Blockade für schärferes Waffenrecht Wenn der Kongress in den Sitzstreik tritt

Washington · Nach durchwachter Nacht redeten sie am Morgen noch immer, demokratische Abgeordnete wie John Garamendi, ein Kalifornier aus Yuba City. Mit einem Sitzstreik wollten die Demokraten ein schärferes Waffenrecht erzwingen.

Demokraten blockieren US-Kongress mit Sitzstreik
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Demokraten blockieren US-Kongress mit Sitzstreik

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Mit rotgeränderten Augen und brüchiger Stimme hielt Garamendi ein flammendes Plädoyer für strengere Waffengesetze, für einen Moment politischer Besinnung, nachdem die USA mit dem Massenmord in Orlando das schlimmste Schusswaffenmassaker ihrer jüngeren Geschichte zu verzeichnen hatten.

Es waren Szenen, wie sie der Kongress in Washington lange nicht mehr erlebte. Im normalen Sitzungsbetrieb, sofern nicht gerade abgestimmt wird, herrscht oft gähnende Leere im Marmorprunk des Repräsentantenhauses. Während ein Volksvertreter seine Rede vorträgt, glänzen die anderen durch Abwesenheit. Der Parlamentskanal C-SPAN sendet alles, und es gibt Abgeordnete, die es zur hohen Kunst entwickelt haben, so unbeirrt engagiert zu leeren Sitzreihen zu reden, dass man den Eindruck hat, Hunderte gebannter Kollegen hingen förmlich an ihren Lippen. Diesmal war alles anders, alles authentisch.

Das Instrument Filibuster kennt das Abgeordnetenhaus nicht

Es begann am Mittwoch gegen 11.15 Uhr Ortszeit, als sich abzeichnete, dass die republikanische Mehrheit ein Votum über schärfere Waffengesetze auf absehbare Zeit nicht zulassen wird. Statt klein beizugeben, beschloss die Fraktion der Demokraten, den Speaker Paul Ryan, einen Republikaner, mit einer Blockade zu ärgern. Im Senat lässt sich so etwas mit einer Marathonrede (Filibuster) bewerkstelligen, das Abgeordnetenhaus dagegen kennt ein solches Instrument nicht. Man werde den Saal so lange besetzen, bis endlich gehandelt werde, gab John Lewis, ein Veteran der Bürgerrechtsbewegung, das Signal zum Sit-in.

Lewis ist nicht nur eine Legende für die Geschichtsbücher, er ist auch so etwas wie die moralische Instanz des Kongresses. Einst ein Weggefährte des Predigers Martin Luther King, marschierte er 1965 über die Edmund-Pettus-Brücke in Selma, um gegen die Tricks zu protestieren, mit denen weiße Südstaatler das theoretisch garantierte, hart erkämpfte gleiche Wahlrecht für schwarze Amerikaner auszuhebeln versuchten. "Wie viele Mütter, wie viele Väter werden noch Tränen der Trauer vergießen müssen, bevor wir etwas tun?", fragte der 76-Jährige aus Georgia, ehe er sich Mittwochmittag auf den Fußboden des Hohen Hauses setzte.

Und als Ryan, gegen zehn Uhr abends, seinen Hammer aufs Pult sausen ließ, um die Sitzung für beendet zu erklären, quittierten es die Streikenden mit einem Sprechchor. "No bill! No break!": Sollte heißen, dass man die Legislative nicht in die Kurzferien vorm 4. Juli entlässt, bevor sie sich nicht mit der Causa Schusswaffen beschäftigt.

Gespaltene Legislative

Einmal mehr illustriert die spektakuläre Aktion, wie gründlich die Kontroverse um Waffenkontrollen die Legislative spaltet. Die Demokraten, zumindest eine Mehrheit in ihren Reihen, wollen das Repräsentantenhaus über Gesetzentwürfe debattieren lassen, die zumindest eine Art Signal zur Umkehr bedeuten. Wenigstens sollen Personen, die wegen Terrorverdachts in kein Flugzeug einsteigen dürfen, am Waffenerwerb gehindert werden.

Auf einer No-fly-Liste zu stehen, aber problemlos ein Schnellfeuergewehr kaufen zu können, das sei der Gipfel des Absurden, argumentiert Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Parlaments. Louie Gohmert, ein Konservativer aus Texas, sieht das anders. "Redet lieber über den radikalen Islam", rief er, als er wutentbrannt auf die Streikenden zustürmte und es in der Nacht zum Donnerstag für ein paar Sekunden so aussah, als könnte das Hohe Haus zum Schauplatz einer wilden Rangelei werden.

(FH)
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