London Briten müssen Hassprediger freilassen

London · In wenigen Tagen kommt in England der berüchtigte Islamist Abu Qatada auf freien Fuß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte entschieden, dass er wegen möglicher Foltergefahr nicht in sein Heimatland abgeschoben werden darf. In London ist die Empörung groß.

Der Tory-Hinterbänkler Jason McCartney will 50 Pfund aus eigener Tasche bezahlen, wenn seine Regierung den "gefährlichen Terroristen" endlich abschiebt. Andere britische Parlamentarier versprechen der Innenministerin Theresa May den Titel einer "Nationalheldin", wenn sie für den 51 Jahre alten Abu Qatada den nächsten Flug nach Amman in Jordanien buche.

Das wird aber nicht geschehen. Der berüchtigte Hassprediger, den die britischen Medien oft als "rechte Hand von Osama bin Laden in Europa" beschrieben haben, wird voraussichtlich am Montag das Hochsicherheitsgefängnis Long Lartin in Worcestershire verlassen – unter strengen Auflagen, die allerdings bald aufgehoben werden könnten.

Der Jordanier Qatada lebt seit 1993 in Großbritannien, doch er war dort niemals angeklagt worden. Dennoch verbrachte der fünffache Vater mit dem langen schwarzen Bart den größten Teil des vergangenen Jahrzehnts hinter Gittern, während er gleichzeitig vor Gericht gegen die drohende Auslieferung in seine Heimat gekämpft hat. Es war eine erbitterte juristische Schlacht, die die Steuerzahler im Königreich eine Million Pfund kostete und die Premierminister David Cameron zum Entsetzen vieler Briten jetzt verloren hat.

Wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele befürchten die Sicherheitsexperten in London eine Wiederholung des Bombenterrors von 2005. In dieser Woche warnte die regierungsnahe Denkfabrik Rusi, dass mindestens 200 mögliche Selbstmordattentäter "Anschläge in großem Maßstab" auf der Insel planen würden. Zwar glauben die Analysten nicht daran, dass der freigelassene Qatada persönlich die Koordination einer neuen Terror-Welle übernehmen würde. Doch sie halten es für möglich, dass seine Predigten im Internet andere Islamisten zu Gewalttaten anstiften könnten.

Qatada hatte Ende der 90er Jahre in England mit seinen Aufrufen zu einem "heiligen Krieg" gegen die "Unterdrücker" und die Mordaufrufe gegen Juden und Amerikaner Schlagzeilen gemacht. Nach Medienberichten wurden Videos mit seinen Ansprachen in der Hamburger Wohnung der Attentäter der Terrorkatastrophe vom 11. September 2001 gefunden. Der radikale Kleriker ist in der jordanischen Hauptstadt Amman in Abwesenheit wegen Teilnahme an einer "terroristischen Verschwörung" zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Manche Juristen bezweifeln die Rechtmäßigkeit dieses Urteils, weil die jordanischen Gerichte aus ihrer Sicht Geständnisse unter Folter tolerieren. Das stört jedoch nicht die britischen Politiker, die Qatada seit 2005 als "Risiko für die nationale Sicherheit" loswerden wollen. 2009 nannte das höchste Gericht in London diese Haltung legitim. Allerdings schob im Januar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg der Abschiebung einen Riegel vor, solange der Folterverdacht im Fall des Jordaniers nicht entkräftet sei. Es sei eine "armselige Demütigung" ihres Landes, polterten die Hinterbänkler auf dem rechten Flügel der Konservativen, die damit drohen, die britische Mitgliedschaft beim Menschenrechtsgericht auf Eis zu legen.

"Ich bin vehement gegen dieses Urteil: Der richtige Platz für einen ausländischen Terroristen ist eine ausländische Gefängniszelle", erklärte die Innenministerin Theresa May. "Es ist nicht akzeptabel, dass man Menschen nicht verhaften und abschieben kann, die unserem Land drohen", kritisierte auch Premier David Cameron. Nach "Times"-Angaben bemüht sich der Tory-Chef um einen Kontakt zum jordanischen König Abdullah, der den Richtern in Straßburg eine schriftliche Anti-Folter-Garantie geben soll.

Die Uhr tickt. Das zuständige britische Gericht, das am Montag die Freilassung Qatadas angeordnet hat, gibt der Regierung drei Monate Zeit, um Fortschritte in den Gesprächen mit Jordanien vorzuweisen. Andernfalls sollen alle Auflagen gegen den Terrorverdächtigen aufgehoben werden. Sie schränken vor allem die Bewegungsfreiheit und die Kommunikation Qatadas ein, der sich 22 Stunden täglich in seinem Haus aufhalten muss und dabei weder das Internet benutzen noch mit einem Handy telefonieren darf.

Der Jordanier darf ferner nur bestimmte Besucher empfangen, die von der Polizei als "unbedenklich" eingestuft wurden. "Sollte er eine dieser Regeln verletzen, wird er wieder verhaftet werden", versprach Ministerin May.

Bereits 2009 hatte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung zugunsten Abu Qatadas gefällt. Damals hoben die Juristen eine EU-Verordnung auf, die das Einfrieren der Gelder von Terrorverdächtigen regelte. Die Regelung verstoße gegen Qatadas Grundrechte, urteilte das Gericht. Damit konnte der Islamist, der die Verordnung angefochten hatte, wieder auf sein Vermögen zugreifen.

(RP)
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