Analyse Obama muss in den Krieg ziehen

Washington · Noch vor Monaten hielt Barack Obama den "Islamischen Staat" (IS) für eine rein lokale Gefahr, nicht aber für eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten. Nun muss er seinen Landsleuten erklären, warum Amerika zu handeln hat.

Barack Obama muss in den Krieg ziehen
Foto: afp, mn/dec

Manchmal hängen Zitate an einem Politiker, als wären sie Mühlsteine. Barack Obama wird schon oft bereut haben, was er vor Monaten über jene Miliz von Fanatikern sagte, die damals mit ISIS abgekürzt wurde und die man heute meist nur noch IS nennt, den "Islamischen Staat". "Die Analogie, derer wir uns hier bedienen, und ich denke, sie ist akkurat", plauderte der Präsident aus dem Nähkästchen des Weißen Hauses, "ist die, dass eine Schülermannschaft nicht gleich Kobe Bryant wird, wenn sie sich die Trikots der Lakers überstreift." Die Lakers aus Los Angeles, eine Legende des Basketballs. Kobe Bryant, einer ihrer ganz Großen. Und das in einem Atemzug mit bisweilen vermummten Rebellen.

So gern amerikanische Politiker Metaphern aus der Welt des Sports benutzen, diese hier würde Obama wohl am liebsten vergessen. Es gebe einen Unterschied zwischen den Fähigkeiten eines Osama Bin Laden, zwischen dem Netzwerk Al Qaida, das Anschläge auf dem amerikanischen Festland plane, und nahöstlichen Dschihadisten, die sich in lokalen Machtkämpfen aufreiben, hatte er dem "New Yorker" im Januar gesagt. Nun muss ausgerechnet er begründen, warum der IS eine derart akute Bedrohung darstellt, dass ihm nichts anderes übrig bleibt als eine Ausweitung der Luftschläge.

Angesichts der Vorgeschichte wirkt der Präsident fast zwangsläufig wie einer, der gegen seine inneren Überzeugungen handelt, zumindest gegen die früheren. Wie ein Getriebener, wie ein Stimmungspolitiker, der auf Sicht fährt und sein Handeln an Meinungsumfragen ausrichtet. Sieht man es wohlwollender, liefert er gerade ein Lehrbeispiel jenes schnellen Pragmatismus, dessen sich Amerikaner gemeinhin rühmen, obwohl er zuletzt immer seltener anzutreffen war zwischen den festgefahrenen Parteienfronten der Hauptstadt. Zwingen dramatische Ereignisse zur Wende, wirft das Land das Steuer entschlossen herum. So hat es sich schon immer gern im Spiegel gesehen, spätestens seit dem 7. Dezember 1941, an dem die Japaner Pearl Harbor überfielen und die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eintraten.

Diesmal sind es grauenvolle Bilder aus der syrischen Wüste, die den Stimmungsumschwung bewirken. Bevor die Journalisten James Foley und Steven Sotloff enthauptet wurden, hatte knapp die Hälfte der Amerikaner die Offensive der Air Force gegen IS noch abgelehnt. Seit dem barbarischen Doppelmord sind 70 Prozent dafür.

Nur ändert es nichts daran, dass Obama im Grunde gegen sich selbst argumentiert, gegen vieles, was er früher an Einwänden vorbrachte. Als sein Kabinett im zweiten Jahr des syrischen Bürgerkrieges über Waffen für politisch gemäßigte Gegner Baschar al Assads diskutierte, war er derjenige, der am heftigsten bremste und schließlich sein Veto einlegte. Den Wirren des Nahen Ostens, dieser undankbaren Region mit ihren Fallstricken, hätte er am liebsten den Rücken gekehrt. Der Irak war für ihn Vergangenheit, ein Exempel für verschleuderte Ressourcen, während die Zukunft in China, Korea, Vietnam lag. Sich auf die glatte Rutschbahn des Syrienkonflikts zu begeben, das hätte nur wieder Amerikas Kräfte gebunden, es abgelenkt von seinem Schwenk nach Asien. In den Think Tanks hatten es die Strategen von Rang lange kaum anders gesehen: Der 44. Präsident, hieß es, werde in zwei, drei Dekaden daran gemessen, ob es ihm gelang, das Verhältnis zum aufstrebenden China zu ordnen - nicht an der Ordnung zwischen Bagdad und Damaskus, nicht am orientalischen Nebenschauplatz.

Und nun muss ausgerechnet Obama um Geduld für einen bewaffneten Einsatz bitten, von dem seine Ratgeber schon jetzt sagen, dass er kaum enden wird in den gut zwei Jahren, die ihm noch im Amt bleiben. Das ist viel verlangt von einem Politiker, der 2008 seinen gesamten Wahlkampf aufbaute auf das Versprechen, rasch und konsequent einen Schlussstrich unter George W. Bushs "dummen" Krieg im Irak zu ziehen. Obama galt als Symbol der Kriegsmüdigkeit, die in seiner Partei, bei den Demokraten, deutlich ausgeprägter war und ist als bei den Republikanern, auch wenn die Grenzen fließend verlaufen. Schon jetzt warnen demokratische Abgeordnete vor einem militärischen Abenteuer, das mit einer begrenzten Mission beginnt, mit der Zeit aber fatal aus dem Ruder läuft.

Kein Wunder, dass das Weiße Haus die Stunde des Kurswechsels als einen Moment überparteilichen Schulterschlusses inszeniert, als eine Art kollektive Entscheidung, die der Nation förmlich aufgezwungen wurde von außen. Am Montag traf sich Obama mit Außenpolitikexperten beider Lager, unter ihnen die Sicherheitsberater früherer Präsidenten, Demokraten wie Zbigniew Brzezinski, Republikaner wie Stephen Hadley. Am Dienstag saßen die "Big Four" im Oval Office, die Fraktionschefs beider Kongresskammern, die Republikaner John Boehner und Mitch McConnell neben den Demokraten Nancy Pelosi und Harry Reid. Das Protokoll einer nationalen Krise.

Dennoch mangelt es nicht an Stimmen, die zur Vorsicht mahnen. Welche Partner finden die USA in der Krisenregion? Die Türkei? Saudi-Arabien? Jordanien? Oder läuft es am Ende auf einen ermüdenden Alleingang hinaus? "Stellt uns der ,Islamische Staat' nicht eine Falle, in die wir nun hineintappen?", fragt David Ignatius, der erfahrenste Kolumnist der "Washington Post". Was, wenn die Offensive ihre Ziele verfehlt? Folge dann nicht eine Eskalation, schon um den Eindruck der Niederlage zu vermeiden? In Vietnam und Afghanistan habe man gelernt, dass Aufständische kaum besiegt werden können, wenn sie sich in sichere Häfen hinter den Grenzen zurückziehen. Falls Obama die Rebellen daher auch in Syrien angreifen wolle, fragt Ignatius, "wie verhindern wir, dass wir zu Assads Luftwaffe werden?"

(RP)
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