Zuletzt 1992: 400 000 Beschäftigte im Ausstand Bislang zwei große Streiks im öffentlichen Dienst

Stuttgart (dpa). Der öffentliche Dienst ist zuletzt 1992 durch einen großen Streik lahm gelegt worden. Damals verweigerten etwa 400 000 Beschäftigte die Arbeit und erzwangen - wie zuvor auch vom Schlichter vorgeschlagen - 5,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt. 1974 hatten die Gewerkschaften sogar elf Prozent durchsetzen können.

Die Kraftprobe des Jahres 1992 begann am 27. April und dauerte elf Tage. In allen Regionen bekamen die Bürger die Auswirkungen zu spüren: Busse und Bahnen blieben in den Depots, der Müll wurde nicht abgefahren, 50 Millionen Briefe und Pakete nicht ausgeliefert, Schwimmbäder und Kindergärten waren geschlossen. Auch das Personal in Ämtern, Krankenhäusern, Flughäfen und Autobahnmeistereien beteiligte sich an dem regulären Streik.

Dem Streik war ein Schlichterspruch vorausgegangen, den die Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden in der Schlichtung nicht mitgetragen hatten. Statt des Schiedsspruchs boten sie 4,8 Prozent mehr Geld an. Am 7. Mai einigten sich die Tarifpartner auf linear 5,4 Prozent mehr Gehalt sowie einen sozial gestaffelten Einmalbetrag. Dies entsprach in etwa dem Schlichterspruch.

Die Gewerkschaftsführung beendete den Streik daraufhin sofort. Die Basis war damit nicht einverstanden, bei der ÖTV stimmten nur 44,1 statt der zu dieser Zeit noch erforderlichen 50 Prozent für den Abschluss. Die ÖTV-Führung - damals mit Monika Wulf-Mathies an der Spitze - geriet unter Beschuss, setzte sich jedoch über das Votum der Basis hinweg. Bei einem Gewerkschaftstag wenige Wochen später erhielt die ÖTV-Chefin dafür die Quittung: Sie erhielt nur 68,5 Prozent der Stimmen. Vier Jahre zuvor hatten bei der Wahl zur Vorsitzenden noch fast 85 Prozent der Delegierten für sie gestimmt.

Der Streik von 1974 dauerte nur drei Tage, vom 11. bis zum 13. Februar. Nach zahlreichen Warnstreiks legten bis zu 400 000 Beschäftigte schwerpunktmäßig in Großstädten vor allem den Bus- und Bahnverkehr lahm, Tausende kamen zu spät zur Arbeit. Viele Ämter blieben geschlossen, Müllberge quollen aus nicht geleerten Tonnen auf die Bürgersteige. Es gab auch gezielte Nadelstiche gegen die Arbeitgeber: Mehreren Ministerien, etwa in Rheinland-Pfalz, wurde einfach der Strom abgedreht.

Am 13. Februar einigte man sich auf stattliche 11,0 Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch ein Plus von 170 Mark. Die Arbeitgeber hatten den Gewerkschaften ÖTV und DAG sowie den Vertretern der Post- und Bahnbeschäftigten vor den gescheiterten Verhandlungen 9,5 Prozent geboten.

Auch bei diesem Streik waren viele Beschäftigte mit dem Erreichten alles andere als zufrieden: Zwar schafften alle Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes die notwendigen Quoren, die für die Annahme des Ergebnisses bei der Urabstimmung gebraucht wurden. Aber sowohl bei der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) als auch bei der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) gab es eine hohe Anzahl von Nein-Stimmen. Für den damaligen ÖTV-Chef Heinz Kluncker waren sie der Beweis dafür, dass der Streik nicht nur der "Willkür einiger machtbesessener Funktionäre" zuzuschreiben war.

(RPO Archiv)
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