Biete: Schlauchboot, 9,5 Meter, 45 Personen

In den sozialen Netzwerken buhlen Schleuser mit Fotos teurer Jachten um Flüchtlinge, die oft bereit sind, viel Geld zu zahlen, um ins sichere Europa zu gelangen.

Mohammed Mohammed verkauft Hoffnung. "As-salamu alaykum", Friede sei mit euch, grüßt er am 3. August seine Facebook-Gemeinde. Unter der arabischen Grußformel steht ein kurzer Satz: "Tägliche Reisen von der Türkei nach Griechenland ab Marmaris oder Istanbul", dann eine Handynummer. Kontaktaufnahme über die Chat-Dienste Viber und WhatsApp bevorzugt. Es ist keine gewöhnliche Reise, die hier angeboten wird. Sie ist illegal, sie ist teuer, und sie ist gefährlich - eine Schlepperfahrt nach Europa.

Derlei Angebote sind bei Facebook keine Seltenheit. Spätestens seit dem Ausbruch des Syrien-Konflikts hat sich in dem sozialen Netzwerk ein Basar für derartige "Reisen" entwickelt. Die Schleuser nutzen die Plattform, um ihren Service anzubieten. Jachten und Kreuzfahrtschiffe zieren die Profil- und Titelbilder solcher Seiten. Natürlich versprechen sie etwas, das die Schlepper nicht einhalten können - doch die Not ist groß unter den Flüchtlingen.

Um ihre "Kunden" an sich zu binden, buhlen die Schleuser wie Reisebüros um die Verzweifelten: "Direkte Reise nach Italien mit einem Schiff (79 Meter), Kosten: 5500 Dollar", schreibt Mohammed Mohammed. Weitere Angebote gibt es auf der Facebook-Seite "Reisen von der Türkei nach Griechenland". "Wie teuer?", fragt ein Nutzer die Seitenbetreiber. Wenige Minuten später antworten die: "Eine Bootsfahrt kostet 1400 Dollar."

Für eine Fahrt auf einer 28 Meter langen Jacht nach Italien bezahle man 5000 Dollar, "aber nur für ernsthaft Interessierte", heißt es. Das Geld solle im Büro Al-Rashid abgegeben werden. Es ist ein bekanntes türkisches Versicherungsbüro, über das die Schleuser ihre Abrechnungen tätigen, erzählt uns ein seit Kurzem in Deutschland lebender Syrer. Weiter heißt es in der Annonce, die wir für unsere Recherche haben übersetzen lassen: "Buchbar heute, Abreise morgen". Es ist ein schnelles Geschäft. Grundsätzlich gilt bei den zahlreichen Angeboten: je teurer, desto komfortabler. Für knapp 14.000 Dollar gibt es sogar Flüge nach Großbritannien. Im Preis enthalten sei ein vom Assad-Regime ausgestellter Pass, der dem glücklichen Besitzer durch einen Stempel gewähre, das Land legal zu verlassen, verspricht die Anzeige. Rebellen und ihre Angehörigen kommen freilich nicht in diesen Genuss.

Giampaolo Musumeci, italienischer Schriftsteller, und Andrea Di Nicola, Kriminologe an der Universität Trient, haben über die Machenschaften der Schleuser ein Buch geschrieben ("Bekenntnisse eines Menschenhändlers"). Manche Banden brächten es auf 300 bis 600 Millionen US-Dollar im Jahr, schreiben die Autoren.

Einige Schleuser nutzen ihre Facebook-Seiten auch als Liveblog. Sie berichten über die Flucht, über die Temperaturen, den Wellengang, die Stimmung an Bord und die Patrouillen der griechischen Küstenwache. Noch vor 2012 sei Social Media kein Thema gewesen, gestand jüngst ein Kapitän eines Flüchtlingsboots dem Nachrichtensender BBC.

Trotz der Meldungen, dass immer wieder Flüchtlinge im Mittelmeer bei ihrer Überfahrt nach Europa ertrinken, achten die Schleuser teils penibel auf die Zufriedenheit ihrer "Kunden". Denn wer gesund und zumindest halbwegs komfortabel sein Ziel erreicht hat, empfiehlt sein "Reisebüro" weiter.

In der arabischen Facebook-Gruppe "Forum der Obdachlosen" etwa berichten Asylbewerber von ihrer erfolgreichen Flucht und den Erfahrungen mit diversen Schleusern: "Hallo zusammen, ich bin vor einer Woche in Deutschland angekommen. Ich stehe für jegliche Auskünfte zur Verfügung", schreibt beispielsweise Rami K. Die Gruppe zählt knapp 120.000 Mitglieder. Für die Schleuser sind es Multiplikatoren, die ähnlich dem System von Tripadvisor ihre Reise bewerten und im besten Fall anderen Flüchtlingen vorschlagen.

So sinnvoll eine Zerschlagung der Schlepperbanden auch sein mag, für die Flüchtlinge sind die illegalen Überfahrten meist die einzige Möglichkeit, die Kriegsgebiete zu verlassen. Und gegen die Facebook-Seiten etwas auszurichten, ist fast unmöglich. Denn der Algorithmus des sozialen Netzwerks legt seinen Nutzern kaum Beschränkungen auf, zudem liebt er viele "Gefällt mir"-Angaben. Werden Beiträge oft geteilt, steigt ihre Bedeutung.

Bei einer Facebook-Seite stößt man im aktuellsten Beitrag auf das mittlerweile weltbekannte Foto des toten syrischen Flüchtlingskindes, das Anfang September an einem türkischen Strand nahe der Touristenhochburg Bodrum angeschwemmt worden war. Dazu steht ein kurzer Text. Man erwartet jetzt vieles: Dass sich der Schleuser darüber echauffiert, wie stümperhaft seine Kollegen ihre "Reisen" organisieren würden und dass man besser bei ihm aufgehoben sei - oder vielleicht macht er sich sogar über den tragischen Tod lustig. Doch stattdessen steht da: "Ich teile mit, dass ich die Schlepperarbeit aufgegeben habe, in Gedenken an das verstorbene Kind. Ich verspreche Gott, nie wieder in diesem Milieu zu arbeiten."

(RP)
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