Unterwegs in Pennsylvania In den Tälern der Vergessenen

Monessen/Scranton · Warum konnte der künftige US-Präsident Donald Trump ausgerechnet in Pennsylvania die Wahl für sich entscheiden? Auf seinem Streifzug durch den Rust Belt sah unser Autor viele Ruinen und sprach Menschen, die dennoch bleiben. Was erwarten sie von Trump?

 Unser Autor besuchte zwei Städte in Pennsylvania, unter anderem Monessen. Viele Gebäude im Ort sind baufällig.

Unser Autor besuchte zwei Städte in Pennsylvania, unter anderem Monessen. Viele Gebäude im Ort sind baufällig.

Foto: Frank Herrmann

Lou Mavrakis liebt derbe Worte. Er kann fluchen wie ein Bierkutscher, oder besser: wie der Stahlkocher, der er früher mal war. Und um drastisch zu beschreiben, wie seine Stadt seit Jahren vergammelt, hat er sich eine Metapher zurechtgelegt, die seine Besucher schockieren soll. "Kämen die Schurken des IS nach Monessen, würden sie glatt weiterziehen. Sie würden sich sagen, sparen wir uns das, jemand hat diesen verdammten Ort bereits bombardiert." Dann zieht der Bürgermeister von Monessen eine Schublade auf und holt drei Briefe heraus, alle geschmückt mit seinem Amtssiegel.

 Lou Mavrakis, Bürgermeister von Monessen, Pennsylvania, am Fifth Avenue Hotel. Es wurde einst benannt nach der Prachtstraße in New York, an der Donald Trump lebt. Heute ist es eine Ruine.

Lou Mavrakis, Bürgermeister von Monessen, Pennsylvania, am Fifth Avenue Hotel. Es wurde einst benannt nach der Prachtstraße in New York, an der Donald Trump lebt. Heute ist es eine Ruine.

Foto: Frank Herrmann

Dreimal, im April, im Juni und im Juli, hat er an Barack Obama geschrieben. "Lieber Herr Präsident, ich brauche Ihre Hilfe", lautete jedes Mal der erste Satz. Monessen habe keine Zukunft, wenn die Stadt nicht das Geld erhalte, das sie brauche, um wenigstens ihre schlimmsten Häuserruinen abreißen zu können. Die Regierung, schrieb Mavrakis, pumpe Milliarden an Steuergeldern in Länder, die Amerika hassten, während sie die Probleme im eigenen Land ignoriere. Obama möge mit Hillary Clinton nach Monessen kommen, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass man sie nicht im Stich lasse, bat Mavrakis. Auf eine Antwort, sagt er, warte er bis heute. Wer kam, war Donald Trump.

Auf dem Hof einer Aluminium-Recyclingfabrik hielt der Tycoon eine Rede, über die Mavrakis sagt, dass sie für die Leute zumindest ein Hoffnungsschimmer war. Ein zweites Mal greift der Bürgermeister in eine Schublade, diesmal reicht er einen Zettel mit Wahlergebnissen über den Tisch. Rund 800 Monessener, die 2012 noch für Obama gestimmt hatten, sind zu den Republikanern, zu Trump übergelaufen, liest er aus dem Resultat heraus. "Und ich sage Ihnen, falls hier früher einer für die Republikaner war, dann war er gut beraten, das nicht an die große Glocke zu hängen."

Monessen liegt südlich von Pittsburgh im Tal des Monongahela River, im Steel Valley, wie es einst hieß. Der Name der Stadt geht zurück auf Essen, kombiniert mit einem Mon für Monongahela. Rauchende Schlote, Stahlschmelzen, Walzwerke: ein zweites Ruhrgebiet im Südwesten Pennsylvanias, so sieht man es auf alten Fotos. Aus Monessen kam das Blech für die Autos von Chrysler, von hier kamen die Stahlseile der Golden Gate Bridge. Starke Gewerkschaften kämpften für Löhne, von denen die Malocher sich ein bescheidenes Häuschen kaufen und ihre Kinder aufs College schicken konnten.

Für die Gewerkschaften kämpften die Demokraten, während die Republikaner auf der anderen Seite der Barrikade standen. Lange wirkte das Raster nach, auch noch, als im Steel Valley keine Schlote mehr rauchten. Aus diesem Grund, meint Mavrakis, hätten Demokraten wie Obama und Clinton geglaubt, sie bräuchten sich nicht zu kümmern um eine Stadt wie Monessen. "Sie dachten, sie hätten unsere Treue gepachtet. Und das ist nun die Quittung."

 Lou Mavrakis vor den verlassenen Läden an der Donner Avenue, der einstigen Geschäftsstraße der Stadt.

Lou Mavrakis vor den verlassenen Läden an der Donner Avenue, der einstigen Geschäftsstraße der Stadt.

Foto: Frank Herrmann

Wenn Mavrakis, Sohn eines griechischen Einwanderers, an seinem Bürofenster steht und die Industrielandschaft am Fluss in Gedanken wiederaufleben lässt, packt ihn die Wehmut. "Schauen Sie, 23.000 Jobs im Radius von zweieinhalb Meilen. Und was ist davon übrig geblieben? Eine Kokerei mit 181 Arbeitsplätzen." 7500 Menschen leben noch in Monessen, es waren einmal 25.000. Vierhundert Gebäude sind baufällig. Unter offenen Dächern sammelt sich Taubenkot, in den Häuserhöhlen spritzen sich Heroinsüchtige nachts Drogen in die Venen. Erst vor ein paar Tagen starben zwei junge Männer an einer Überdosis.

"Falls Sie jetzt denken, ich sei naiv, dann kann ich nur sagen, Sie irren sich", antwortet Mavrakis, wenn man ihn nach Trumps großen Verheißungen fragt. Natürlich wisse er, dass die Hochöfen nicht zurückkehren. Natürlich sei ihm klar, dass sich Stahl in China billiger kochen lasse. Natürlich habe Trump den Mund zu voll genommen, als er in Monessen versprach, eine Renaissance der amerikanischen Stahlindustrie einzuläuten. "Aber wissen Sie was, wenigstens hat er sich für uns interessiert."

Im Rostgürtel der alten Industrie, in Staaten wie Pennsylvania, Michigan, Ohio und Wisconsin, hat der Populist das Duell gegen Clinton zu seinen Gunsten entschieden. In Pennsylvania ist er seit 1988 der erste Republikaner, dem die Wähler im Rennen ums Weiße Haus den Vorzug vor den Demokraten gaben. Was in Monessen geschah, hat sich hundertfach wiederholt im Rust Belt.

Auch in Scranton, knapp fünf Autostunden vom Steel Valley in Richtung Nordosten. 76.000 Einwohner, ein Ort, der in mindestens zwei Politikerbiografien eine wichtige, mit Symbolik überfrachtete Rolle spielt. Joe Biden wuchs in der Stadt auf, in seinen Reden steht ihr Name als Synonym für die Werte der Arbeiterklasse — Solidarität, Pflichtgefühl, Verlass aufeinander. Hillary Clinton, deren Vater Hugh Rodham aus Scranton stammt, wurde dort in einer Methodistenkirche getauft. In Scranton kam sie in der Wahlnacht zwar als Erste durchs Ziel, aber mit viel knapperem Vorsprung, als es die Demoskopen vorausgesagt hatten.

Im Gewerkschaftslokal Nr. 489 wirkt Robert Cosgrove wie die personifizierte Ratlosigkeit. Der Mann hat Arme, die hart und dick sind wie Laternenpfähle. Er hat Jahre auf Baustellen verbracht, um Stahlgerüste hochzuziehen. Jetzt spricht er von seiner Angst vor Trump, dem Kahlschlagsanierer. "Ich erwarte nichts Gutes von ihm", sagt Cosgrove. Der Geschäftsmann sei gewiss kein Freund der Gewerkschaften, er stehe für die Theorie der Trickle-down-Ökonomie, nach der Wohlstand von oben nach unten durchsickere, was noch nie funktioniert habe.

"Er redet zwar davon, dass die Vergessenen im Land nicht länger vergessen sind. Aber was heißt das konkret?" Eines muss der schnauzbärtige Hüne dem Immobilienmogul lassen, ein feines Gespür für Stimmungen. "Er ist ein exzellenter Verkäufer. Er hat den Vereinigten Staaten von Amerika Donald Trump, den Präsidenten, verkauft."

Lou Mavrakis fährt kreuz und quer durch Monessen, steile Abhänge hinauf und wieder hinunter. Er nennt es seine Ruinentour. Im Fifth Avenue Hotel, das so heißt wie die Straße, in der Donald Trump in New York wohnt, steht noch die Bar. Es riecht nach Schimmel, die Teppiche sind von Moos überzogen. Ein Fall für den Bulldozer, meint Mavrakis. Gegenüber verfällt der rote Backsteinklotz einer aufgegebenen Textilfabrik.

 Robert Cosgrove, Chef des Gewerkschaftslokals Nr. 489 in Scranton, Pennsylvania.

Robert Cosgrove, Chef des Gewerkschaftslokals Nr. 489 in Scranton, Pennsylvania.

Foto: Frank Herrmann

"Wenn Herr Trump käme, um seine Krawatten hier nähen zu lassen statt drüben in China, dann wäre das schon ein Anfang. Dann würde ich sagen, ja, Monessen bekommt auch ein kleines Stück ab vom großen Kuchen", sagt Mavrakis. Zwölf Monate will er dem nächsten Präsidenten Zeit geben, dann will er sehen, ob er liefert, ob den Sprüchen Taten folgen. "Wenn nicht, fange ich an, ihm Briefe zu schreiben."

(fh)
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