Analyse Bildungszeugnis für Deutschland

Wer studiert hat, bekommt mehr Geld: Diese Regel trifft hierzulande besonders zu, wie der neueste Bildungsbericht der OECD belegt. Ihre Eltern bei der Schulbildung zu überflügeln, ist für viele junge Deutsche aber offenbar kein Ziel mehr.

Dieses Zeugnis kommt immer nach den Ferien. Jedes Jahr Anfang September veröffentlicht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Bericht über den Stand der Bildungssysteme in den 34 wichtigsten Industrienationen. Verglichen werden dabei die Gruppen der 25- bis 34-Jährigen und der 55- bis 64-Jährigen. Für die Bundesrepublik fällt die 700 Seiten starke Studie stets vernichtend aus. "Ausreichend", lautet das Urteil der Forscher häufig. Auch beim "Bildungsbericht 2014" ist aus deutscher Sicht auf die strengen Oberlehrer der OECD Verlass: Junge Erwachsene fielen bei den Abschlüssen dramatisch hinter ihre Eltern zurück, der Anteil der Studenten wachse noch immer zu langsam, und um die Bildungsgerechtigkeit stehe es weiterhin schlecht, kritisieren die Forscher. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Abschlüsse 95 Prozent der Schulabgänger in Deutschland haben im Jahr 2012 einen Abschluss im Sekundarbereich erreicht - verfügen also über ein Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Das sind so viele junge Leute wie nie zuvor. Besser ist nur noch Slowenien mit 96 Prozent. Im Schnitt aller Industrienationen sind es 84 Prozent. Berufsausbildungen fließen in einigen Ländern jedoch nicht in die Statistik ein. Den deutschen Wert stellt die OECD als besonders positiv heraus. Gleichwohl wachse hierzulande der Anteil der Hochgebildeten mit akademischem Abschluss so langsam wie in kaum einem anderen Industriestaat. Während in Deutschland inzwischen 28 Prozent der 25- bis 64-Jährigen über einen Studienabschluss verfügen, sind es im OECD-Schnitt 33 Prozent.

Bildungserfolg Je jünger die Deutschen sind, desto größer ist die Gefahr, dass sie den Bildungsabschluss ihrer Eltern verfehlen. 58 Prozent der Erwachsenen erreichen dem Bericht zufolge den gleichen formalen Bildungsstand wie ihre Eltern. 24 Prozent sind besser ausgebildet. 18 Prozent fallen hingegen hinter die Qualifikationen ihrer Eltern zurück. Die Bundesrepublik zählt damit neben Israel und den USA zu den wenigen Industriestaaten, in denen viele junge Menschen heute nicht wesentlich gebildeter sind als ihre Eltern. "Anderen Ländern gelingt es besser, das Bildungsniveau ihrer Bevölkerung über alle Gruppen hinweg zu heben", betonte Heino von Meyer von der Berliner OECD-Vertretung. Aus Sicht der Organisation ist es ein Abstieg, wenn die Kinder von Akademikern kein Hochschulstudium absolvieren. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sieht das anders: In Deutschland stünden den jungen Menschen mit dem Studium und der beruflichen Bildung "zwei gleichwertige Alternativen zur Verfügung".

Soziale Herkunft und Einkommen Der Bildungserfolg eines jungen Menschen in Deutschland ist laut OECD so stark wie in kaum einem anderen Industriestaat an seine soziale Herkunft gekoppelt. Akademikerkinder haben hierzulande eine mehr als doppelt so hohe Chance, selbst ein Studium erfolgreich abzuschließen, als Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern. "Wer Aufstiegschancen eröffnen will, muss deshalb vor allem die Eltern schulen. Sie sind der Schlüssel zum Bildungserfolg ihrer Kinder", sagte der Sozialforscher Klaus Hurrelmann. Akademiker in Deutschland verdienen demnach im Schnitt 74 Prozent mehr als Erwerbstätige, die weder zur Universität noch zur Fachhochschule gegangen sind oder einen Meisterkurs besucht haben. Im Jahr 2000 lag der Akademiker-Vorsprung beim Einkommen bei 45 Prozent. Im Schnitt der anderen Industrienationen beträgt der Lohnvorteil von Studierten 59 Prozent. Bedenkenswert ist jedoch, dass Faktoren wie Glück oder Zufriedenheit bei der Frage nach dem Einkommen keine Rolle spielen.

Arbeitslosigkeit In den vergangenen Jahren ist der OECD zufolge weltweit vor allem die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten gewachsen. Auch in Deutschland sind mit 12,8 Prozent (OECD-Schnitt: 13,6 Prozent) weit mehr Menschen mit geringer Qualifikation ohne Job als in höheren Bildungsstufen. Bei Personen mit Abitur oder Lehre liegt die Quote bei 5,3 Prozent (7,8 Prozent), bei Akademikern sind es 2,4 Prozent (fünf Prozent).

Bildungsausgaben Trotz Krise ist der in die Bildung investierte Anteil der wirtschaftlichen Jahresleistung (Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP) weltweit gestiegen. Dies gilt auch für Deutschland. Allerdings liegt die Bundesrepublik mit einem BIP-Anteil von 5,1 Prozent für Bildung klar unter dem OECD-Schnitt von 6,1 Prozent. Das entspricht einer Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems von rund 25 Milliarden Euro. Sylvia Löhrmann, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und NRW-Schulministerin, sprach sich für weitere Investitionen und für die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems aus.

Frühkindliche Bildung 91 Prozent der Dreijährigen in Deutschland besuchten 2012 eine Einrichtung des sogenannten Elementarbereichs - Tagesstätten oder Kindergärten, die für Kinder ab drei Jahren gedacht sind. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 70 Prozent. Die höchste Bildungsbeteiligung verzeichnen Belgien und Frankreich mit mehr als 98 Prozent.

Steht Deutschland also vor einer Bildungskatastrophe? Nein. Fast jeder Vorschüler besucht heute eine Kita. Das Gymnasium wird mehr und mehr zur Regelschule. Niemals zuvor haben so viele Menschen einen Hochschulabschluss erworben. Kurzum: Das Bildungsniveau ist hoch. Natürlich bleibt es eine Herausforderung, dass der Aufstieg durch Bildung mehr als zehn Jahre nach dem Pisa-Schock von 2001 noch immer von der sozialen Herkunft abhängt. Doch gerade hier gibt es eine Alternative zum Akademisierungswahn der OECD: die duale Ausbildung. Die Mischung aus Lernen in der Schule und Praxis im Betrieb gilt als Hauptgrund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik (7,8 Prozent). Auch deshalb hat der angebliche Durchschnittsschüler Deutschland eine bessere Note verdient.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort