Analyse Bestseller Parteibuch

Berlin · "Trump-Effekt" und"Schulz-Effekt" haben das Mittun in Parteien wieder attraktiver gemacht. Erstmals freuen sich alle Parteien über wieder steigende Beitrittszahlen. Forscher sprechen von einem "demokratischen Trotz".

"Wo kann ich mich dagegen engagieren?", lauteten Kommentare von jungen Menschen nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Ein "Trump-Effekt" der besonderen Art. Die SPD startete zugleich mit einer Sympathiewelle für den neuen Kanzlerkandidaten Martin Schulz ins neue Jahr. Auch dieser "Schulz-Effekt" zeigt nun bemerkenswerte Wirkungen an einer Stelle, die seit Jahren fast bei allen Parteien negative Zahlen aufwies: bei der Mitgliederentwicklung. Im Wahljahr gibt es ein neues Phänomen: Alle Parteien verzeichnen mehr Beitritte.

Das sei "in dieser Größenordnung ungewöhnlich", meint Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg. Er sieht darin eine "politisierte Gesellschaft, die mit demokratischem Trotz die Mitte neu entdeckt".

Auch wenn die Umfragewerte für die SPD längst wieder gesunken sind - die Neuentdeckung der SPD als Mitgliederpartei ist geblieben. Im Jahr der Wiedervereinigung zählte die Sozialdemokratie noch 943.000 Genossen. Deren Zahl hatte sich bis Ende 2016 auf 432.706 mehr als halbiert. Dann kam Schulz und mit ihm ein Berg von neuen Parteibüchern: mehr als 17.000 Neueintritte. Selbst nach Abzug von Austritten und Sterbefällen bleibt allein bis Ende April ein Plus von fast 10.000 Mitgliedern.

Damit behauptet die SPD den ersten Platz unter den Parteimitgliedschaften, der ihr wegen des rapiden Absturzes der CDU im letzten Herbst wieder zugefallen war. Denn die Christdemokraten waren 2016 um gut 15.000 Mitglieder geschrumpft. Nun ist der Trend gestoppt. Zwar liegt die CDU mit 429.000 Mitgliedern noch gut 2000 unter dem Dezember-Wert, aber der Zuspruch wächst wieder. "In den ersten fünf Monaten sind mehr als 7000 Bürgerinnen und Bürger eingetreten", meldet die Parteizentrale. Bei der CSU ist die Entwicklung ähnlich. Gegenüber dem letzten Jahr fiel der Bestand um rund 1000 auf nun 142.000, doch die letzten Monate ergeben unter Abzug der Austritte und Todesfälle ein kleines, aber stetiges Wachstum: 82 Mitglieder mehr im März, 79 im April, 153 im Mai.

Auch jenseits der Volksparteien ist der Befund deutlich: Die FDP hat mit 5500 Eintritten 2017 schon mehr als im ganzen vergangenen Jahr (4100). Der aktuelle Stand: 58.000. Auch die Grünen haben Grund zur Freude, wenn sie mal nicht auf die Umfragewerte, sondern auf ihre Mitglieder schauen. "Rekord" meldeten sie Ende letzten Jahres. Denn im Unterschied zu den ständig schrumpfenden übrigen Parteien hatten die Grünen stets zulegen können. Und nun auch noch mal: 62.132. Daher wieder: "Rekord."

Die Linke hatte es lange Zeit mit einer relativ alten Mitgliedschaft zu tun. Nun kamen im vergangenen Jahr 5500 dazu, die zur Hälfte unter 35 Jahren waren, und in diesem Jahr sind es bereits 3000 - macht unter Abzug der Abgänge einen Nettozuwachs von 1000 Sozialisten. "Rekord" meldet zudem die AfD. Sie hatte in diesem Jahr bereits 4344 Eintritte und liegt nun bei "rund 30.000 Mitgliedern und Förderern", wie die Partei auf Anfrage mitteilte.

Bei der Analyse kommt Parteienforscher Oskar Niedermayer aus Berlin als erstes auf den "Schulz-Effekt" zu sprechen. Zudem erkennt er in Bundestagswahljahren eine generell "stärkere Mobilisierung und Politisierung". Die schlug sich bei den Bundestagswahlen seit der Wiedervereinigung jedoch nur vereinzelt für CSU, FDP, Grüne und Linke in kleinen bis kleinsten Zuwächsen nieder. Bei CDU und SPD bedeutete es lediglich, dass der Mitgliederverlust im Gegensatz zu den Nicht-Wahljahren weniger dramatisch ausfiel. Dieses Mal könnte es auch bei den Volksparteien stärker nach oben gehen. Das scheint auch der veränderten Wahlkampfstrategie zu verdanken zu sein. Bei der zurückliegenden "asymmetrischen Demobilisierung" achteten die Kampagnen-Regisseure darauf, dass von den Anhängern der anderen mehr einschliefen als von den eigenen.

Nun sind die Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW als Testläufe für die Bundestagswahl eher nach dem Muster einer "symmetrischen Mobilisierung" gelaufen: Ganz gezielt sprachen die Parteien vor allem die eigenen Sympathisanten an. Und zwar durch speziell geschulte Wahlkämpfer, die an möglichst vielen Haustüren potenzieller Anhänger klingelten. Das wird intern computergestützt mit ständig aktualisierten Argumenten unterfüttert und bedeutet für die Motivation der Eifrigsten etwa, dass die erfolgreichsten Haustürbesucher einen Anruf von Parteichefin Angela Merkel bekommen.

Die SPD in NRW kletterte von Ende Dezember bis Anfang Juni von 108.000 auf 111.000 Mitglieder, und auch die NRW-CDU verzeichnete in den vergangenen drei Monaten steigende Mitgliederzahlen, liegt nun knapp über 129.500. Dieses Verhältnis zeigt auch, wie relativ das Empfinden von NRW als Herzkammer der Sozialdemokratie ist: Noch 1990 lag die SPD bei den Mitgliedern mit 287.000 weit vor der CDU mit 233.000. Doch die SPD schrumpfte dann schneller als die CDU, die seit 2003 mitgliederstärkste Partei an Rhein und Ruhr ist.

Aber auch dieser Größenvergleich macht klar, dass trotz des aktuellen kleinen Zuwachses das "goldene Zeitalter der Mitgliederparteien vorbei" ist, wie Niedermayer feststellt. 1990 waren noch 3,7 Prozent der Erwachsenen Mitglied einer Partei, jetzt ist der Anteil nur noch halb so groß. Niedermayer hat auch die "Rekrutierungsfähigkeit" ausgerechnet, das heißt, wie viele Menschen die einzelnen Parteien in ihrem Einzugsgebiet tatsächlich an sich binden können. Da liegen Linke, Grüne und FDP mit 0,08 Prozent gleichauf, auch SPD und CDU mit 0,65 und 0,78 Prozent. Einzig die CSU ragt mit 1,35 Prozent heraus. Allerdings heißt das auch: 98,2 Prozent sind nicht Mitglied einer Partei.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort