Gastbeitrag von Ursula von der Leyen "USA sind der wichtigste Pfeiler in der Nato"

Berlin · Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) rät dazu, die scharfen Worte Trumps im Wahlkampf gegen Deutschland "nicht zu hoch zu werten". Die US-Wahl sieht sie als Impuls für Europa, selbst in der Sicherheitspolitik mehr Relevanz zu gewinnen.

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Amerika hat gewählt. Donald Trump ist der Sieger. Wir haben zweifellos einen extrem hart geführten US-Wahlkampf erlebt — gespickt mit gegenseitigen persönlichen Herabwürdigungen. Aber es war eine freie und demokratische Wahl, und das verdient vollen Respekt. Erste Analysen zeigen, dass die Wähler weniger für oder gegen konkrete politische Inhalte votiert haben, sondern pauschal gegen die Art, wie in Washington Politik gemacht wird.

Sie wollen generell einen deutlichen Wandel. Donald Trump ist zudem ein untypischer Kandidat, weil er zwar auf dem Ticket der Republikanischen Partei Erfolg hatte, aber nicht in deren Strukturen wie auch traditionelle Programmatik eingebunden ist. Das macht es für Deutschland und Europa so schwer, am Tag eins nach der Wahl einzuschätzen, was von einer Präsidentschaft Trump zu erwarten ist.

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Wir sind gut beraten, die scharfen Worte Donald Trumps im Wahlkampf auch gegen Deutschland nicht zu hoch zu werten. Die USA werden zunächst sehr damit beschäftigt sein, die im Wahlkampf zutage getretene enorme innere Zerrissenheit im eigenen Land zu heilen. Europa wird sich seinerseits um die USA bemühen müssen.

Wir werden auf internationaler Bühne weiter geschlossen die westlichen Werte gegenüber denen vertreten müssen, die ganz andere Vorstellungen über grundlegende Rechte haben. Auf Deutschland als große Nation in der Mitte Europas kommt eine zweifach wichtige Rolle zu: Zum einen, solche Brücken zur neuen Administration Trump zu bauen. Über Brüche und Konflikte innerhalb der Allianz freuen sich nur die, die unsere westlichen Werte nicht teilen.

Zum anderen muss Deutschland selbstbewusst die eigene Position vertreten, wo immer möglich in engem Schulterschluss mit unseren europäischen Partnern. Schon vor der Wahl in den USA war klar, dass wir Europäer in den nächsten Jahren nicht darum herum kommen werden, uns sicherheitspolitisch besser zu organisieren. Europa verfügt über großen wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss. Aber auf dem Feld der Sicherheit ist Europa bei weitem noch nicht so handlungs- und entscheidungsfähig, wie wir uns das wünschen.

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Der Aufbau von Kapazitäten geht nicht von heute auf morgen. Das Engagement der USA auch für europäische Interessen bleibt daher auch künftig unverzichtbar, denn sie sind der mit Abstand wichtigste Pfeiler in der Nato. Allerdings haben sie bereits vor den Wahlen vielfach den Wunsch geäußert, dass die europäischen Mitglieder einen größeren Anteil der Last als bisher auf ihre Schultern nehmen. Und diese Forderung bleibt auch nach der Wahl bestehen.

Europa muss mehr Verantwortung für seine Probleme in seiner unmittelbaren Umgebung übernehmen. Mehr sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit liegt deshalb auch im ureigenen Interesse der Europäer. Das zeigt schon ein Blick auf Afrika. Die Staaten unseres Nachbarkontinents wachsen in den Bevölkerungszahlen.

Der Zuwachs an Wirtschaftsleistung hinkt dagegen allzu oft hinterher. Europa tut gut daran, diese bedenkliche Entwicklung auf der anderen Seite des Mittelmeeres nicht passiv zu verfolgen oder darauf zu vertrauen, dass sich schon irgendjemand anders der Probleme annimmt. Das ist eine der zentralen Lektionen der Flüchtlingskrise. Wenn wir uns nicht um die Probleme kümmern, dann stehend irgendwann die Folgen bei uns vor der Tür.

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Die Europäische Union verfügt traditionell über einen breiten wirtschaftlichen und humanitären Instrumentenkasten, den sie auch in Afrika einsetzt. Zum nachhaltigen Erfolg fehlt aber die Verzahnung von wirtschaftlicher Entwicklung und Sicherheit. Gerade weil die Europäische Union in Afrika politisch und wirtschaftlich Relevanz hat, fällt auf, wie schwer sie sich tut, diesen Investitionen durch begleitende Sicherheitskonzepte Nachhaltigkeit zu verleihen. Umgekehrt betrachtet ist die starke zivile Seite Europas der große Unterschied zur Nato. So unverzichtbar die Nato zur Verteidigung unseres Territoriums ist, so wenig sehe ich sie in Afrika.

Europa braucht als erstes den gemeinsamen politischen Willen für mehr sicherheitspolitische Relevanz. Dafür könnte der Ausgang der Wahl in Amerika einen wichtigen zusätzlichen Impuls setzen. Damit Europa tatsächlich mehr Eigenständigkeit in Sicherheitsfragen gewinnt, braucht es mehr als den Willen zur Verantwortung. Die notwendigen Mittel und taugliche Entscheidungsstrukturen kommen hinzu. Darum geht es bei den aktuellen Bemühungen auf europäischer Ebene, Schritt für Schritt eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsunion aufzubauen.

Die Brexit-Entscheidung und die Wahl in den Vereinigten Staaten stellen viele Weichen neu. Europa wird sich auf grundlegende Veränderungen einstellen müssen und sich auf den Weg machen. Das kann auch eine Chance für Europa sein, ebenso für ein ausgewogeneres Verhältnis zu den USA - unserem alten und neuen engsten Bündnispartner.

Ursula von der Leyen ist Bundesverteidigungsministerin.

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(RP)
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