Analyse Russland rüstet massiv auf

Düsseldorf/Moskau · Angeblich reagiert Präsident Wladimir Putin mit der Beschaffung neuer Atomraketen nur auf eine Aufrüstung der Nato. Dabei läuft längst ein groß angelegtes Rüstungsprogramm. Bis 2020 sollen fast 600 Milliarden Euro ans Militär fließen.

Russland präsentiert seine neuesten Waffen
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2015: Russland präsentiert seine neuesten Waffen

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Foto: dpa, yk lb

Die Kulisse war sorgfältig gewählt: Gleich mehrere Reihen strammstehender Offiziere in Uniformen hatte man hinter Wladimir Putin aufgebaut, als er am Montag auf einer Waffenmesse bei Moskau eine weitere Verstärkung des russischen Militärs ankündigte: Mindestens 40 atomwaffenfähige Interkontinentalraketen modernster Bauart solle die Truppe noch in diesem Jahr geliefert bekommen. Diese seien in der Lage, "selbst die technisch fortgeschrittensten Abwehrsysteme zu überwinden", pries Putin. Patriotischer Applaus von den Rängen.

Wenige Tage nach amerikanischen Medienberichten über Erwägungen der Nato, in einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten schwere Waffen für bis zu 5000 Soldaten in Depots einzulagern, bot sich Putin die Gelegenheit für einen Propaganda-Coup. Es ging ihm darum, die russische Aufrüstung als Reaktion auf eine westliche Bedrohung zu verkaufen. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu warf der Nato vor, ein neues Wettrüsten anzustreben. Und Putins Sprecher Dmitri Peskow legte gestern noch einmal nach. Die militärische Infrastruktur der Nato rücke immer näher an Russlands Grenzen. Zudem greife der Westen auf eine Wortwahl wie im Kalten Krieg zurück. "Das alles zwingt Russland zu Maßnahmen, um seine eigenen Interessen und seine Sicherheit zu schützen."

In Wahrheit hat die Anschaffung von 40 neuen Atomraketen mit alldem nichts zu tun. Sie ist seit langem geplant und gehört zu einem massiven Rüstungsprogramm, mit dem die russischen Streitkräfte bis 2020 modernisiert werden sollen. Bereits vor drei Jahren, kurz vor seiner Wiederwahl zum russischen Präsidenten und lange vor der Ukraine-Krise, hatte Putin die Anschaffung von mehr als 400 Interkontinentalraketen, mehr als 600 schweren Kampfpanzern, Tausenden Schützenpanzern und Dutzenden U-Booten angekündigt. Damals begründete Putin das rund 600 Milliarden Euro teure Rüstungsprogramm mit dem Schutz der russischen Rohstoffe vor ausländischen Begehrlichkeiten. Andere Staaten, so orakelte Putin in einem Artikel der Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta", könnten ansonsten versucht sein, über militärische Gewalt Druck auf Russland auszuüben.

Ob Putin selbst an diese etwas skurrile Begründung glaubte, weiß man nicht. Verteidigungsminister Schoigu verzichtete Ende Januar jedenfalls darauf, derartige Bedrohungsszenarien zu bemühen. Bei einer Fachtagung in Moskau erklärte er, es gehe schlicht darum zu verhindern, "dass andere militärische Überlegenheit über Russland erlangen". Diese von Wladimir Putin gemachte Vorgabe werde "bedingungslos erfüllt." Am milliardenschweren Rüstungsprogramm werde es trotz der Wirtschaftskrise in Russland keinerlei Abstriche geben, so Schoigu. Waffen haben absolute Priorität.

Es handelt sich trotz der imposanten Zahlen eher um eine qualitative als eine quantitative Aufrüstung. Dabei spielen die Erfahrungen des für die russische Armee blamablen Georgien-Kriegs von 2008 eine entscheidende Rolle. Damals war es den Russen trotz drückender Überlegenheit nur mit Mühe gelungen, nach Georgien einzudringen. Die aus Sowjetzeiten stammende Ausrüstung war veraltet. Panzer blieben liegen, Funkgeräte versagten. Seither zielen alle Anstrengungen darauf, aus der sowjetischen Massenarmee eine professionelle Einsatzstreitmacht zu formen. Die Truppenstärke wurde kräftig verringert, die aus mehr als 10.000 Mann bestehenden Divisionen wurden durch kleinere Brigaden ersetzt. Viel Geld wird in moderne Waffensysteme wie Drohnen gesteckt, aber auch in die elektronische Kriegsführung.

Der Löwenanteil der Rüstungsmilliarden fließt jedoch in die Nuklearstreitkräfte. Auf die will Moskau auf gar keinen Fall verzichten, garantieren die Atomwaffen doch Russlands Rang in der Welt. Die Anschaffung der 400 Interkontinentalraketen wird das bereits imposante russische Arsenal freilich nicht weiter aufstocken, weil vorwiegend längst veraltete Waffen durch neue ersetzt werden. Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri verfügte Russland 2014 über 528 Interkontinentalraketen, die an Land stationiert oder von U-Booten abgefeuert werden können, sowie schwere Bomber.

Damit habe sich die Zahl der Träger gegenüber dem Vorjahr zwar um 23 erhöht. Dies sei aber lediglich das Ergebnis schwankender Bestände, weil alte Raketen überholt oder ersetzt würden.

(RP)
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