Blair kämpft verzweifelt um seinen Ruf

Mit seiner Autobiografie "A Journey" ("Mein Weg") will der ehemalige Premier die Herzen der Briten zurückgewinnen. Die Lesereise gestaltete sich allerdings äußerst schwierig: Schuhe und Eier wurden nach dem als "Kriegstreiber" verschrienen Politiker geworfen. Einen Autogramm-Termin sagte er bereits ab. Blairs Leistungen scheinen völlig vergessen.

Seine Stimme klingt gepresst, die Augen wandern hin und her, das gebräunte Gesicht unter dem schwindenden Haaransatz friert maskenhaft in einer gekünstelten Heiterkeit ein – doch es sind die für den wortgewandten Tony Blair untypischen Gedankenbrüche und Denkpausen, die zeigen: Der 57-jährige Ex-Premier ist nervös. Für Blair steht viel auf dem Spiel. Der frühere Hoffnungsträger der Briten verteidigt seit einer Woche in den Interviews nicht nur seine Bilanz von "New Labour". Es geht um die Ehre eines charismatischen Mannes, den 52 Prozent seiner Landsleute für einen Lügner und 37 Prozent für einen Kriegsverbrecher halten. Mit seinen Memoiren "A Journey" ("Mein Weg") sucht Blair den Weg zurück in die Herzen der Briten. Es könnte die längste und schwierigste Reise seines Lebens werden.

Wie schwierig, wurde deutlich, als der pensionierte Regierungschef in Dublin bei seiner ersten Signierstunde von Pazifisten mit Schuhen und Eiern beworfen wurde. Obwohl Blair nicht getroffen wurde, muss es für ihn eine bittere Erfahrung sein: Schließlich hat kein anderer Politiker für die politische Lösung des blutigen Nordirland-Konflikts und den Frieden auf der Nachbarinsel so viel geleistet. Wenngleich er mit "kritischen Reaktionen" rechne, so sei der Wutausbruch der Iren "bedauerlich", klagte Blair, als er seine einzige Autogrammstunde in der Heimat wegen der erwarteten Proteste in London absagte. So sehr das am Selbstbewusstsein des dreimaligen Wahlgewinners kratzen mag, er braucht für sein 718 Seiten dickes Buch voller Reflexionen über Triumph und Tragödie eines Reformers keine Werbung zu machen.

"A Journey" bricht alle britischen Verkaufsrekorde für Biografien. Im Internetportal Ebay boten gestern Interessenten 980 Euro für eine signierte rote Lederband-Sonderauflage der Memoiren. Über kein anderes Buch wird derzeit so leidenschaftlich gestritten. Er wisse nicht, ob sich seine Landsleute mit ihm aussöhnen könnten, gestand der Autor der "Sunday Times": "Die negative Stimmung macht alles so schwierig." Drei Jahre nach seinem Rücktritt ist die britische Faszination für den Millionär, der sein Land in den unpopulären Irak-Krieg geführt hatte, ungebrochen. So sehr manche Wähler den zum Katholizismus konvertierten "Überzeugungspolitiker" wegen jener Entscheidung verfluchen, viele Politiker messen sich weiterhin an seinen Leistungen. Blairs Zustimmung ist zugleich Fluch und Segen für die fünf Kandidaten, die sich um den Vorsitz der Opposition in Westminster beworben haben. Angeblich fürchtet Premier David Cameron am meisten den Sieg von Ex-Außenminister David Miliband, weil er für die Tories die Stärken der Ex-Labour-Ikone verkörpert. In den künftigen Schlachten um die Sparmaßnahmen werden sich Cameron wie Miliband die gleiche Frage stellen, schreibt Analyst Tim Montgomerie: "Was hätte Blair gemacht?"

Als Oppositionschef hatte Cameron im Juni 2007 beim Abschied von Blair dessen "bemerkenswerte Errungenschaften" gepriesen. Das Lob klang echt. Die Ära Blair endete so, wie sie begonnen hatte – mit Beifall. Dazwischen lagen zehn Jahre des Projekts "New Labour", einer Verbindung von ökonomischer Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit. Der Frieden in Nordirland, die Einführung des sozialen Mindestlohns und die Gleichstellung Homosexueller hätten ausgereicht, um den Mitte-Links-Reformer auf das Heldenpodest zu stellen. Stattdessen überschattet der Krieg die Amtszeit.

Blair war 2007 vor dem Groll der Briten ins Ausland geflüchtet. Als Sondergesandter des Nahost-Quartetts, Berater und bestbezahlter politischer Redner der Welt verbringt er im Schnitt nur eine Woche pro Monat in London. "Ich wäre gerne öfter hier, aber meine Arbeit erlaubt es nicht. So wird es weiter sein", sagt der Ex-Premier. "Mit anderen Worten, er wird niemals zurückkehren", meint die "Sunday Times". Manche Briten werden das begrüßen.

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