Wahl in Großbritannien Warum wählen die Briten eigentlich an einem Donnerstag?

London · Bis zum späten Abend stimmen die Briten über ein neues Unterhaus ab. Warum sie ausgerechnet an einem Donnerstag wählen, weiß niemand so genau. Aber es könnte damit zu tun haben, wann die Arbeiter früher ihren Lohn bekamen – und dann in den Pub gingen.

 Premierministerin Theresa May.

Premierministerin Theresa May.

Foto: rtr, AW

Bis zum späten Abend stimmen die Briten über ein neues Unterhaus ab. Warum sie ausgerechnet an einem Donnerstag wählen, weiß niemand so genau. Aber es könnte damit zu tun haben, wann die Arbeiter früher ihren Lohn bekamen — und dann in den Pub gingen.

Fast ein Jahr nach dem Brexit-Referendum wählen die Briten vorzeitig ein neues Parlament. Seit acht Uhr haben die mehr als 40.000 Wahllokale in England, Schottland, Wales und Nordirland geöffnet. Premierministerin Theresa May möchte mit der vorgezogenen Parlamentswahl eine größere Mehrheit für ihre Tories und damit mehr Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen bekommen.

Die Konservative will Großbritannien sowohl aus der EU als auch aus dem Europäischen Binnenmarkt führen. Die Gespräche mit Brüssel beginnen am 19. Juni. Die 60-Jährige droht mit einem Scheitern der Verhandlungen: Kein Deal sei besser als ein schlechter. Der Ausgang der Wahl wird mit entscheiden, wie gütlich sich Großbritannien nach mehr als 40 Jahren von der Staatengemeinschaft trennt.

Umfragen zufolge könnte die Konservative ihr Ziel einer komfortablen Mehrheit im britischen Parlament verfehlen. Als May die Neuwahl ausrief, lagen die Konservativen zeitweise noch mehr als 20 Prozentpunkte vor Labour. Fehler Mays ließen den Vorsprung aber bis auf wenige Prozentpunkte im einstelligen Bereich schmelzen. So verweigerte May gemeinsame TV-Duelle mit Labour-Chef Jeremy Corbyn. Bei Wahlkampfauftritten wirkte die 60-Jährige verkrampft.

Nach drei Terroranschlägen in Großbritannien in drei Monaten warfen ihr Kritiker zudem vor, während ihrer Zeit als Innenministerin für den Abbau von über 20.000 Stellen bei der Polizei mitverantwortlich gewesen zu sein. Auf starke Kritik der Opposition stießen ihre Äußerungen, notfalls Menschenrechte einzuschränken, um Terrorverdächtige länger festzuhalten oder schneller abzuschieben. Corbyn verspricht im Wahlprogramm 10.000 zusätzliche Polizisten.

Der Altlinke spricht junge Wähler an. Sein Ziel: die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. So will er Studiengebühren abschaffen, die Bahn verstaatlichen und das marode Gesundheitssystem auf Vordermann bringen. Er gilt aber als führungsschwach.

Der rechtspopulistischen Partei Ukip droht der Kollaps bei der Wahl. Im Parlament waren die EU-Gegner zuletzt nicht mehr vertreten. Im März war der Inhaber ihres einzigen Abgeordnetensitzes aus der Partei ausgetreten. "Die Konservativen werden vermutlich viele Ukip-Wähler abziehen", sagte John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow.

Die Briten können bis 23 Uhr ihre Stimme abgeben. Eine auf Wählerbefragungen basierende Prognose folgt direkt nach Schließung der Wahllokale. Die Auszählung der Stimmbezirke dauert die ganze Nacht. In einigen Bezirken geht es tagsüber weiter. Nachts dürfte sich ein belastbarer Trend des Wahlergebnisses abzeichnen, das Endergebnis wird aber erst am Nachmittag vorliegen.

Das Unterhaus hat so viele Sitze wie Großbritannien Wahlkreise: 650. Vor seiner Auflösung am 3. Mai schickten die Konservativen die meisten gewählten Volksvertreter ins Parlament: 330 Sitze — die absolute Mehrheit — standen den Tories zu. Labour holte bei der letzten Wahl im Jahr 2015 insgesamt 232 Sitze. Die Schottische Nationalpartei (SNP) war mit 56 Sitzen die drittstärkste Kraft. Die Liberaldemokraten, die als einzige landesweite Partei für einen Verbleib in der Europäischen Union kämpfen, hatten acht Sitze.

Großbritannien hat ein reines Mehrheitswahlrecht. Um einen Sitz zu bekommen, müssen Politiker in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen holen. In Deutschland haben Wähler eine Erststimme für Direktkandidaten und eine Zweitstimme. Die Zweitstimme ist für die Verteilung der Sitze an die im Parlament vertretenen Parteien maßgeblich. Die Briten haben hingegen nur eine Stimme.

Bei 650 Abgeordneten im Unterhaus ergäbe sich rechnerisch bei 326 eine absolute Mehrheit. Der künftige Premierminister wird aber wohl etwas weniger Stimmen brauchen. Die gewählten Vertreter der nordirischen Partei Sinn Fein nehmen traditionell ihre Sitze in Westminster nicht ein — aus Protest gegen Großbritannien. Die katholisch-republikanische Partei Sinn Fein hat einen festen Wählerstamm; 2015 holte sie vier Sitze.

Dass in Großbritannien donnerstags Wahltag ist, hat Tradition — seit 1935 ist das so. Auch Regionalwahlen finden an Donnerstagen statt. Seit 2011 ist der Wochentag für landesweite Parlamentswahlen sogar gesetzlich im "Fixed-term Parliaments Act" festgelegt.

Warum es ausgerechnet ein Donnerstag ist, weiß so genau niemand. Eine Theorie: Am Freitag bekamen die Arbeiter ihren Lohn — und danach gingen viele Wähler lieber in einen Pub als ins Wahllokal. Grund könnte auch sein, dass Donnerstag in vielen Städten Markttag war und Leute aus der Umgebung ohnehin in die Stadt kamen. Gemutmaßt wird außerdem, dass die neue Regierung sich übers Wochenende in Ruhe bilden sollte.

(th/dpa)
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