Analyse vor der Israel-Wahl Für Benjamin Netanjahu wird es eng

Jerusalem · Israel wählt heute ein neues Parlament; die Amtszeit des regierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu könnte damit zu Ende gehen. Herausforderer Izchak Herzog liegt vor den Wahlen bei den Umfragen vorn.

 Benjamin Netanjahu bei der Stimmabgabe am Dienstagmorgen.

Benjamin Netanjahu bei der Stimmabgabe am Dienstagmorgen.

Foto: afp, mcp

Kurz vor den Parlamentswahlen in Israel hat sich das Blatt gewendet. Der amtierende Ministerpräsident Benjamin "Bibi" Netanjahu, bis vor kurzem noch klarer Favorit, stellt sich jetzt auf eine Niederlage ein. Das Mitte-Links-Bündnis von Izchak Herzog konnte zuletzt seinen Vorsprung in den Umfragen ausbauen. Zuvor hatte das Zionistische Lager wochenlang noch etwa gleichauf mit Netanjahus rechtsorientiertem Likud gelegen. "Ich mache mir in der Tat Sorgen", sagte der Regierungschef, der für eine vierte Amtszeit antritt.

Rettung sucht Netanjahu im rechten Lager. "Noch gibt es mehrere Mandate Vorsprung für das Zionistische Lager. Diese Kluft müssen wir schließen", sagte der 65-jährige israelische Regierungschef gestern bei einer Wahlveranstaltung in der Ostjerusalemer Siedlung Har Choma. Auf die Frage eines Journalisten, ob es unter seiner Regierung keinen Palästinenserstaat geben werde, antwortete er: "Gewiss." Damit geht er auf Distanz zu seiner bisher offiziellen Politik, die mit der Zweistaatenlösung das Palästinenserproblem beizulegen versuchte.

Der Schein, dass die Parlamentswahlen Israels Bürger vor die Wahl zwischen dem konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Herausforderer, dem Sozialdemokraten Izchak Herzog, stellt, trügt indes. Weit mehr als die Hälfte wählen weder den einen noch den anderen: Mosche Kachlon von der Partei Kulanu gilt schon jetzt als Königsmacher, aber auch die anderen Parteien in der zweiten Reihe werden kräftig mitreden, wenn Herzog oder Netanjahu mit der Bildung einer Regierungskoalition beauftragt werden. Egal, wer von den beiden das Rennen für sich entscheidet, sicher ist, dass es einen schwachen Sieger geben wird.

Entsprechend der letzten Umfragen liegt Herzog mit vier Mandaten vorn. Am Sonntag warnte Netanjahu bei der Kundgebung des rechten Lagers auch angesichts der Umfragewerte vor der "drohenden Gefahr einer Linksregierung". Zum ersten Mal seit 15 Jahren könnte Israel wieder von einer Koalition der linken Mitte regiert werden, doch selbst unter den sozialdemokratischen Wählern will darüber kaum Euphorie aufkommen. Etwas blass wirkt der Spitzenkandidat vom Wahlbündnis Zionistisches Lager, auf das sich Herzog mit Ex-Justizministerin Zipi Livni von der Tnuah einigte. Kein Vergleich zu den früheren Chefs der Arbeitspartei Ehud Barak oder gar Izhak Rabin, der 1994 ermordete Regierungschef und Friedensnobelpreisträger.

Viele Israelis empfinden Herzog als einen "Nerd", einen langweiligen Bücherwurm, immer höflich und eher bescheiden. Tatsächlich aber hält er selbst viel von sich, schließlich hat er schon überrascht, als er Chef der Arbeitspartei wurde, und nun damit, dass er Netanjahu einen so ernsten Zweikampf um die Präsidentschaft bietet. Er werde sich auch als Regierungschef beweisen.

Der Sohn des früheren UN-Botschafters und Staatspräsidenten Chaim Herzog verspricht, den Friedensprozess voranzutreiben und Israel aus der internationalen Isolation zu retten. Netanjahu "verbreitet Angst", sagt er. "Aber ich werde neue Hoffnung schaffen." Der gelernte Jurist nennt sich selbst einen "Workaholic" und erscheint immer leicht übermüdet mit Ringen unter seinen hellblauen Augen und sanfter, fast belegter Stimme. Herzog gibt zu, kein so großer Redner zu sein wie Netanjahu, aber schließlich seien jetzt Taten gefragt, keine Worte. Innerhalb von nur einem Jahr unter seiner Regierung soll Israel "ruhiger, versöhnter und geistig normaler sein".

Herzog profiliert sich als die einzige Alternative, und es scheint ihm nichts auszumachen, dass viele Stimmen für das Zionistische Lager letztendlich Anti-Bibi-Voten sind, also von Wählern kommen, die auf keinen Fall eine weitere Regierungsperiode Netanjahus wollen. Das Bündnis mit Zipi Livni hat sich bewiesen. Die Arbeitspartei allein stünde heute nicht so gut in den Umfragen wie das Zionistische Lager. Trotzdem gerät Livni unter verstärkten Druck, auf die vereinbarte Rotation im Regierungsamt zu verzichten, sollte das Zionistische Lager gewinnen. Während Herzog kaum Emotionen weckt, avancierte Livni zum Schreckgespenst der Rechten. "Ihr wählt ihn", heißt es in einem Werbespot des Likud, der mit dem Foto von Herzog beginnt, "aber Ihr bekommt sie", droht der Sprecher, während sich das Bild langsam zum Gesicht Livnis entwickelt.

Der Wahlkampf gegen die frühere Justizministerin, die selbst einst in den Reihen des Likud groß geworden ist und fast zwei Jahre in Netanjahus scheidender Koalition saß, war gnadenlos. Sie scheint den Konservativen Angst einzujagen, vielleicht weil es Nachahmer geben könnte und weitere Likud-Politiker, die umdenken und liberaler werden. Für Livni ist der Traum des gelobten und ungeteilten Eretz Israel, der in ihrem Elternhaus als höchstes Ziel galt, lange vorbei. Sogar auf dem Grabstein ihres Vaters ist eine Karte von Groß-Israel abgebildet, inklusive weiter Teile des heutigen Jordaniens. Sie selbst folgte ohne nachzudenken ihrem Mentor, dem früheren Regierungschef Ariel Scharon, als er den Likud verließ, um mit der neuen Partei Kadima 2005 den einseitigen Abzug aus dem Gaza-Streifen voranzutreiben. Seither predigt Livni die Zweistaatenlösung und schloss sich Netanjahus Regierung an einzig mit dem Ziel, den Dialog mit den Palästinensern fortzusetzen.

"Ihr habt meine Regierung dafür kritisiert, dass sie jüdische Wohnviertel im (palästinensischen) Ost-Jerusalem baut", schimpfte Netanjahu auf seine Herausforderer. Dabei hat Herzog selbst als Bauminister in der Koalition unter Scharon einst Siedlungen im Osten Jerusalems errichten lassen. Das sei lange her, wehrt Herzog heute ab und signalisiert, dass auch er eine Linkswende hinter sich hat.

(RP)
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