Manchester Blutiges Ende eines Popkonzerts

Manchester · Vor allem Kinder und Jugendliche jubeln ihrem Popstar Ariana Grande in der Manchester Arena zu. Doch dann: ein Knall. Panik bricht aus. Die Konzertbesucher fliehen aus der Arena. Im Foyer bietet sich ihnen ein grausames Bild.

Nach dem letzten Song gibt es einen lauten Knall. Irgendwo in der Nähe des Eingangs ist etwas explodiert. Menschen schreien in Panik, drängen Richtung Ausgang in die Nacht. Kurz darauf rasen zahlreiche Polizei- und Krankenwagen mit Blaulicht heran. Madschid Khan (22) ist mit seiner Schwester bei dem Konzert von Ariana Grande in der Arena in Manchester. "Es gab einen Knall wie von einer Bombe", sagt er: "Wir haben alle versucht, aus der Arena zu fliehen."

Blutüberströmte Menschen liegen auf dem Boden. Etliche haben schwere Beinverletzungen. Eltern suchen verzweifelt mit Fotos in den sozialen Netzwerken nach ihren Kindern.

Mindestens 22 Menschen werden getötet, 59 verletzt, erklärt am nächsten Morgen Chefermittler Ian Hopkins. "Ich kann bestätigen, dass Kinder unter den Toten sind", sagt Hopkins. Die Behörden behandeln die Tat als Terroranschlag. Der 22-jährige Attentäter Salman Abedi ist bei der Explosion ums Leben gekommen. Er hatte einen selbstgebauten Sprengsatz zur Explosion gebracht.

"Der Knall hallte durch das Foyer der Arena, und die Leute fingen an zu laufen", berichtet ein 17-Jähriger, der mit seiner zwei Jahre älteren Schwester in der Arena war. "Ich sah, wie die Leute schreiend in eine Richtung rannten und sich plötzlich viele umdrehten und wieder in die andere Richtung liefen", sagt der Jugendliche dem Nachrichtensender Sky News. Eine andere Zeugin sagt dem Sender: "Ich sah ein kleines Mädchen, sie hatte keine Beine mehr."

Ein Mann schildert, wie er durch einen Ausgang geschleudert wurde. Das ganze Gebäude habe durch die Explosion gewackelt. "Nachdem ich aufstand und umherging, sah ich rund 30 Leute auf dem Boden verstreut. Manche von ihnen waren tot, vielleicht auch nur bewusstlos", berichtet er dem Sender BBC.

Sicherheitskräfte sperren das Gelände umgehend ab. Ein verdächtiger Gegenstand in der Umgebung entpuppt sich als harmlos: nur alte Kleidung. Der benachbarte Bahnhof Victoria wird evakuiert. Alle Züge sind gestrichen.

Gary Walker aus Leeds wartet mit seiner Frau im Foyer, um seine beiden Töchter von dem Konzert abzuholen. Da habe es plötzlich einen "riesigen Blitz, einen Knall und Rauch" gegeben, sagt er der BBC. Er habe Schmerzen in Fuß und Bein gespürt, seine Frau habe sich hinlegen müssen. Sie hat eine Wunde am Bauch und vielleicht ein gebrochenes Bein. Zeitgleich in der Arena hatte Tochter Abigail ihre Schwester Sophie an die Hand genommen. "Ich musste sicherstellen, dass meine Schwester da war. Alle rannten und weinten. Es war furchtbar." Als die Mädchen ihre Eltern auf dem Handy anrufen, kann Walker es kaum fassen. Das seien "fantastische Nachrichten" gewesen.

Auch Pep Guardiola ist mit seiner Frau Christina Serra und den Töchtern Valeria und María in der Arena. Die Familie des Trainers von Manchester City kommt mit einem Schrecken davon. Später twittert Guardiola: "Schockiert. Ich kann nicht glauben, was letzte Nacht passiert ist." Er sende den Familien und Freunden der Opfer seine tiefe Anteilnahme, so der 46-jährige Spanier.

Am nächsten Morgen versperrt Flatterband den Zugang zum Ort des Grauens. "Da sind noch Leichen drin. Hier kommt keiner rein", sagt eine freundliche Polizistin in blauer Uniform - und deutet mit dem Kopf auf die Arena hinter ihr. Viele Einwohner der 500.000-Einwohner-Stadt Manchester im Norden Englands sind am Morgen noch fassungslos. "Ich konnte es nicht glauben. Meine Tochter geht oft in die Arena. Meine Frau war erst am Freitag da", sagt ein Mann mit rotem Bart, einen Becher Kaffee in der Hand. "Ich kann es nicht verstehen", fügt er hinzu, schüttelt den Kopf und steigt in sein Taxi.

Die Halle, die etwas versteckt hinter dem Victoria-Bahnhof liegt, ist weiträumig abgesperrt. Der Eingang ist kaum zu sehen. Das graue Gebäude wirkt riesig - und doch irgendwie unscheinbar, wie seine Form an diesem trüben Morgen in den grauen Himmel übergeht.

Der 20-jährige Connor Bain und seine 17-jährige Schwester Rachel gehen mit ihren Reisetaschen über die Brücke nahe der Halle Richtung Innenstadt. Sie waren dabei, als die Bombe explodierte. Sie hätten im mittleren Bereich gesessen - mit gutem Blick auf die Bühne, erzählen sie. Alle hätten nur schnell rausgewollt. Binnen Minuten seien Polizei und Krankenwagen da gewesen. Die Geschwister waren für das Konzert extra aus dem schottischen Glasgow angereist. Eigentlich wollten sie jetzt vom Victoria-Bahnhof wieder zurückfahren. Doch der bleibt vorerst gesperrt.

Um den Ort des Geschehens huschen Journalisten. Einige sitzen mit Laptops und Notizblöcken auf einer niedrigen Mauer. Die Stimmung ist gedrückt. Viel zu sehen gibt es ohnehin nicht. Kein Blick in das Foyer, wo die Bombe explodiert sein soll. Keine sichtbaren Reste der Gewalt. Einige Polizisten sind seit morgens um 5.30 Uhr hier. Von ihnen war am Abend zuvor niemand dabei. Es sei alles "ziemlich surreal", sagt ein älterer Beamter mit unsicherem Lächeln.

"Ich stelle mir vor: Was, wenn meine Tochter dabei gewesen wäre?", sagt Natalie Lowe (48), die gerade auf dem Weg zur Arbeit ist. "Business as usual" gebe es heute sicher nicht. Das Ereignis werde nachwirken. Aber Manchester habe einen guten Gemeinschaftssinn. Die Stadt werde das schaffen. Das war auch 1996 so, nach einem verheerenden Bombenanschlag der irischen Terrorgruppe IRA. Damals waren große Teile der Innenstadt abgesperrt und mussten wieder hergerichtet werden.

Die Solidarität der "Mancunians", wie die Einwohner der Stadt heißen, beginnt bereits in der Anschlagsnacht. Eine Crowdfunding-Initiative auf der Internetseite "Just Giving" sammelt innerhalb von zwei Stunden umgerechnet mehr als 26.000 Euro für die Opfer. Taxifahrer aus Liverpool treffen ein und bieten eine kostenlose Heimfahrt an. Bürger bringen der Polizei, den Sanitätern und den Sicherheitskräften heißen Tee und Snacks. Privatpersonen fahren in die Innenstadt, um ihre Chauffeurdienste jedem anzubieten, der sie braucht. Ärzte, die sich auf einem Kongress in Manchester befinden, offerieren ihre Hilfe. Das Royal Children's Hospital erhält Nahrungsmittelspenden aus der Bevölkerung: Getränke, Chips, Gummibärchen. Hotels öffnen ihre Türen und versprechen kostenlose Zimmer.

Auch in den sozialen Medien formiert sich schnell eine Solidaritätsaktion. Viele bieten unter dem Stichwort "Room For Manchester" ihr Zuhause als Unterkunft an. Nutzer James Plowright schreibt etwa: "Jeder, der irgendwo unterkommen muss nach dem Zwischenfall heute Abend in Manchester, soll sich melden, habe Gästezimmer und Teekessel."

(RP/dpa)
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