungstheorien um einen Wahlstand der Republikaner. Drei Frauen, alle jenseits der Sechzig, sitzen auf Campingstühlen vor dem prachtvollen Gerichtsgebäude der kleinen Stadt und verbreiten haarsträubende Thesen, als wären es unumstößliche Wahrheiten. Eine handelt davon, dass der Milliardär George Soros die elektronischen Wahlmaschinen liefere, mit denen in einigen Bundesstaaten Stimmen gezählt werden. Damit manipuliere Soros das Resultat, behauptet eine Trump-Freiwillige namens Candy. Sie glaubt an ein finsteres Komplott. Im Ergebnis der Globalisierung, faselt die Trump-Sympathisantin, solle eine neue Weltordnung entstehen. Einige "sehr, sehr reiche Menschen" wollten über alles bestimmen.

"Lasst uns zusammenarbeiten"

In Daytona Beach steht Billie Wheeler auf dem Parkplatz vor einer Bibliothek. Eine Buchhalterin, die für den Gemeinderat kandidiert. Leute, die Bürgermeister, Sheriff oder auch nur städtische Grundstücksschätzer werden möchten, winken fröhlich, sobald sich Frühwähler nähern. Friedlich und freundlich läuft der Wahlkampf am Meer. Ob Demokraten, Republikaner oder Unabhängige, auf lokaler Ebene habe man sich noch immer auf Kompromisse verständigt. Das unterscheide Daytona Beach eben von Washington, sagt Wheeler und drückt dem Reporter schnell ein Flugblatt in die Hand:. "Lasst uns zusammenarbeiten, damit etwas geschieht".

Ob das im großen Maßstab auch nach der Wahl gelte? Ob das Pendel zurückschlage, ob der Ton sachlicher werde, nachdem er nun so schroff ist? "Ich hoffe, wir Amerikaner erfinden uns wieder mal neu", sagt Billie Wheeler. "Aber im Moment spüre ich davon noch nichts."

(RP)
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