Analyse zur Ukraine-Krise Warum die Deutschen so viel Verständnis für Moskau zeigen

Moskau · Nirgendwo in Europa stößt Putins Ukraine-Politik auf so viel Nachsicht. Dahinter steckt viel Sympathie für Russland, aber nicht nur.

Etwas Merkwürdiges ist passiert in der politischen Diskussion in Deutschland. Die Aggressivität, mit der Wladimir Putin seine Politik in der Ukraine betreibt, stößt bei einer Mehrheit der Deutschen auf Verständnis. Jenseits aller Parteigrenzen und gesellschaftlichen Unterschiede dominieren die Russland-Versteher. Man könnte auch sagen: die Putin-Versteher.

Möglicherweise steckt hinter diesem Phänomen die empfundene innere Nähe zwischen Russen und Deutschen. Dafür steht etwa der Name Egon Bahr (SPD), dessen Leitgedanke vom "Wandel durch Annäherung" die deutsche Ostpolitik prägte. Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verstand die Annäherung ganz persönlich: Ihn verbindet eine enge Freundschaft mit Wladimir Putin. Der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow wiederum wird nirgends so verehrt wie in Deutschland.

Verständnis für eine Bruch des Völkerrechts

Und jetzt das: Wladimir Putin schickt russische Soldaten auf die Krim. Er lässt dort ein illegales Referendum inszenieren und entreißt die Halbinsel einem wehrlosen Nachbarn. Und doch vertreten 54 Prozent der Deutschen die Ansicht, der Westen solle den Anschluss der Krim an Russland akzeptieren. 55 Prozent äußern "viel" oder "etwas" Verständnis dafür, dass Putin die Ukraine und vor allem die Krim als russische Einflusszone betrachtet.

Zur Rechtfertigung des Kremlherrn hört man häufig das Argument, der Westen habe Putin zu der Aggression getrieben. Eng verbunden damit ist der Mythos, die Nato habe Gorbatschow versprochen, sich nicht nach Osten auszudehnen, wenn die Sowjetunion zerfällt. Dieses Versprechen gab es nie. Gorbatschow war auch nicht in einer Position, um darauf zu bestehen, und er wusste das.

Hinzu kommt das Fremdeln mit Amerika

Diejenigen, die Putin verstehen möchten, verweisen auf die große Bedeutung Russlands für die deutsche Wirtschaft. Der deutsche Export nach Russland beläuft sich auf 38 Milliarden Euro. Das sind 3,8 Prozent der deutschen Gesamtausfuhr. Zum Vergleich: Nach Polen exportiert Deutschland Waren im Wert von 42,2 Milliarden Euro. Trotzdem hatte niemand in Deutschland jemals die aggressive Politik der Kaczynski-Brüder gerechtfertigt, um Schaden vom Handel mit Polen abzuwenden.

Vielleicht erklärt sich das Putin-Verständnis auch aus der Desillusionierung der Deutschen gegenüber den westlichen Partnern. Das Vertrauen in die USA ist seit 2001 beschädigt. Der Afghanistan-Krieg erwies sich als sinnlos, der Irak-Krieg als Betrug. Die NSA-Abhöraffäre war ein weiterer Sargnagel für das transatlantische Verhältnis. Putin konnte sich als freche Alternative profilieren, als er Edward Snowden Asyl gewährte.

Lieber den Teddy streicheln als den Bären fürchten

Mit dem Verhältnis zur EU steht es wenig besser: 38 Prozent der Deutschen halten die EU-Osterweiterung für einen Fehler, mehr als die Hälfte wollen die Ukraine nicht in diesem Bündnis sehen. So bleibt die Politik der Beamten in Brüssel vielen Bürgern unverständlich.

Oder ist das wahre Motiv der Russland-Versteher Furcht? Zwei Drittel der Deutschen sind der Meinung, man könne Putin nicht über den Weg trauen. Gleichzeitig rechtfertigen viele sein Vorgehen. Man fürchtet sich vor der Erkenntnis, dass Putins Russland ein aggressives Land ist. Also setzt man den russischen Problembären aufs Sofa und streichelt ihn wie einen Teddy.

(hei)
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