Was bei einem "Graccident" passiert Die Griechen riskieren den Euro-Crash

Berlin · Während der griechische Regierungschef Alexis Tsipras unter dem Druck der kritischen Finanzlage seines Landes für Donnerstag ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Spitzenpolitikern der EU erbeten hat, konstatieren Experten, dass die Gefahr eines "Grexits" hoch wie nie sei.

Alexis Tsipras - selbsternannter Retter Griechenlands
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Das ist Alexis Tsipras

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Foto: dpa, sp ase tba

Vor wenigen Tagen ist Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach dem Risiko eines "unfallartigen Ausbruchs" Athens aus dem Euro gefragt worden. "Da wir nicht so genau wissen, was die Verantwortlichen in Griechenland tun, können wir es nicht ausschließen", war die Antwort. Seitdem hat eine neue Wortschöpfung Konjunktur: der "Graccident" - eine Kombination aus "Greece" und "Accident", Griechenland und Unfall.

Die Frage ist dabei nicht mehr, ob Athen aus dem Euro "rausgeworfen" werden sollte oder ob die neue Regierung selbst zur Drachme zurück "will". Die Frage ist: Fliegen die Griechen aus der Kurve, ohne das Berlin, Brüssel oder Athen dies überhaupt verhindern könnten?

Seit fünf Jahren wird um das Überleben der Hellenen im Euro gerungen. Nach Antritt der neuen Links-rechts-Regierung sei das Land nun "relativ nah dran an einem 'failed state', in dem Entscheidungen nicht mehr richtig funktionieren", sagt Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Bruegel-Instituts. Die Wahrscheinlichkeit, dass Athen jetzt wirklich aus dem Euro fliege, sei "höher als je zuvor".

In den EU-Verträgen existiert ein Euro-Austritt nicht. In der realen Welt wird Athen derzeit nur noch von der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Währungsunion gehalten. Diese genehmigt der griechischen Zentralbank, den Banken des Landes Geld zu leihen. Aber nur, weil Athens Zentralbank Sicherheiten hinterlegt, die zum Teil an der Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates hängen. In dem Moment, in dem Finanzminister Giannis Varoufakis einen Teil der Rechnungen des Staates nicht mehr bezahlt (weil er es nicht will oder kann), bricht das System eigentlich zusammen. Denn dann sind die hinterlegten Sicherheiten der griechischen Zentralbank nicht mehr sicher - und dürfen von der EZB nicht mehr akzeptiert werden.

"Unschönes Szenario könnte Realität werden"

Ein "unschönes" Szenario könnte Realität werden, heißt es nicht nur bei der EZB. Damit die Kunden ihre Konten nicht plündern, müssten die Banken über Nacht geschlossen werden. Ein entsprechendes Gesetz gibt es aber gar nicht - würde die neue Regierung es überhaupt rechtzeitig durchs Parlament bringen? 240 Milliarden Euro wären sonst weg, meint Wolff. So viel Geld hätten die Griechen noch in ihren Depots. "Das kann die EZB nicht ersetzen." Die einzige Möglichkeit, die Varoufakis bliebe, wenn die EZB den Stecker zöge: "Er müsste selber Geld herausgeben. Neues Geld, keine Euro."

Noch fährt Griechenland mit hohem Tempo auf die Kurve zu - ist aber noch auf der Strecke. Im Februar - ihrem ersten Monat im Amt - nahm die Regierung eine Milliarde Euro weniger ein als geplant, sparte aber 900 Millionen zusätzlich zusammen. Etwa, indem sie Rechnungen einfach liegen ließ. Erste Analysten sehen Athen deswegen schon in einem "Schwebezustand" - die Räder haben schon mal den Bodenkontakt verloren.

Beim EU-Gipfel ab Donnerstag könnte es zum Krisentreffen kommen. Am Montag empfängt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Griechen-Premier Alexis Tsipras. Wird noch die Notbremse gezogen? EZB-Vertreter sehen die Chance. Die Euro-Länder könnten etwa für Athen bürgen - im Gegenzug für verbindliche Reformzusagen. Dann ließe die EZB den Stecker drin. Schäuble hat allerdings die Nase voll. Die Griechen hätten "alles Vertrauen wieder zerstört", sagte er am Montagabend.

Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo-Instituts, kann der "Unfall"-These übrigens nicht viel abgewinnen. Varoufakis sei Spieltheoretiker und bereite ganz gezielt das "Endgame" vor, sagt er der Nachrichtenagentur AFP. "Er will am liebsten ganz viel Geld und im Euro bleiben. Aber wenn er es nicht kriegt, dann wird er den Staatskonkurs nebst Austritt provozieren, um seine Schulden loszuwerden." Für seinen Gegenspieler Schäuble wäre dann die schwarze Null unter dem eigenen Haushalt in Gefahr. Er hat Athen 63 Milliarden Euro geliehen.

Kurzfristige Verhandlungen?

An dem von Tsipras erbetenen Gespräch, das vor dem Frühjahrsgipfel der EU in Brüssel stattfinden könnte, sollen zudem Frankreichs Präsident François Hollande, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EZB-Chef Mario Draghi teilnehmen, wie ein griechischer Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur AP sagte.

Das Gesuch wurde den Angaben zufolge am Dienstag offiziell gestellt, es gebe aber noch keine Antwort aus Brüssel, hieß es. Ziel sei es, die festgefahrenen Verhandlungen über die Rettungsgelder und die dafür geforderten Reformen zu überwinden. Unabhängig von diesem Treffen wird Tsipras mit Merkel am kommenden Montag in Berlin und mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 8. April zusammentreffen.

Die Aussicht auf ein Gespräch in Brüssel sorgte an den Finanzmärkten für leichte Entspannung. Die Renditen für griechische Staatsanleihen sanken, und an der griechischen Börse stiegen die Aktienkurse nach den Verlusten vom Montag.

Auf dem Euro-Land lastet nicht nur ein milliardenschwerer Schuldenberg. Auch könnte die Regierung in Athen bald ohne Bargeld dastehen. Die Gespräche zwischen Griechenland und den europäischen Geldgebern drehen sich derzeit um die Liste der Reformen, die Griechenland umsetzen muss, um die nächste Tranche des Rettungskredits zu erhalten.

(AFP)
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