Berlin Böhmermann treibt Keil in Koalition

Berlin · Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden: Kanzlerin Merkel ermächtigt auf türkischen Wunsch hin die deutsche Justiz, gegen den ZDF-Moderator zu ermitteln. Die SPD hatte sich vergeblich dagegen gewehrt.

Die deutsche Justiz darf gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ermitteln. Diese Entscheidung traf die Bundesregierung gestern in Berlin - ausschlaggebend war das Stimmgewicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich gegen die beteiligten SPD-geführten Ministerien durchgesetzt hatte. Merkel begründete ihre Entscheidung, indem sie die Gewaltenteilung unterstrich. In einem Rechtsstaat sei es nicht Sache der Regierung, sondern unabhängiger Gerichte, Persönlichkeitsrechte gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen, sagte Merkel bei einer Pressekonferenz.

Zugleich kritisierte sie die Verletzungen der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit in der Türkei. Für die Bundesregierung sei der "offene Austausch" mit Ankara wichtig: "Umso mehr erfüllen uns die Lage der Medien in der Türkei und das Schicksal einzelner Journalisten wie auch Einschränkungen des Demonstrationsrechts mit großer Sorge." Berlin werde weiter "auf allen Ebenen Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei anmahnen".

Böhmermann hatte in seiner ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht über Erdogan vorgetragen, das er zuvor als Schmähkritik ankündigte. Damit wollte er nach eigener Darstellung den Unterschied zwischen Satire und nicht erlaubter Verunglimpfung herausstellen. Böhmermann wurde danach einerseits für seinen Ansatz der Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Erdogan gefeiert. Andererseits hagelte es für seine Beschimpfungen nicht nur in der Türkei und in der breiten deutschen Öffentlichkeit Kritik; auch Merkel äußerte ihr Unverständnis.

Die Koalition ist nun ebenso gespalten wie die Öffentlichkeit. In einem anstehenden Strafverfahren wird es im Kern um die Frage gehen, ob es sich bei Böhmermanns Gedicht um Satire oder nicht erlaubte Schmähkritik handelt und wie schwer Erdogans Persönlichkeitsrechte dagegen wiegen.

Bei der Entscheidung, die die Bundesregierung zu fällen hatte, ging es aber noch um einen Schritt davor - eine Strafverfolgung wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch ist laut Paragraf 104a nur möglich, wenn die ausländische Regierung ein Strafverlangen ausspricht und die Bundesregierung die deutsche Justiz zur Strafverfolgung ermächtigt.

Und an dieser Stelle haben CDU und SPD unterschiedliche Auffassungen davon, was die beiderseits beschworene "Zurückhaltung der Bundesregierung" in der Beurteilung des Falls betrifft. Kanzlerin und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betonten die Gewaltenteilung. Die SPD lehnte eine Ermächtigung auch deswegen ab, weil sie auf Erdogans andere Anzeige gegen Böhmermann verwies. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) betonten, dass es ohnehin eine gerichtliche Prüfung in dem Fall geben werde, weil Erdogan auch über Paragraf 185 Strafgesetzbuch klagte - der behandelt die Beleidigung einer Person unabhängig davon, ob es sich um eine Privatperson oder einen Amtsträger handelt.

Gleichwohl will sich neben der SPD auch die Kanzlerin dafür einsetzen, den nun noch einmal Anwendung findenden Paragrafen 103 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Ein entsprechendes Gesetz könne noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden und 2018 in Kraft treten, kündigte Merkel an. Die Vorschrift sei "entbehrlich".

Das jedoch kritisierten Gegner der Entscheidung als paradox - Merkel ermögliche die Anwendung eines Paragrafen, den sie selber abschaffen wolle. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann twitterte, er halte die Entscheidung für falsch: "Strafverfolgung von Satire wegen ,Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie." Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sagte: "Das ist eine Blamage, aber die Falle hat sich Frau Merkel selbst gestellt." Kriechen vor Erdogan gehe gar nicht: "Der Majestätsbeleidigungsparagraf gehört schon längst abgeschafft." Aber auch die SPD habe ein Problem. "Denn sie kuschelt selbst gern mit Diktatoren", sagte Göring-Eckardt.

Böhmermanns Anwalt reagierte mit "erheblichem Unverständnis". "Diese Verfolgungsermächtigung war völlig überflüssig und ohne Not", so Christian Schertz. Unionsfraktionschef Volker Kauder verteidigte hingegen die Entscheidung der Kanzlerin: "Satire darf alles, aber nicht jede Beleidigung ist Satire." Wo die Grenze liege, würden in unserem Rechtsstaat die Gerichte entscheiden. In der Türkei schrieb die Online-Ausgabe der Erdogan-nahen Zeitung "Star", Merkels Entscheidung sei "ein riesiger Schock für den frechen Fernsehmann" gewesen. Erdogans Partei AKP begrüßte die Entscheidung gestern Abend als "zweifellos richtig".

(RP)
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