Haiti Wahlkampf in Zeiten der Cholera

Port-au-Prince (RP). Mindestens 2000 Haitianer sind an der Cholera-Epidemie gestorben. 1,3 Millionen Obdachlose leben unter katastrophalen Bedingungen. Die Gewalt im Land nimmt zu. Dennoch will die internationale Gemeinschaft am Sonntag die Neuwahl des Präsidenten abhalten lassen. Die Begründung: Nur so komme das schwer erschütterte Land zur Ruhe.

 Überforderter Präsident: Rene Preval (rechts) steht nicht mehr zur Wahl.

Überforderter Präsident: Rene Preval (rechts) steht nicht mehr zur Wahl.

Foto: AP, AP

Die Cholera, die Mitte Oktober in der Provinz Artibonite ausgebrochen ist, ist in dieser Region Haitis soeben erfolgreich eingedämmt worden. Die Neuerkrankungen gingen deutlich zurück, berichtete die deutsche Ärztin Irmgard Harms unserer Zeitung. Doch zur Entwarnung sei leider kein Anlass: "In anderen Teilen Haitis nehmen die Infektionen weiterhin deutlich zu."

Außerdem verlaufe die Durchfallerkrankung in Wellen. Die Epidemie breite sich insgesamt immer schneller aus, bestätigte der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Haiti, Nigel Fisher. Zehntausende seien erkrankt, um die 2000 Menschen gestorben.

Einfache Maßnahmen wie die Ausgabe sauberen Trinkwassers, die Anleitung zu mehr Sauberkeit und die Behandlung von geschwächten Patienten mit Zucker-Salz-Lösungen hätten große Wirkung erzielt, sagte Harms, die in der Ortschaft Drouin mit einem Team der medizinischen Hilfsorganisation Humedica (Kaufbeuren) Cholera-Erkrankte behandelt.

Doch nach dem schweren Erdbeben im Januar leben die meisten der 1,3 Millionen Obdachlosen immer noch in Zelten; die hygienischen Bedingen sind nach wie vor katastrophal. "Eine Leiche wird nicht abgeholt oder auf die Straße geworfen, weil jeder Angst vor der Cholera hat und niemand die Verantwortung übernehmen will", sagte Nicole Bergmann, die für das Bündnis "Aktion Deutschland Hilft" in Carrefour arbeitet.

Die Epidemie wird von den Politikern im Präsidentschaftswahlkampf instrumentalisiert. 19 Kandidaten treten an; einige glauben, von der zunehmenden Wut über die 12 000 Mann starke UN-Schutztruppe profitieren zu können. Bei Unruhen gab es bereits mehrere Tote: Nepalesische UN-Soldaten waren bezichtigt worden, die Cholera eingeschleppt zu haben.

Auch die vielen Tausend ausländischen Helfer werden inzwischen teilweise als Besatzer angesehen, weil sich die Lage in dem korrupten Land nur schleppend verbessert. Mehr als 1300 Slums soll es rund um die Hauptstadt Port-au-Prince geben. Das Trinkwasser ist verschmutzt; Müllberge türmen sich in den noch immer nicht beseitigten Erdbeben-Trümmern. Starke Regenfälle, Hochwasser und Tropenstürme haben die Situation weiter verschlimmert.

Trotzdem sprach sich der US-Botschafter in Haiti, Kenneth Merten, für die Beibehaltung des Wahltermins am Sonntag aus. Für die Seuchenbekämpfung und den Wiederaufbau brauche das Land eine demokratisch legitimierte Führung. Allein das Abtragen der Trümmer wird nach UN-Schätzungen fast eine Milliarde Euro kosten.

Viele Haitianer haben sich indes gar nicht erst in den Wählerlisten registrieren lassen. Zwei Millionen Bürger sollen beim Beben ihre Dokumente verloren haben — doch nur ein Bruchteil stellte bislang einen Antrag auf einen Ausweis.

In drei Städten protestierten in den vergangenen Tagen aufgebrachte Demonstranten gewaltsam gegen die personelle Besetzung der Wahllokale. Daran beteiligten sich auch Anhänger der oppositionellen Kandidatin Mirlande Manigat.

Die Demonstranten fürchten Manipulationen, weil vor allem Anhänger des Regierungskandidaten Jude Célestin als Wahlhelfer eingesetzt werden sollen. Auch Irmgard Harms berichtete über zahlreiche Protestkundgebungen. "Ausländer sollten sich lieber fernhalten."

(RP)
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