Steinmeier begrüßt Stopp USA ziehen Pläne für Raketenschild zurück

Washington (RPO). US-Präsident Barack Obama kann jede Botschaft in mitreißende Worte verpacken. Doch für die Entscheidung, die er am Donnerstag zu verkünden hatte, wählte der meisterhafte Redner auffällig schlichte Worte. Er strebe einen "neuen Ansatz" bei der Raketenabwehr an, sagte Obama, ehe er darauf zu sprechen kam, dass die USA auf die umstrittene Stationierung eines Raketenschilds in Polen und Tschechien verzichten wollten.

US-Raketen in Europa: Warum, wozu und gegen wen?
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Foto: AP

Es ist eine Entscheidung mit weit reichenden außenpolitischen Konsequenzen, doch Obama wollte bei seinem Auftritt im Weißen Haus nicht einmal von einer Kehrtwende sprechen. Es handle sich lediglich um eine Kurskorrektur, erzwungen durch eine veränderte Bedrohungslage und die Entwicklung neuer Waffentechnologien. "Unsere neue Raketenabwehr-Architektur in Europa gewährleistet eine stärkere, klügere und raschere Verteidigung", sagte Obama.

Obamas rhetorische Vorsicht zeigte, auf welch dünnem Eis er sich bewegte. Er musste den Eindruck vermeiden, die USA knickten unter dem Druck Russlands ein und räumten damit dem Kreml eine Art Veto-Recht in Entscheidungen der US-Sicherheitspolitik ein. Außerdem musste er dem Verdacht entgegentreten, die USA ließen ihre Verbündeten Polen und Tschechien allein: Beide Länder hatten mit ihrem Ja zur Stationierung Streit mit Russland in Kauf genommen.

Obamas Vorgänger George W. Bush hatte mit seinem Plan eines radargestützten Abwehrsystems, das feindliche Raketen über Europa im Flug zerstört, ein Zerwürfnis mit Moskau riskiert. Russland sah den Raketenschild, der eine Radaranlage in Tschechien und zehn Abfangraketen in Polen umfassen sollte, als grobe Störung des strategischen Gleichgewichts in Europa. Das US-Projekt stand Obamas Wunsch im Weg, Russland für eine neue Runde atomarer Abrüstung und für ein schärferes Vorgehen im Atomstreit mit dem Iran zu gewinnen.

Bedrohung aus dem Iran geringer als erwartet

Um jeden Eindruck eines Tauschhandels mit Russland über die Köpfe der Polen und Tschechen hinweg zu vermeiden, begründete Obama die Entscheidung rein militärisch-strategisch, nicht etwa politisch. Zum einen sei die Bedrohung durch Langstreckenraketen aus dem Iran, gegen den sich der Schild in erster Linie richtete, geringer als angenommen. Zum anderen gebe es rüstungstechnisch bessere Alternativen, die "bewährt und kosteneffektiv" seien. Als Beispiel nannte Obama seegestützte Systeme auf Militärschiffen.

Die Erläuterung der Details überließ Obama seinem Verteidigungsminister Robert Gates. Statt des neuen Raketenschilds sollten bestehende Systeme der Raketenabwehr in Europa modernisiert werden, sagte Gates. Um das Jahr 2015 könne mit der Aufstellung der überarbeiteten Raketen begonnen werden, auch mit Polen und Tschechien werde über eine Stationierung verhandelt. Die Erneuerung der Systeme biete "kurzfristig Raketenabwehr-Schutz vor Bedrohungen aus dem Iran und anderswo", sagte Gates.

Moskau begrüßt Entscheidung

In Moskau stieß die Entscheidung aus Washington auf Beifall: "Die Regierung Obama beginnt, uns zu verstehen", sagte der Vorsitzende des Duma-Außenausschusses, Konstantin Kosatschew. "Darauf hat Russland lange gewartet." Gibt es nach der Kehrtwende also nur Sieger? Nein, lautet die Antwort in Osteuropa. Die Regierungen in Polen und Tschechien haben die Raketenabwehr gegen große Widerstände aus Moskau und in der eigenen Bevölkerung durchsetzen müssen. Nun fühlen sie sich von Obama im Stich gelassen.

Der Sicherheitsberater des russlandkritischen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, der die Stationierung unterstützt hatte, verbarg seinen Ärger nicht. "Wenn sich das bestätigt, wäre es ein Versagen im langfristigen Denken der USA für diesen Teil Europas", sagte Aleksander Szczyglo. Der frühere tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek, unter dessen Regierung Tschechien die Zustimmung zur Stationierung erteilt hatte, sagte: "Das sind keine guten Nachrichten für Tschechien, seine Freiheit und Unabhängigkeit". Die Entscheidung der USA stelle "eine gewisse Bedrohung" für Tschechien dar.

Steinmeier begrüßt Stopp des geplanten US-Raketenschilds

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama begrüßt, den Aufbau einer Raketenabwehr in Osteuropa zu stoppen. "Ich freue mich, dass wir nach der heutigen Entscheidung nun die Möglichkeit haben, das Thema der Raketenabwehr in Europa noch einmal mit allen Partnern neu zu diskutieren", erklärte der SPD-Politiker am Donnerstag in Berlin.

Steinmeier sagte, dieser Schritt Obamas sei ein Signal an alle Partner, dass die amerikanische Regierung gemeinsame Lösungen anstrebe. "Ich habe von Beginn an angemahnt: Am Ende brauchen wir mehr und nicht weniger gemeinsame Sicherheit. Deshalb war ich immer der Überzeugung, dass wir auf gemeinsame Bedrohungen auch gemeinsame Antworten finden müssen." Die US-Pläne waren in Russland auf vehemente Kritik gestoßen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den US-Verzicht auf das Raketenschild in Osteuropa als "hoffnungsvolles Signal" für ein gemeinsames internationales Vorgehen gegenüber dem Iran bezeichnet. Vor Beginn des EU-Sondergipfels zur Weltwirtschaftskrise am Donnerstagabend in Brüssel sagte Merkel, sie hoffe, dass nun die Schwierigkeiten mit Russland überwunden werden könnten und eine einheitliche Strategie im Umgang mit der Bedrohung aus dem Iran entwickelt werden könne, die gegebenenfalls auch in Sanktionen münde.

(RTR/pst)
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