Für die Schotten, für Großbritannien, für die EU Was eine Unabhängigkeit Schottlands bedeuten würde

London · Das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands rückt näher. Das macht nicht nur die Regierung in London, sondern auch Investoren nervös. Und auch im Ausland wird nicht ohne Grund gespannt auf das Ergebnis der Abstimmung gewartet. Aber was würde eine Ablösung Schottlands eigentlich bedeuten? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Thema.

 Hier könnte bald eine echte Landesgrenze sein, bislang ist es nur eine symbolische und geografische.

Hier könnte bald eine echte Landesgrenze sein, bislang ist es nur eine symbolische und geografische.

Foto: afp, aa

Sie dürften sich gestärkt fühlen wie schon lange nicht mehr, wenn sie am heutigen Donnerstag in Barcelona auf die Straße gehen — die Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien. Denn angesichts des bevorstehenden Referendums in Schottland und der Umfragen, die beide Parteien quasi gleichauf sehen, wachsen auch dort die Hoffnungen bezüglich der eigenen Zukunft.

Warum ist das Referendum in Schottland für die Katalanen so wichtig?

Auch die autonome Region Katalonien hat für November ein Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien angekündigt. Die Regierung in Madrid hat dies zwar verboten und für verfassungswidrig erklärt, abhalten wollen es die Befürworter der Unabhängigkeit aber dennoch. Und ein Ja zur Abspaltung von Schottland könnte der Bewegung Zulauf verschaffen. "Das ist sehr wichtig für Katalonien", sagte der katalanische Regionalpräsident Artur Mas der Nachrichtenagentur AFP. "Denn das bedeutet: Wenn eine Nation wie Schottland das Recht hat, über seine Zukunft zu bestimmen — warum soll es dann nicht auch Katalonien tun?" Der Druck auf Madrid dürfte in jedem Fall steigen. Und auch andere europäische Regionen könnten dies zum Anlass für ihr Handeln nehmen — so etwa das Baskenland, Flandern in Belgien oder auch Nordirland. Entsprechend gespannt wird bei einem Ja aus Schottland auch in Richtung EU geblickt.

Welche Rolle spielt die EU bei einer Abspaltung Schottlands?

Es geht um die Frage, ob Schottland dann noch in der Europäischen Union verbleiben kann oder nicht. Für die Übergangszeit — also bis zum angestrebten Unabhängigkeitstag am 24. März 2016 —würden sie das. Umstritten ist aber, ob das auch noch danach so sein darf, weil es keinen Präzedenzfall gibt. Rein völkerrechtlich, so schreibt Nicolai von Ondarza auf der Webseite der Stiftung Wissenschaft und Politik, enstehe mit der Ablösung von Großbritannien aber ein neuer Staat, "der der EU unter den derzeitigen Bedingungen neu beitreten müsste". Der EU-Beitritt Schottlands werde damit nicht zum Selbstläufer, urteilt die Ökonomin Katrin Löhken von der Privatbank Sal.Oppenheim. Und sollte es die EU den Schotten leicht machen, wäre dies auch ein Zeichen für die anderen Regionen Europas, die nach Unabhängigkeit streben. Aber auch auf Großbritanniens EU-Mitgliedschaft hätte dies Auswirkungen.

Welche Auswirkungen sind das?

Ein Austritt Großbritanniens aus der EU würde damit wahrscheinlicher werden. Denn die Regierung in London hat den Bürgern für 2017 ein Referendum in Aussicht gestellt, in dem sie über die Zukunft hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft entscheiden können. Das Problem: Die Schotten sind viel europafreundlicher eingestellt als viele Engländer. Wenn aber Schottland sich abspaltet, verlören die Befürworter des EU-Verbleibs viele Stimmen. Zwar stellen die Schotten nur rund vier Millionen der 45 Millionen wahlberechtigten, aber ihr Fehlen könnte am Ende den Ausschlag geben. Und ein Austritt aus der EU käme London sehr teuer zu stehen.

Falls die Schotten für die Abspaltiung stimmten, wie geht es dann weiter?

Die schottische Regierung will in diesem Falle möglichst rasch die parlamentarischen Befugnisse von London nach Edinburgh verlegen. Ein Konvent soll dann eine schottische Verfassung ausarbeiten. Das Land soll aber weiter konstitutionelle Monarchie mit der Queen als Staatsoberhaupt sein und im Commonwealth of Nations bleiben. In der Übergangszeit müssten aber auch noch eine Menge andere Fragen geklärt werden.

Welche Fragen sind das?

Die wichtigste ist die nach der Währung. Die Schotten stehen dem Euro angesichts der Krise skeptisch gegenüber und wollen das Pfund als Währung behalten. Das aber lehnt London kategorisch ab, weil dies — so zeige es die EU — nur in einer Wirtschaftsunion funktioniere. Die Schotten beharren dennoch auf eine Beibehaltung des Pfunds als Währung, was durchaus möglich ist. Einen Einfluss auf die Geldpolitik hätte das Land dann aber nicht.

Welche Fragen sind noch zu klären?

Da ist zum einen die Frage nach der Aufteilung der Staatschulden in Höhe von 1,8 Billionen Euro. Schottland schlägt hier einen Schlüssel nach den Einwohnern vor. Zum anderen müsste geklärt werden, was mit den Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee passiert. Werden diese rein geografisch aufgeteilt, würde sich Schottland den Löwenanteil von 85 Prozent sichern. London hätte das Nachsehen.

Vor welchem Problem steht Großbritannien noch?

Die Atomwaffenfrage ist noch ungeklärt. Denn London hat vier mit Atomwaffen bestückte U-Boote auf einer Marine-Basis in Schottland stationiert. Den Nationalisten dort sind diese aber ein Dorn im Auge, sodass sich Großbritannien im Falle der Unabhängigkeit auch einen neuen Standort für seine Atomwaffen suchen müsste.

Was ist mit der Nato-Mitgliedschaft Schottlands?

Das dürfte sich dann ähnlich wie bei der EU verhalten, nämlich dass das Militärbündnis Schottland als neuen Staat sieht. Dann müsste ein neuer Aufnahmeantrag gestellt werden und alle Nato-Mitglieder einstimmig grünes Licht geben.

Wie reagiert die Wirtschaft?

Sie ist nervös, das hat der Absturz des Pfunds in dieser Woche gezeigt. Denn keiner weiß im Moment, was die Zukunft bringt. Und das könnte bei einem Ja zur Unabhängigkeit auch noch während der gesamten Übergangszeit anhalten. Unternehmen könnten Investitionen erst einmal verschieben, bis Klarheit herrscht. Mehrere Großbanken haben bereits angekündigt, dass sie in diesem Fall nach England umziehen würden — so die Royal Bank of Scotland, die zu 80 Prozent in britischem Staatsbesitz ist, oder auch die Lloyds Banking Group.

Wie sind eigentlich die Aussichten der Unabhängigkeitsbefürworter für den 18. September?

Auch das schwankt, dennoch bekamen die Befürworter in den letzten Wochen reichlich Auftrieb. Vor zwei Monaten hatten sie noch deutlich zurückgelegen, doch eine Umfrage vom Wochenende hatte sie erstmals vorn gesehen. Eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage wiederum sah die Befürworter der Einheit wieder knapp vorn. Und rund zehn Prozent der Schotten sollen noch unentschieden sein. Es dürfte also spannend und vermutlich sehr knapp werden, wenn am 18. September das Referendum abgehalten wird.

mit Agenturmaterial

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