Analyse Patienten wehren sich gegen Pfusch

Berlin · Bei den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung gingen 2013 rund 14 600 Beschwerden wegen Ärztefehlern ein. Einen direkten Rückschluss auf die Qualität der Gesundheitsversorgung lässt das aber nicht zu.

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Patienten wehren sich vermehrt gegen Fehler bei ärztlichen Behandlungen. Besonders häufig beklagen sie Probleme nach der Behandlung wegen Knie- und Hüftgelenkverschleiß sowie Karies. Nach dem statistischen Bericht des Medizinischen Dienstes des Kassen-Spitzenverbands (MDS), der gestern vorgestellt wurde, stieg die Zahl der Beschwerden im vergangenen Jahr um 2000. Das sind 17 Prozent mehr als im Vorjahr 2012. Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) erstellten rund 14 600 Gutachten auf der Grundlage von Patientenbeschwerden. Davon sind in knapp 3700 Fällen Behandlungsfehler bestätigt. Das entspricht jeder vierten Beschwerde. Bei gut zwei Dritteln der bestätigten Fehler wird dieser auch im Gutachten als ursächlich für den Schaden angesehen. Das ist jedoch der entscheidende Punkt, um die eigenen Rechte geltend machen zu können.

Die Zahl der bestätigten Behandlungsfehler ist hingegen von 2012 auf 2013 gesunken: Im Jahr 2012 waren es noch rund 3900. Rund 70 Prozent der beanstandeten Fehler entfallen dabei auf die Behandlung in Krankenhäusern. Auch hier wurde allerdings nur rund ein Viertel von den Gutachtern bestätigt. Besonders betroffen sind im ambulanten und stationären Bereich die medizinischen Fachgebiete Orthopädie- und Unfallchirurgie, Chirurgie, Zahnmedizin und Innere Medizin. Bei den Fehlervorwürfen im Bereich Pflege ergab sich eine besonders hohe Bestätigungsquote: Rund die Hälfte der Vorwürfe wurde anerkannt.

Der MDS gibt einmal jährlich Daten zu Behandlungsfehlern bekannt. Er ist damit eine von drei Institutionen, die Ärztefehler nachhalten. Die Bundesärztekammer wird ihre Zahlen voraussichtlich Ende Juni veröffentlichen. Zusammengefasst werden die Fallzahlen aus den Gutachterstellen der Ärzteschaft. Dort sollen zudem rund 12 000 Anträge auf Gutachten eingegangen sein. Auch hier wurde in rund jedem vierten der untersuchten Fälle ein Fehler festgestellt. Eine dritte Quelle sind Patientenorganisationen.

Den starken Anstieg der Beschwerden führt man beim MDS auf das im vergangenen Jahr in Kraft getretene Patientenrechtegesetz und die vorherige Debatte über Patientenrechte zurück. Bei groben Fehlern muss nun nach dem Gesetz der Arzt beweisen, dass der nachgewiesene Fehler nicht den eingetretenen Schaden beim Patienten verursacht hat. Bisher war dies nur aufgrund von Gerichtsurteilen möglich. In allen anderen Fällen müssen aber weiterhin die Patienten beweisen, dass dem Arzt bei der Behandlung Fehler unterlaufen sind. Dafür erhalten sie aber Einsichtsrecht in ihre Patientenakte. Außerdem müssen auch die Krankenkassen ihre Versicherten bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen unterstützen, zum Beispiel mit einem Gutachten. Kritiker halten das Gesetz jedoch für unzureichend.

Experten aus Ärzteschaft und Politik reagierten auf die Vorstellung des MDS-Berichts unterschiedlich. "Ärzte sind Menschen. Und Menschen machen Fehler, auch in Krankenhäusern", sagt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Wichtig ist, daraus zu lernen. Wir brauchen eine neue Fehlerkultur. Patienten, Pfleger und Ärzte profitieren, wenn Fehler nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden." Fraglich bleibt, wie eine solche Fehlerkultur aussehen soll. Spahn schlug vor, ein Institut zur Qualitätssicherung gründen zu wollen.

Einen Rückschluss auf eine mangelnde Qualität der Gesundheitsversorgung dürfte die Fehlerstatistik allerdings kaum zulassen. Denn immerhin ist die Fehlerquote im Vergleich zu den jährlichen Behandlungsfällen gering. "Angesichts von fast 700 Millionen Behandlungsfällen im ambulanten Bereich und mehr als 18 Millionen Fällen in den Kliniken jährlich bewegt sich die Zahl der festgestellten ärztlichen Behandlungsfehler im Promillebereich", sagt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Die medizinischen Dienste schreiben in ihrem Bericht selbst, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ seien. "Die Gesamtzahl der Behandlungsfehler in Deutschland und die der geschädigten Patienten ist unbekannt", heißt es dort. Das deutet aber gleichzeitig auf eine große Dunkelziffer der tatsächlichen Fehler hin. Behandlungsfehler werden nicht immer (rechtzeitig) erkannt, und auch die Zahl der Beschwerden reicht nicht aus, um auf die tatsächliche Zahl der Kunstfehler zu schließen. Denn nicht alle Patienten rügen mögliche Fehler.

Aus der Sicht der Krankenkassen sind die Risiken für die Patienten nach wie vor zu hoch. "Viele Behandlungsfehler wären vermeidbar", sagt Stefan Gronemeyer, leitender Arzt des MDS. Er plädierte für "wirkungsvolle, anerkannte Maßnahmen zur Fehlervermeidung und ein klinikbezogenes Risikomanagement". Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Harald Weinberg, sieht einen Zusammenhang zwischen Fehlerhäufigkeit und dem Personalmangel in Kliniken sowie dem Zeitdruck, dem sich die Mitarbeiter stellen müssen.

Patienten, die meinen, einem Behandlungsfehler unterlegen zu sein, können sich beispielsweise an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wenden. Wer gesetzlich versichert ist, sollte den Fall seiner Krankenkasse mitteilen, die vom MDK ein kostenfreies Gutachten erstellen lässt. Ein Behandlungsfehler liegt immer dann vor, wenn es einen Schaden gibt, dessen Ursache auf die Behandlung zurückzuführen ist, heißt es in den Kriterien bei der UPD. Außerdem muss nachgewiesen sein, dass bei der Behandlung gegen die Regeln ärztlicher Kunst verstoßen wurde.

Die größte Schwierigkeit für die betroffenen Patienten dürfte in des darin liegen, den Kunstfehler stichhaltig nachzuweisen.

(RP)
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