Washington Obama steckt tief in der Vertrauenskrise

Washington · Die Gesundheitsreform startet mit Pannen. Erstmals zweifelt eine Mehrheit der US-Bürger an der Integrität des Präsidenten.

Barack Obama klingt wie ein Trainer, der seiner deprimierten Mannschaft zur Halbzeit neuen Mut einzuflößen versucht. "Wir lassen nicht locker", sagt er, "die Schwarzseher werden wir eines Besseren belehren." Die Gesundheitsreform sei zweifellos richtig, umso energischer müsse man jetzt für ihren Erfolg kämpfen. Allein schon die gelassene Stimme soll die Nerven beruhigen, sie soll jegliche Zweifel ausräumen, als sich der Präsident in einem Online-Chat an seine treuesten Helfer wendet, an die Aktivisten der Initiative "Organizing for Action" ("Planen, um zu handeln").

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der US-Präsident durch schweres Fahrwasser kämpft. Schon als nach der Finanzkrise der Wirtschaftsmotor langsamer wieder auf Touren kam, als es seine gebeutelten Landsleute erhofften, stand er im Kreuzfeuer der Kritik. Doch eine Mehrheit hielt ihn bisher für einen, auf dessen Wort man sich verlassen konnte.

Nach dem Fehlstart von Obamacare, der Gesundheitsreform, ist das anders. Nur noch 44 Prozent der Bürger glauben, dass der Mann im Oval Office ihr Vertrauen verdient. Umfragetechnisch ist es der Tiefpunkt seiner Präsidentschaft: Erstmals zweifelt eine Mehrheit nicht nur an Obamas Amtsführung, sondern an seiner persönlichen Integrität.

Die Computerpannen sind das eine; allein die Anlaufprobleme der Online-Börse, bei der Nichtversicherte eine Krankenversicherung abschließen können, hätten den Staatschef kaum derart in die Bredouille gebracht. Schwerer wiegt, dass über vier Millionen Amerikaner von den Versicherungen aufgefordert wurden, eine neue Police zu erwerben, weil die alte nicht mehr den Anforderungen entspreche. Dabei hatte Obama betont, jeder, der mit seinem bisherigen Vertrag zufrieden sei, könne ihn behalten.

Nun steht er da als einer, der Versprechen macht, die er nicht halten kann. Als schludriger Manager, der das Handwerkliche nicht beherrscht. Manche Republikaner ziehen bereits Parallelen zum Spätsommer 2005, als der Hurrikan "Katrina" in New Orleans die Dämme brechen ließ und George W. Bush überfordert, ja hilflos wirkte. Vom Vorwurf der Inkompetenz, der danach an ihm haftete, hat sich der Texaner nicht wieder erholt.

Obamas Anhänger indes halten den "Katrina"-Vergleich für absurd. "In einem Jahr ist das vergessen, keiner spricht dann mehr von den Startschwierigkeiten der Gesundheitsreform", orakelt Howard Dean vom linken Parteiflügel der Demokraten. Dennoch, erste Absetzbewegungen sind nicht zu übersehen: Im Repräsentantenhaus stimmten 39 Demokraten, fast ein Fünftel der Fraktion, mit den Republikanern dafür, einen Schlüsselpassus von Obamacare auszuhebeln und weiterhin Versicherungen zuzulassen, die nicht den Kriterien der Reform entsprechen. Was die Abtrünnigen motiviert, ist vor allem die Angst, bei der Wahl im nächsten Herbst ihre Sitze zu verlieren, falls sie nicht auf Distanz zu Obama gehen. Einmal mehr beweist der Schwenk, wie schnell sich der Wind drehen kann. Noch im Oktober waren es die Konservativen, die mit ihrer Brechstangentaktik beim "Shutdown", dem partiellen Verwaltungsstillstand, als Verlierer dastanden.

Ein Präsident in der Vertrauenskrise — es wirft die Frage auf, auf welchen Baustellen er überhaupt noch vorankommen kann. Sein wichtigstes Projekt, eine Reform des Einwanderungsrechts, die rund elf Millionen Migranten ohne Papiere aus der rechtlichen Grauzone holen soll, hat sich nach verheißungsvollen Signalen im parlamentarischen Unterholz verfangen. Außenpolitisch ist es der Atomkonflikt mit dem Iran, bei dem die Legislative die Exekutive in Verlegenheit stürzen könnte. Während das Kabinett an Kompromissen bastelt, ist keineswegs garantiert, dass der Kongress den Unterhändlern nicht gleichsam die Beine wegzieht.

(RP)
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