Schach-Spiel um Griechenland Athen setzt sich matt

Berlin · Das Schach-Spiel um die Griechenland-Rettung geht zu Ende. Die Banken stehen kurz vor dem Kollaps. Eine Rettung wird unwahrscheinlicher.

Griechenland: Der erste Tag der Bankenschließung
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Der erste Tag der Bankenschließung in Griechenland

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Zur Geisterstunde hatte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras die Volksabstimmung über den Euro angekündigt. Die deutsche Kanzlerin und den französischen Premier hatte er kurz per Telefon informiert. Die Griechen verstanden sofort und versuchten, ihr Vermögen abzuheben.

Was passiert mit den Banken? Die Europäische Zentralbank (EZB) entschied, dass sie die Notkredite (Ela-Kredite) zwar nicht weiter aufstockt, aber bei 89 Milliarden Euro belässt. Seit die EZB im Februar die Annahme griechischer Staatsanleihen einstellte, sind die griechischen Banken von der üblichen Geldversorgung abgeschnitten. Sie bekommen neues Geld nur noch über Notkredite. Über dessen Höhe entscheidet täglich der EZB-Rat. Die Botschaft von EZB-Präsident Mario Draghi ist deutlich: Er will nicht der Totengräber von Hellas als Euro-Land sein. Zugleich aber erhöht er mit der Deckelung der Notkredite den Druck auf Griechenland gewaltig. Schon jetzt ist offen, wie lange die Banken dem Ansturm noch standhalten.

Wie kann Hellas den Bankenrun verhindern? Das griechische Kabinett beschloss gestern entgegen ersten Ankündigungen Kapitalverkehrskontrollen. Die Banken bleiben mindestens für heute geschlossen. Die EZB habe die Banken zu diesem Schritt gezwungen, sagte Tsipras. Er rief seine Landsleute zur Ruhe auf. Die Einlagen griechischer Bankenkunden seien sicher, sagte er. Die große Frage ist, wie lange die Griechen geschlossene Geldautomaten und Bankschalter akzeptieren.

Sollte die EZB Athen mit Notfallkrediten über das Referendum retten? "Das darf die EZB auf keinen Fall. Die EZB darf das Verbot der Staatenfinanzierung nicht umgehen, indem sie den griechischen Banken Kredite gibt, die an die griechische Regierung weitergeleitet werden", warnt Clemens Fuest, künftig Chef des Ifo-Instituts. "Es ist ein schwerer Fehler der EZB, dass die Ela-Kredite in den letzten Monaten immer mehr ausgeweitet wurden. Das hat die Verhandlungsmacht der griechischen Regierung immer mehr gestärkt, weil die Verluste der Gläubiger bei einem Grexit wachsen."

Wann ist Griechenland pleite? Bis Dienstag ist eine Kreditrate von 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) fällig. In Washington, dem Sitz des IWF, muss das Geld bis 24 Uhr Ortszeit (Mittwoch sechs Uhr deutscher Zeit) angekommen sein. Kommt kein Geld, muss IWF-Chefin Christine Lagarde ihr Exekutiv-Komitee informieren. In diesem Moment wird die Zahlungsunfähigkeit des Landes offiziell festgestellt. Allerdings erlauben die Regeln des IWF, dass die Präsidentin sich ein paar Tage Zeit lassen kann. "Der IWF leitet eine Art Mahnverfahren ein, das zunächst nur zu Zahlungsaufforderungen führt, schlimmstenfalls zum Ausschluss aus dem IWF", erläutert Ökonom Fuest.

Welche Rolle spielt das Referendum? Am nächsten Sonntag stimmt das Volk ab. Die Frage ist, was Tsipras fragen wird. Lässt er über das Sparprogramm abstimmen (wahrscheinlich), dürfte die Mehrheit der Griechen "nein" sagen - und damit die Pleite oder den Austritt des Landes aus dem Euro befördern. Lässt er über den Verbleib in der Euro-Zone abstimmen (unwahrscheinlich), dürfte die Mehrheit zwar dafür sein, müsste dann aber auch das Sparprogramm akzeptieren.

Was passiert bei einer Pleite in Griechenland? Der Staat hat kein Geld mehr, um Renten und Löhne an die Staatsdiener zu zahlen. Er muss den Menschen stattdessen Schuldscheine ("Geuros") geben, in der Hoffnung, dass die Geschäfte, Ärzte und Vermieter diese annehmen. Zwei Parallelwährungen werden entstehen: Reiche Griechen, die genug Euros zur Seite geschafft haben, werden damit bezahlen und alles bekommen. Arme Griechen, die nur die neuen Schuldscheine besitzen, sind auf das Wohlwollen der Anbieter angewiesen. Da Benzin und Medikamente importiert werden, werden deren Preise kräftig steigen. "Wenn kein politisches Wunder mehr möglich ist, müssen Hilfsmaßnahmen, etwa für Import-Medikamente, vorbereitet werden, um die bedürftigen Menschen in Griechenland nicht ins Bodenlose fallen zu lassen", forderte Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentralen. Es müsse europäische Solidarität für die Alltagsbewältigung geben.

Was passiert an den Börsen? In den nächsten Tagen dürfte es an den Börsen weltweit turbulent werden. Der Dax rutschte gestern im außerbörslichen Handel des Düsseldorfer Brokerhauses Lang & Schwarz um rund 350 Punkte (drei Prozent) ab. Andere halten einen Sturz um 500 Punkte für möglich. Die große Frage ist, was auf Dauer mit den Staatsanleihen anderer Euro-Staaten wird. Deren Zinsen werden hochgehen - offen ist, wie hoch und wie lange. Der Rettungsfonds ESM steht bereit, hat aber auch nicht genug Geld, um etwa Italien zu retten.

Welche Folgen hat die Pleite für die deutsche Wirtschaft? Nach der Lehman-Pleite 2008 zog sich der Börsencrash über zwei Wochen hin. Dann erreichte die Krise die Realwirtschaft: Aus Unsicherheit stornierten Unternehmen massenhaft Aufträge, Tausende mussten in Kurzarbeit. Am Ende rutschte die verunsicherte Wirtschaft in eine tiefe Rezession (minus sechs Prozent), die auch unbeteiligte Handwerker und Mittelständler mitriss. Ob das dieses Mal auch so käme, hängt von Griechenland und der Ansteckung auf andere Länder ab.

Bedeutet die Staatspleite automatisch den Grexit? Nein. Varoufakis betonte, sein Land werde sich nicht aus der Euro-Zone werfen lassen. In der Tat ist dies auch nicht möglich, stattdessen muss ein Staat aus der Europäischen Union austreten und so die Euro-Zone verlassen. Klar ist aber auch, dass die Griechen nach der Staatspleite eine Währung brauchen, mit der sie ihre Zahlungen abwickeln können.

Wie könnte ein Grexit ablaufen? Die griechische Regierung müsste die Währungsumstellung beschließen und logistisch vorbereiten, erläutert Ökonom Fuest. Dann müsste ein Stichtag zur Währungsumstellung festgelegt werden. "Je schneller das geht, desto geringer ist das Chaos." Die EU müsse einen Weg finden, dass Griechenland trotzdem EU-Mitglied bleiben kann.

Was heißt das für die Flüchtlingspolitik? Im Krach pleitegehen, aber in der EU bleiben - das wird schwierig. Athen könnte die EU-Flüchtlingspolitik aufkündigen und bei allen Beschlüssen, die die EU einstimmig fällen muss, querschießen. Der tschechische Ministerpräsident Sobotka warnte, beim Grexit drohe ein Anwachsen der Flüchtlingsströme aus dem Mittelmeerraum. Offen ist, was aus der Annäherung an Russland wird. Auch aus diesen Gründen haben die Europäer Interesse daran, das griechische Problem zu lösen.

(RP)
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