Berlin Berlin droht mit Abzug aus Incirlik

Berlin · Weil die Türkei erneut einen Besuch von Bundestagsabgeordneten bei deutschen Soldaten in dem türkischen Luftwaffenstützpunkt untersagt hat, fasst die Regierung eine Verlegung des Kontingents nach Jordanien ins Auge.

Das definitive Verbot für deutsche Parlamentarier, die deutsche Parlamentsarmee im türkischen Incirlik besuchen zu dürfen, hat bei der Bundesregierung das Fass zum Überlaufen gebracht. Bei ähnlichen Problemen im vergangenen Jahr wurden die Regierungspolitiker nicht müde, die Besuchs-Verweigerung durch die Türkei von der Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den islamistischen Terror zu trennen. Doch nun droht die Regierung offen mit einer Verlegung der 250 Soldaten aus dem türkischen Luftwaffenstützpunkt.

Dort lief der Routine-Betrieb zunächst weiter: Aufklärungsjets und Tankflugzeuge gingen an den Start, Bundeswehr-Soldaten werteten die gewonnenen Informationen aus und nahmen neue Aufträge der internationalen Koalition entgegen. 900 Aufklärungsmissionen und 2000 Luftbetankungen haben die Deutschen inzwischen absolviert. Doch ob ihr Einsatz vom türkischen Boden aus so bleibt, ist nun mehr als fraglich geworden. Das Verteidigungsministerium beeilte sich auch mit dem Hinweis, dass von der geplanten Millionen-Investition in dauerhafte deutsche Infrastruktur in Incirlik bislang nur Planungskosten im kleinen vierstelligen Bereich fällig geworden sind.

Noch im Oktober hatte Deutschland es vermieden, verschiedene Themen zu vermischen. Die Türkei hingegen hat genau dies bereits seit dem Sommer 2016 betrieben: Die Weigerung, einer Delegation des Verteidigungsausschusses Zugang zu den deutschen Soldaten innerhalb des türkischen Stützpunktes zu ermöglichen, war indirekt mit der vom Bundestag gefassten, aber von der Türkei heftigst bekämpften Armenien-Resolution, in der von Völkermord die Rede war, begründet worden. Erst nach mühsamem diplomatischen Tauziehen konnten die Bundestagsabgeordneten ihre Soldaten aufsuchen. Schon an jenem 5. Oktober war indes offen geblieben, ob damit nur eine einmalige Besuchserlaubnis verbunden war oder sich das Problem nun grundsätzlich erledigt hatte.

Das hat es ganz offensichtlich nicht. Das Auswärtige Amt hat kaum Schriftliches im Zusammenhang mit der für heute geplanten Incirlik-Reise der Obleute im Verteidigungsausschuss in der Hand. Aber bei einem Gespräch im türkischen Außenministerium erfuhr der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, dass ein Besuchswunsch beim derzeitigen Stand der deutsch-türkischen Beziehungen nicht erfüllt werden könne. Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel hatte zu gründlichen Verstimmungen zwischen Ankara und Berlin geführt, die sich in der vergangenen Woche nach der Festnahme der deutsch-türkischen Übersetzerin Mesale Tolu noch einmal verschlechterten. Es ist nicht klar, ob Tolu überhaupt einen türkischen Pass besitzt. Dass die Türkei das Auswärtige Amt nicht informiert und keinen konsularischen Zugang zu der Frau ermöglicht, wertet Berlin als völkerrechtswidrig.

Bei Erdmanns Gespräch im Außenministerium stellte die Türkei zudem einen Zusammenhang mit den Asylverfahren türkischer Soldaten in Deutschland her. "Total unverständlich" wertet die Bundesregierung diese Verknüpfung. Sie bleibt offiziell dabei, die Türkei umstimmen zu wollen, um zeitnah den Besuch der Bundestagsdelegation zu ermöglichen. Sowohl Außenminister Sigmar Gabriel als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel würden das bei den im Rahmen internationaler Konferenzen anstehenden Gespräche mit türkischen Spitzenpolitikern thematisieren.

Zugleich gab die Regierung aber auch den Startschuss, mögliche Alternativen zu durchdenken. Drei liegen bereits in der Schublade. Bereits im vergangenen Jahr war eine Verlegung der deutschen Anti-IS-Komponente von rund 250 Soldaten nach Kuwait, Zypern oder Jordanien geprüft worden. Jordanien blieb in der engeren Wahl. Bei deutsch-jordanischen Kontakten kam dem Vernehmen nach ein möglicher Umzug bereits zur Sprache. Zwar müsste die Bundeswehr im Vergleich zu Incirlik Abstriche bei den Einsatzbedingungen, der Sicherheit und der Abstimmung mit den Partnern hinnehmen, aber unter den drei Optionen böte Jordanien immer noch die "besten Voraussetzungen", schilderte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Durchgerechnet wurde bereits, wie aufwendig die Verlegung von der Türkei nach Jordanien wäre: Zwischen 180 und 200 Großcontainer müssten verfrachtet werden. Abbau, Transport und Wiederaufbau wären sodann eher eine Angelegenheit von mehreren Monaten als von wenigen Wochen. Gleichwohl sieht sich die Regierung nun gezwungen, sich Gedanken zu machen, "wie es weitergeht".

(RP)
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