Berlin Bis zu 30.000 Zwangsarbeiter in der DDR

Berlin · Gefangene schufteten in der Ära Honecker im Bergbau, bei der Bahn und in der Chemie - ein lukratives Geschäft für den Staat. Auch für West-Firmen wurde produziert. Eine pauschale Entschädigung erhalten die Opfer der Diktatur aber nicht.

Zwangsarbeit fand in DDR-Gefängnissen systematisch statt. Das belegt eine neue Studie. Die Häftlinge waren nach den Erkenntnissen des Historikers Philipp Wölbern vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam "fester Bestandteil des Wirtschaftsplans" in der Ära Honecker. Planerfüllung war die oberste Maxime; politisch Inhaftierte sahen sich besonderen Repressalien durch schwere Arbeit ausgesetzt. Jährlich wurden zwischen 15 000 und 30 000 Gefangene ausgebeutet. Sie mussten schwere, teils gefährliche Arbeiten in Kohlegruben, bei der Bahn und in der Chemie verrichten. Politische Gefangene wurden für besonders unangenehme Aufgaben ausgewählt und standen in der Gefangenenhierarchie ganz unten.

Das Thema Zwangsarbeit in der DDR ist seit Jahren Gegenstand einer Debatte: Schon 2012 enthüllte eine Studie, dass Zwangsarbeit von Sträflingen für den Möbelriesen Ikea an der Tagesordnung war. Seither wiesen die Experten nach, dass Gefangene an Produkten für viele westdeutsche Kaufhaus- und Handelsketten geschuftet haben. Die neue Studie war von der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke, in Auftrag gegeben worden - wohl auch, um auf den Streit zu reagieren, was als Zwangsarbeit zu beurteilen ist und was nicht.

Das Geschäft mit der Arbeit der Häftlinge war für die DDR damals durchaus lukrativ. Sie wurden in wichtigen Bereichen eingesetzt, etwa der Energieversorgung, außerdem in solchen Branchen, für die kaum zivile Arbeiter zu begeistern waren, sprich: für die Drecksarbeit. Ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung wird auf 0,2 bis 0,94 Prozent geschätzt, was ungefähr der Quote der Häftlinge an der arbeitenden Bevölkerung der DDR entsprach.

Entgegen bisherigen Annahmen war die Produktion für Firmen im Westen aber ein Verlustgeschäft. Ein Beispiel aus dem volkseigenen Betrieb Esda Thalheim, der Damenstrumpfhosen produzierte: Nach Abzug aller Kosten von den Devisengewinnen durch Verkauf der Strumpfhosen klaffte eine Lücke von Zehntausenden DDR-Mark.

Die Opferverbände dürften mit den Ergebnissen der Studie nur teilweise zufrieden sein. Denn was die Bewertung der "Arbeitspflicht" in der Haft betrifft, kommt der Autor zu einer differenzierten Aussage: Die Standards der Vereinten Nationen, die von der DDR 1974 anerkannt wurden, verlangen sogar, dass Inhaftierte sinnvoll beschäftigt werden. Und viele Häftlinge, auch in der DDR, berichten, dass das Arbeiten im Gegensatz zum Nichtstun in der Untersuchungshaft für sie eine Erleichterung war. Ob es sich im Einzelfall um gesundheitsschädliche Ausbeutung zu kommerziellen Zwecken des Staates handelte, muss aus Sicht von Historiker Wölbern jeweils einzeln untersucht werden.

Die Studie belegt allerdings, dass Strafgefangene entgegen den Vorgaben schlechtere Arbeitsbedingungen hatten. Sie mussten Sonderschichten leisten und oft nach der Arbeit im Betrieb noch in der Haftanstalt mit anpacken. "Das Risiko, rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb arbeiten zu müssen, war für Strafgefangene statistisch um etwa das 2,5-Fache höher" als bei anderen Arbeitern, heißt es in der Studie. Auch waren ihre Einsätze gefährlicher: Aus Quellen des Ministeriums für Staatssicherheit ist belegt, dass die Unfallquote "weit über Arbeitsunfällen in der Volkswirtschaft" lag.

Gleicke ist nun der Ansicht: "Im DDR-Knast geschah systematisch Unrecht, und mit dem Ziel des ,volkswirtschaftlichen Nutzens' wurden Menschen schamlos ausgebeutet." Das Leid der Betroffenen müsse anerkannt werden. Hoffnungen auf eine finanzielle Entschädigung macht sie aber nicht.

Die Union der Opfer der Kommunistischen Gewaltherrschaft fordert genau das. Ihr Beauftragter Christian Sachse hatte eine systematische Ausbeutung von Häftlingen bereits in früheren Studien nachgewiesen. Es handelt sich aus seiner Sicht klar um unerlaubte Zwangsarbeit, "weil es um kommerzielle Ausbeutung ging". Und die ist laut UN verboten.

Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn, dringt indes auf mehr Aufklärung. Es hätten nachweislich 100 Firmen in Westdeutschland von Zwangsarbeit unter Häftlingen in der DDR profitiert. Jahn kritisiert, dass "erst eine Handvoll einen Antrag gestellt hat, um die Vorgänge aufzuklären".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort