EU-Gipfel Will Polen jetzt doch einlenken?

Berlin (RPO). Einen Tag vor Beginn des EU-Gipfels zeigt sich Polens Premierminister Jaroslaw Kaczynski im Streit um die künftige Stimmengewichtung in der Union kompromissbereit. Polens Forderung nach mehr Einfluss müsse nicht zu einem Patt führen. Man wolle aber, dass eine entsprechende Debatte wenigstens zugelassen werde, so Kaczynski in einem Interview.

Polens Position im EU-Streit
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Foto: AP

"Im Moment wollen wir nur, dass eine Debatte über das System der Stimmabgabe zugelassen wird", sagte Kaczynski der "Bild"-Zeitung. Die deutsche Ratspräsidentschaft legte bei Beratungen der Unterhändler der EU-Mitglieder in Brüssel erstmals ihre schriftlichen Vorschläge für einen neuen EU-Vertrag vor.

Die Tatsache, dass sein Bruder, Staatspräsident Lech Kaczynski, und nicht er selbst zum EU-Gipfel nach Brüssel reise, wolle er als gutes Omen gewertet wissen, sagte Kaczynski in "Bild". "Ich wäre nur gefahren, wenn es um ein Veto gegangen wäre. Um zu sagen: Wir stimmen nicht zu." Polen gehe es in dem Streit um die Stimmengewichtung in der EU vor allem darum, als gleichberechtigter Staat wahrgenommen zu werden. Im polnischen Fernsehen sagte Kaczynski, er sei mit seinem Bruder der Meinung, "dass es wahrscheinlich eine Chance für einen Kompromiss gibt". Ein Scheitern des Gipfels schloss er dennoch nicht völlig aus.

Streit um "Doppelte Mehrheit"

Polen will notfalls ein Veto einlegen, wenn die anderen EU-Staaten nicht eine Änderung des Stimmgewichts akzeptieren. Warschau bemängelt, dass Deutschland seinen Einfluss durch das Prinzip der "Doppelten Mehrheit" mehr als verdoppeln würde. Bisher hat Polen fast ebenso viel Stimmgewicht wie die Bundesrepublik, obwohl es nur halb so viele Bürger hat. Mit dem polnischen Konzept, das Stimmgewicht nach der Quadratwurzel aus der Bevölkerung zu berechnen, sympathisiert bisher nur Tschechien.

Die deutsche Ratspräsidentschaft legte den so genannten EU-Sherpas erstmals eine vollständige schriftliche Fassung der Vorschläge für einen neuen EU-Vertrag vor. In dem zehnseitigen Text hält Berlin an dem von Polen abgelehnten Abstimmungsverfahren fest. In einer Fußnote wird allerdings ausdrücklich erwähnt, dass die Delegationen von Polen und Tschechien das Thema der Stimmabgabe gesondert vor dem Europäischen Rat einbringen wollen. Polens EU-Unterhändler Marek Cichocki bezeichnete dies als "ersten Schritt" in Richtung auf einen Kompromiss.

Nationale Parlamente stärken

In den deutschen Vorschlägen für einen neuen EU-Vertrag wurden einige Regelungen der bei Referenden in den Niederlanden und Frankreich abgelehnten Verfassung übernommen. Nach dem Vorschlag Berlins sollen der Entwurf auf einer Regierungskonferenz in der zweiten Julihälfte ausgearbeitet und offene Streitfragen diskutiert werden.

Gestärkt werden sollen dem Text zufolge die Rechte der nationalen Parlamente, wie es insbesondere die Niederlande fordern. Diese sollen unter bestimmten Bedingungen die EU-Kommission zur Überarbeitung von Gesetzesprojekten auffordern können. Entgegenkommen signalisiert die deutsche Ratspräsidentschaft auch an die Adresse Großbritanniens. Im Bereich der Polizei- und Justizzusammenarbeit solle künftig ein "neuer Mechanismus" den EU-Mitgliedern ermöglichen zu entscheiden, ob sie sich an neuen Maßnahmen beteiligen oder nicht. Großbritannien könnte somit auch weiterhin darauf verzichten, den Schengener Abkommen beizutreten oder den Euro einzuführen.

Trotz des britischen Widerstands schlägt Berlin allerdings einen Paragraphen zu den Grundrechten mit rechtlich bindender Wirkung vor. Großbritannien lehnt zu weit reichende Gesetzgebungsbefugnisse der EU in der Außen- und Sicherheits-, Justiz- und Industriepolitik ab.

Bei dem Treffen der EU-Sherpas habe vor allem die "erste Kontaktaufnahme" mit dem Text im Vordergrund gestanden, sagte ein EU-Diplomat. Echte Verhandlungen darüber werde es erst nach Beginn des Gipfels am Donnerstag geben.

(afp)
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