Düsseldorf Bauministerin erzürnt Behinderte

Düsseldorf · Die im Dezember verabschiedete Landesbauordnung soll ausgesetzt werden.

Gleich mit ihrer ersten größeren Amtshandlung als NRW-Landesbauministerin polarisiert Ina Scharrenbach (CDU). Opposition und Behindertenverbände werfen der Multi-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung vor, die Interessen Behinderter zu gefährden. Die Immobilienwirtschaft jubelt hingegen.

Wie im Koalitionsvertrag verabredet hat Scharrenbach ein Moratorium für die Landesbauordnung angekündigt. Die im Dezember von der rot-grünen Vorgängerregierung nach jahrelangen Verhandlungen beschlossenen Vorgaben für Bauvorhaben sollen frühestens Ende 2018 und damit ein Jahr später als geplant in Kraft treten. Bis dahin sollen Bauanträge im Wesentlichen nach dem alten Recht aus dem Jahr 2000 genehmigt werden.

Damit kommen Bauherren vorerst um neue Auflangen für behindertengerechtes Bauen herum: Die jüngste Neuregelung sah vor, dass bei Neubauten mit mehr als acht Wohnungen eine, bei mehr als 15 Wohnungen zwei Wohneinheiten rollstuhlgerecht nutzbar sein müssen. Bei Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen sollten die Wohnungen zumindest eines Geschosses vollständig barrierefrei sein.

Die neue Landesregierung sieht in der Novelle ein Hemmnis für Neubauten, weil sie zu viele kostentreibende Auflagen enthalte. "Baukostensteigernde Regulierungen und Vorgaben werden wir auf den Prüfstand stellen. Das Ziel der neuen Landesregierung ist es, ein Klima für Neubau zu schaffen", sagte gestern Scharrenbachs Sprecher.

In vielen Ballungsräumen des Landes, zum Beispiel in Düsseldorf, herrscht Wohnungsnot. Derzeit werden landesweit jährlich 25.000 Wohnungen zu wenig gebaut. Experten machen dafür die gestiegenen Baukosten verantwortlich: Studien beziffern den Baukosten-Zuwachs der vergangenen 15 Jahre auf knapp 50 Prozent.

Umgekehrt beklagen die Behindertenverbände, dass es vor allem an preiswerten Wohnungen für behinderte Menschen fehle. In NRW leben 350.000 Rollstuhlfahrer. Nach Angaben des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VWD) ist eine rollstuhlgerechte Wohnung bis 15 Prozent teurer als eine reguläre. Der Verband lehnt die pauschalen Quoten der Novelle ab, weil der Bedarf regional sehr unterschiedlich sei. Er will, dass der Markt Angebot und Nachfrage zusammenführt, und begrüßt das Moratorium. Andere Immobilienverbände argumentieren ähnlich.

Der Landeschef des Sozialverbands VdK, Horst Vöge, hält dagegen: "Mit der Novelle hatte NRW bislang eine Vorreiterrolle. Wenn die Verbesserungen für behinderten- und seniorengerechtes Wohnen nun ausgesetzt werden, wirft das die Betroffenen um Jahre zurück." Grünen-Fraktionschef Arndt Klocke erhebt persönliche Vorwürfe gegen Scharrenbach: "Scharrenbachs Schritt ist ein Dankeschön an ,Haus und Grund' für die geleistete Wahlkampfhilfe." Die Aussetzung der Bauordnung sei nicht nachvollziehbar. "Kein Regelwerk wurde in der letzten Legislaturperiode so intensiv diskutiert wie die neue Landesbauordnung", so Klocke.

Josef Neumann von der SPD-Fraktion im Landtag sagt: "Es ist zu befürchten, dass die vorgesehenen Verbesserungen bei der Barrierefreiheit von Gebäuden schlichtweg rückgängig gemacht werden."

Entschieden ist das noch nicht. Nach den Parlamentsferien wird der Landtag sich mit dem Moratorium und einer Neufassung zur Neufassung der Landesbauordnung befassen.

(tor)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort