Barack Obama kommt heute nach Berlin Was von der großen Hoffnung blieb

Washington · Nicht nur die Europäer reiben sich an Barack Obama, dem Präsidenten, der Geschichte schrieb und nun viele enttäuscht. Auch in Amerika wenden sich frühere Anhänger ernüchtert ab von einem Mann, der zwar große Entwürfe skizziert, aber Taten zu selten folgen lässt. Am Dienstag besucht er zum ersten Mal als US-Präsident Berlin.

Berlin bereitet sich auf US-Präsident Obama vor
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Als Barack Obama dieser Tage für eine Einwanderungsreform warb, ließ er Tolu Olubunmi reden, sehr feierlich im Kronleuchterglanz des East Room. 32 Jahre alt, mit 14 Jahren aus Nigeria nach Amerika gekommen, an der Seite ihres Vaters, der sein Visum überzog und illegal blieb, lebte sie ein Leben im Schwebezustand. Studieren durfte sie zwar, an der High School war Tolu die Klassenbeste gewesen, doch ohne gültige Papiere wurde sie trotz Chemiediploms nirgends eingestellt. Obwohl sie die Abschiebung fürchten musste, hängte sie ihren Fall an die große Glocke, weshalb sie für den Präsidenten ein Muster an Zivilcourage ist.

Obama spricht von Mut

"Es gehört Mut dazu, sich aus dem Schatten zu wagen", lobte Obama, sprach von hochmotivierten Immigranten, deren Ideen die USA jede vierte neue Hightechfirma verdankten, und erinnerte an die Iren und Italiener, die Deutschen und die russischen Juden, die einst auf einer New Yorker Insel amerikanischen Boden erreichten. "Der Gedanke, dass alle mit tadellosen Papieren in Ellis Island ankamen, dass sie jedes Kästchen auf den Bögen richtig angekreuzt hatten — ich bitte Sie", sagte er, während ein wissendes Lachen den East Room erfüllte. "Sie wollten einfach ein besseres Leben, sich ein besseres Leben verdienen, nicht anders als heute."

Es sind Momente, in denen weiß sich das tolerante Amerika eins mit seinem Staatschef. Da ist er cool wie früher Steve Jobs und auf schlichte Weise menschlich wie die vielen Millionen, die sofort spenden, wenn Nachbarn in Not sind. Obama, der Zeitgeistversteher. Als solcher hat er, eine Weile mit sich ringend, Ehen von homosexuellen Paaren gutgeheißen und dafür sogar den Bruch mit alten Pfarrersfreunden in Chicago riskiert. Als die Flintenlobby nach dem Blutbad von Newtown strengere Waffenkontrollen blockierte und er im Rosengarten seufzte, so laut man nur seufzen kann, spürte jeder, dass es keine einstudierte Politikerpose war, sondern echte Erschütterung.

Oder das Bild mit dem fünfjährigen Jacob Philadelphia, das schönste Motiv Pete Souzas, des Cheffotografen des Weißen Hauses. Auf dem neigt sich Obama tief zu dem schwarzen Jungen hinunter, so dass der ihm übers krause Haar streichen kann und merkt, dass es sich genauso anfühlt wie seines. In diesen Momenten wird Obama zur Vaterfigur. Unbestritten historisch als erster Afroamerikaner im Oval Office, allein dadurch ein Symbol des Wandels. Nur wird das alles immer öfter überschattet, immer ernüchterter sprechen frühere Anhänger von "George W. Obama" — in Anlehnung an seinen republikanischen Amtsvorgänger George W. Bush.

"Big Barry"

Dagegen klingt "Big Barry", abgeleitet von George Orwells Jahrhundertsatz "Big Brother is watching you" ("Der große Bruder beobachtet dich"), irritierend salopp. Doch zur geheimdienstlichen Überwachung des Internets sagt Obama: "Sie können nicht hundert Prozent Sicherheit haben und zugleich hundert Prozent Privatsphäre und keinerlei Unannehmlichkeiten." Fast die Hälfte der Amerikaner sieht das ähnlich: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew sprechen 45 Prozent den Schnüfflern der NSA das Recht zu, jedermanns E-Mails zu lesen, solange dies hilft, Anschläge zu verhindern. Doch unter den Jungen, einst Obamas euphorischste Fans, ist das Verständnis deutlich weniger ausgeprägt. Und in der Demokratischen Partei gehen ihm die eigenen Truppen von der Fahne, jene linksliberalen Bürgerrechtler, ohne deren Einsatz der Senator Obama nie den Sprung zur Präsidentschaftskandidatur geschafft hätte. Die Entfremdung erinnert an den ehemaligen Premierminister Tony Blair, der es sich wegen des Irakkriegs mit großen Teilen seiner Labour Party verscherzte.

Dieser "George W. Obama" hat ferngesteuerte Drohnen als Wunderwaffe im Kampf gegen den Terror entdeckt und trotz verbaler Korrekturen in einer Rede im Mai an dem Konzept festgehalten. Das Gefangenenlager Guantánamo hat er weder geschlossen, noch im Ringen mit dem skeptischen Kongress energisch für die Schließung gekämpft. Als er es neulich als Beleidigung des Rechtsstaats charakterisierte, antwortete Colonel Morris Davis, einst Chefkläger in Guantánamo und heute ein entschiedener Gegner des Camps: "Es ist große Rhetorik. Aber wann wird die Realität der Rhetorik gerecht?"

Ankündigungspolitik

Überhaupt — die Ankündigungspolitik. Zum zweiten Mal im Amt vereidigt, stellte Obama Klimagesetze in Aussicht, mit den Worten, dass künftige Generationen betrüge, wer nicht auf die Klimakrise reagiere. Ein ernsthafter Versuch steht bislang aus. Als Vinod Khosla, ein Wagniskapitalist aus dem Silicon Valley, an die Absicht erinnerte, verwies der Präsident auf Blitzumfragen, wonach repräsentative Fernsehzuschauer in dem Moment, in dem es ums Klima ging, mehrheitlich das Interesse an seiner Rede verloren. Da war er wieder, der verzagte Reformer. Kritisiert man ihn für die Kluft zwischen großen Tönen und kleinen Taten, reagiert Obama oft gereizt. Bisweilen, beobachtet der Biograf Jonathan Alter, fühlt er sich missverstanden wie ein verkanntes Genie, nach dem Motto: "Ich habe Detroit gerettet, die Aktienkurse sind wieder oben, wir haben die Depression vermieden — muss ich das wirklich noch einmal erklären?"

Die Härte der konservativen Opposition, die wenig Spielraum lässt für große Reformwürfe, hat ihn selber hart werden lassen, eher selbstgerecht als geduldig werbend. Bis zum Einzug ins Weiße Haus, schreibt Alter, konnte sich Obama stets auf sein Talent verlassen, Leute, die anderer Meinung waren, durch pure Überzeugungskraft auf seine Seite zu ziehen. Später funktionierte es nicht mehr, da rannte der begnadete Kommunikator zu oft gegen Wände. Und allein das habe ihn gründlich verändert.

(RP/csi)
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