Townsville Australiens größtem Naturwunder droht die Vernichtung

Townsville · Die Folgen des Klimawandels und gefräßige Seesterne zerstören das Great Barrier Reef, das mächtigste Korallenriff der Erde.

Als Terry Hughes 1985 das erste Mal am Great Barrier Reef schnorcheln ging, tauchte er in eine bunte Welt voller Farben, Formen und Fische ein. Der junge Mann, der im kalten Wasser vor der irischen Küste das Tauchen gelernt hatte, war überwältigt. Als er in diesem Jahr sieben Tage lang mit einem Sportflugzeug in 150 Meter Höhe über dieselben Stellen hinwegflog, musste er mit den Tränen kämpfen: Wo er vor 32 Jahren an roten, blauen und orangenen Korallen vorbeigeschwebt war, erstreckten sich jetzt weiße, tote Kalkwüsten.

Das Great Barrier Reef ist von der bislang wohl schlimmsten Korallenbleiche seiner rund 600.000 Jahre währenden Existenz betroffen. Terry Hughes, mittlerweile Professor für Meeresbiologie an der James Cook Universität im australischen Townsville und einer der angesehensten Korallenforscher der Welt, kämpft mit der Rationalität des ehrgeizigen Wissenschaftlers und der Emotionalität des leidenschaftlichen Umweltschützer um das Überleben des Riffs. Aber er weiß nicht, ob er den Kampf gewinnen kann.

Das Korallenriff im Pazifik vor der Nordostküste Australiens ist mit einer Länge von gut 2300 Kilometern das größte der Erde. Mit einer Fläche von mehr als 344.000 Quadratkilometer ist es fast so groß wie Deutschland. Taucher wie Terry Hughes wissen, dass die Korallen nicht nur schön, sondern auch äußerst sensibel sind. Sie können nur in klaren, sonnendurchfluteten Gewässern bei einer Temperatur zwischen 18 und 30 Grad gedeihen. Dort gehen die Nesseltiere mit bestimmten Algen eine Symbiose ein und erhalten so ihre Farbe. Nimmt die Wassertemperatur zu stark zu, werden die Algen jedoch giftig. Die Korallen stoßen sie ab und sterben bald darauf an Nährstoffmangel.

"Im Jahr 1998 gab es die erste große Bleiche am Great Barrier Reef. Seitdem hatten wir drei weitere, davon zwei in aufeinanderfolgenden Jahren - 2016 und 2017. Letztes Jahr war die schlimmste. Ich befürchte, dass einige Teile sich davon nicht mehr erholen werden", sagt Hughes. Australische Wissenschaftler waren nach der Auswertung von Luft- und Unterwasseraufnahmen im Juni 2016 zunächst davon ausgegangen, dass im vergangenen Jahr 22 Prozent der Flachwasserkorallen abgestorben seien. Im November stellten sie fest, dass es sogar 29 Prozent waren. Am schlimmsten ist das Gebiet nördlich der Touristenstadt Port Douglas betroffen.

Korallen brauchen mindestens zehn Jahre, um sich zu erholen. Doch wenn die Abstände zwischen den Bleichen - so wie in den letzten Jahren - immer kürzer werden, bleibt den empfindlichen Organismen keine Zeit zur Regeneration, und sie sterben endgültig ab. Allein zwischen 1985 und 2012 verschwand so die Hälfte aller Korallen des Great Barrier Reefs.

Dafür haben Hughes und andere führende Wissenschaftler eine Hauptursache ausgemacht: den Klimawandel. "Allen Beteuerungen zum Trotz: Die globale Erwärmung beschleunigt sich weiter. Doch wenn die Temperatur sich weltweit um nur ein weiteres Grad erhöht, wird unsere Erde ein sehr ungemütlicher Ort. Nicht nur für Korallen", ist Hughes überzeugt.

Für den globalen Temperaturanstieg und damit auch das Korallensterben ist Australien als einer der größten Kohleexporteure und eines der Länder mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf mitverantwortlich. Dabei hat das Riff nicht nur für die weltweite Biodiversität, sondern auch für die australische Wirtschaft einen immensen Wert. Experten der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma Deloitte taxierten das Riff in diesem Jahr auf rund 38 Milliarden Euro. Nach ihren Berechnungen hängen 39.000 Jobs direkt, weitere 25.000 indirekt vom Riff ab - vor allem im Tourismus. Damit ist das Great Barrier Reef ein größerer Arbeitgeber als viele bekannte australische Unternehmen.

Wissenschaftler und Umweltschützer kritisieren die australische Regierung seit Jahren dafür, dass sie den Kohleabbau weiter fördert, obwohl dieser zum Korallensterben beiträgt. "Auf der einen Seite will die Regierung das Riff schützen, auf der anderen Seite subventioniert sie eine Industrie, die für seine Zerstörung hauptverantwortlich ist", empört sich Terry Hughes.

Doch nicht nur der Klimawandel macht dem sensiblen Ökosystem unter der Wasseroberfläche zu schaffen. Auch der gefräßige Dornenkronenseestern ist für das Korallensterben mitverantwortlich. Denn die bis zu 40 Zentimeter großen Seesterne ernähren sich ausschließlich von Steinkorallen. Ein einzelnes Tier kann innerhalb eines Jahres mehr als zehn Quadratmeter Korallen vernichten. Weil die gefährlichen Seesterne sich in den letzten 50 Jahren vermutlich aufgrund einer Überdüngung der Meere durch intensive Landwirtschaft stark vermehren konnten, wurden sie in einigen Regionen des Südpazifiks zu einer echten Plage.

Auch eine Versauerung der Meere durch immer mehr CO2, ein geringerer Sauerstoffgehalt des Wassers, Korallenkrankheiten und auf Grund des Klimawandels immer stärkere Zyklone mit immer größeren Wellen tragen zum Korallensterben am bekanntesten Riff der Welt bei. Und: Beim Welt-Ozean-Gipfel in Bali stellten australische Forscher Anfang des Jahres eine Studie vor, nach der in den nächsten 35 Jahren weltweit 90 Prozent aller Korallenriffe verschwinden könnten.

(RP)
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