US-Gefangenenlager Obamas Kreuz mit Guantánamo

Washington · Barack Obama drückt aufs Tempo, er will das Gefangenenlager schließen und damit eines seiner wichtigsten Versprechen einlösen. Doch die Zeit läuft ihm davon, und im US-Kongress verhärtet sich der Widerstand eher noch.

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Foto: afp, CHANTAL VALERY

Es ist ein Paukenschlag, aber noch lange nicht das Ende des Lagers Guantánamo. Nach den Absichten des Pentagon sollen innerhalb der nächsten Wochen 17 Gefangene auf einmal aus dem Camp entlassen werden, die größte Gruppe, seit Barack Obama ins Weiße Haus einzog. Verteidigungsminister Ashton Carter hat bereits grünes Licht gegeben und den Kongress informiert, was in aller Regel einen Monat vor der geplanten Freilassung erfolgen muss.

Dennoch, der Regierung Obama läuft die Zeit davon, obwohl sie endlich aufs Tempo zu drücken scheint. Dem Präsidenten bleiben noch 13 Monate, um sein Versprechen zu erfüllen und das Gefängnis zu schließen. An deutlichen Worten hat er es nicht fehlen lassen: Nach seiner Überzeugung "schwächt Guantánamo unsere nationale Sicherheit, indem es Ressourcen bindet, unserem Verhältnis mit Verbündeten und Partnern schadet und Extremisten anstachelt". Dass er sich im letzten seiner acht Amtsjahre zu einer Art Befreiungsschlag entschließt und sich über alle Widerstände der Legislative hinwegsetzt, ist theoretisch noch immer möglich, nur gibt es kaum einen in Washington, der damit rechnet.

Ein Problem ist: Das Oval Office kann sich nicht dazu durchringen, die 39 Gefangenen, die aus dem Jemen stammen und seit langem zur Freilassung vorgesehen sind, in ihre Heimat zurückzuschicken. Der Jemen ist ein Bürgerkriegsland, an der Pennsylvania Avenue geht die Angst um, die Rückkehrer könnten sich wieder dschihadistischen Gruppierungen anschließen. Also müssen die Männer vorerst in Guantánamo bleiben. Einige von ihnen sitzen bereits seit dem 11. Januar 2002 dort ein, dem Tag, an dem das Gefängnis, damals noch aus den berüchtigten Gitterkäfigen des Camps X-Ray bestehend, eröffnet wurde.

Es gibt 27 "unbefristet Inhaftierte"

Von den übrigen Häftlingen gelten 27 als Terrorverdächtige, die zwar aus Mangel an Beweisen nicht vor ein Gericht gestellt werden können, gleichwohl für zu gefährlich gehalten werden, als dass man sie auf freien Fuß setzen könnte. Das Pentagon nennt sie "unbefristet Inhaftierte". Gegen sechs, allen voran Khalid Scheich Mohammad, der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge am 11. September 2001, wird vor einer Militärkommission verhandelt. Das Verfahren zieht sich schon seit dreieinhalb Jahren hin, ohne dass ein Ende absehbar wäre. 22 Guantánamo-Insassen sollen irgendwann vor einen Richter in Uniform gestellt werden; konkrete Termine gibt es noch nicht.

Um das Lager räumen zu können, müsste Obama also mehr als 50 Insassen aufs amerikanische Festland verlegen - womit er im Parlament gegen Wände läuft. Bereits 2009 spielte der Präsident mit dem Gedanken, eine Haftanstalt in Thomson, einem Mississippi-Dorf in Illinois, zu einem Hochsicherheitstrakt auszubauen, um sie als Guantánamo-Ersatz zu nutzen. Prompt sperrte der Kongress die dafür benötigten Mittel. Derzeit sind drei weitere Varianten im Gespräch, zwei Militärgefängnisse in Kansas und South Carolina sowie ein ziviles in Colorado. Dass es bei diesen Versuchen anders ausgehen könnte als im Fall von Thomson, muss allerdings bezweifelt werden.

Regelmäßig hat die Legislative in Washington Passagen in Haushaltsgesetze einfließen lassen, nach denen für den Transfer von Häftlingen aus Kuba kein Geld ausgegeben werden darf. Und: Es sind bei weitem nicht nur die Republikaner, die sich gegen eine Überstellung nach Kansas, South Carolina oder Colorado sträuben, auch wenn aus ihren Reihen die lautesten Proteste kommen. Im November, als der Senat mit dem "National Defense Authorization Act" fürs nächste Finanzjahr den Guantánamo-Passus ein weiteres Mal erneuerte, schlossen sich auch die meisten Demokraten dem Votum der Republikaner an. Die einzigen Gegenstimmen aus den Reihen der Demokraten kamen von Bernie Sanders, dem linken Präsidentschaftskandidaten, sowie von Jeff Merkley und Ron Wyden, den Senatoren des liberalen Pazifikstaats Oregon.

Kein Druck von der Öffentlichkeit

Und es ist auch nicht gerade so, als würde die Öffentlichkeit Druck machen. Die größte Entrüstung über die rechtliche Grauzone "Gitmo", wo viele Gefangene schon seit mehr als zehn Jahren ohne Anklage, geschweige denn Prozess fegehalten werden, herrschte stets im Ausland. In den USA teilten relativ wenige diesen Zorn. Schließlich, so hörte man häufig, fanden die Anschläge vom 11. September 2001 auf amerikanischem Boden statt. Inzwischen ist es relativ ruhig geworden, auch Kritiker im Ausland scheinen sich irgendwie an das Lager gewöhnt zu haben. Das Wort Schandfleck ist seit langem nicht mehr zu hören gewesen.

Erschwerend kommt für Obama hinzu, dass die Erfolge im Kampf gegen al Kaida als Drahtzieher des Blutvergießens vom 11. September im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent sind. Auf der anderen Seite haben die Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Terrorängste wachgehalten. So hatte der frühere republikanische Präsident des Abgeordnetenhauses, John Boehner, der Obama-Regierung vorgeworfen, sie setze mit ihren Guantánamo-Plänen die Sicherheit der USA aufs Spiel, "während islamistische Dschihadisten Amerikaner enthaupten".

Dagegen zu argumentieren, fällt schwer. Mit derselben Regelmäßigkeit, mit der der Kongress einen Strich durch Obamas Rechnung macht, bringt der Präsident daher den Sparfaktor ins Spiel: Jede Alternative zu Guantánamo wäre deutlich billiger. Die Kosten für Unterbringung und Bewachung eines einzelnen Gefangenen auf dem US-Stützpunkt in der Karibik werden auf drei Millionen Dollar pro Jahr geschätzt, das 115-fache dessen, was der Fiskus für einen "normalen" Häftling in einem Bundesgefängnis berappen muss. Guantánamo, das steht außer Zweifel, ist der teuerste Knast der Welt.

(RP)
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