Soziale Brennpunkte Bund gibt 1,2 Milliarden zur Bekämpfung von Ghettos

Berlin · Durch die Zuwanderung geraten in vielen Städten Problemviertel zusätzlich unter Druck. Mehrere Ministerien wollen jetzt die Integration an diesen Orten fördern - mit mehr Geld und Zusammenarbeit.

 Zersplitterte Fensterscheibe in Duisburg-Marxloh (Archiv): Lebensqualität in sozial schwierigen Bezirken verbessern

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Foto: dpa

Die Bundesregierung investiert in den kommenden vier Jahren insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro in sozial benachteiligte Stadtteile. Das geht aus der "ressortübergreifenden Strategie Soziale Stadt" hervor, die unserer Redaktion vorliegt und die das Bundeskabinett am Mittwoch beschließen wird. Durch die Förderung etwa von Sportvereinen, Stadtteilzentren, Musikunterricht und Sprachkursen soll die Lebensqualität in sozial schwierigen Bezirken verbessert werden.

Zudem verspricht sich der Bund davon angesichts der Migration nach Deutschland, die Entstehung neuer Ghettos mit dem Konzept verhindern zu können. "Quartiere, die ohnehin erhöhte soziale Integrationsanforderungen erbringen, sind häufig auch durch einen erheblichen Anteil von Migrantinnen und Migranten gekennzeichnet", heißt es in dem mehr als 80 Seiten langen Papier. Diese Quartiere könnten für die Städte und Gemeinden eine bedeutende Integrationsleistung erbringen. Ziel ist es, die verschiedenen Fördermittel zu bündeln und die Zusammenarbeit der Ressorts untereinander und mit den Kommunen zu verbessern.

300 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen

Die Fördergelder stammen aus dem Haushalt des Bundesbauministeriums. Ressortchefin Barbara Hendricks (SPD) hat dafür von 2017 bis 2020 jährlich 300 Millionen Euro vorgesehen. Diese 1,2 Milliarden Euro fließen fast vollständig an die einzelnen Bundesländer und stocken das bereits seit 1999 bestehende Programm "Soziale Stadt" auf.

Kommunen, die ein bestimmtes Vorhaben fördern lassen wollen, müssen entsprechendes Geld beantragen. Darunter können neben sozialen Projekten auch Umbaumaßnahmen fallen, etwa neue Spielplätze oder Schultoiletten. Auch die Herrichtung leerstehender Gebäude für Flüchtlinge wäre mit dem Geld möglich.

 Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD)

Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD)

Foto: dpa, ld sh

Zusätzlich zu den 1,2 Milliarden Euro will das Bauministerium einen "Investitionspakt soziale Integration im Quartier" auflegen, wie aus dem Papier hervorgeht. Weitere 800 Millionen Euro stehen dafür in den nächsten vier Jahren zur Verfügung, "um beispielsweise Kitas, Schulen und Stadtteilzentren zu Orten der Integration im Quartier auszubauen". Welche Kommunen und Projekte aber tatsächlich Geld bekommen, steht noch nicht fest.

Einen ersten Anhaltspunkt könnten die bisherigen Standorte des Programms "Jugend stärken im Quartier" liefern. Denn die neue Strategie der Bundesregierung zielt auch auf einen Ausbau dieser Projekte ab, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesfamilienministeriums fallen und Jugendliche zurück in Schule und Ausbildung bringen sollen. In mehr als 178 Städten und Gemeinden, viele davon in Nordrhein-Westfalen, wurden nach Angaben des Ministeriums bisher rund 13.000 Jugendliche mit unterschiedlichen Angeboten erreicht. 60 Prozent der betroffenen Personen haben den Angaben zufolge einen Migrationshintergrund. Und 57 Prozent der jungen Menschen, die das Programm beendeten, würden nun wieder an schulischen Angeboten teilnehmen oder einer beruflichen Ausbildung oder Arbeit nachgehen, teilte das Ressort mit.

47.000 Schulabbrecher komplett ohne Abschluss

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht, wie wichtig die Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen ist. Zwar ist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie in kaum einem anderen europäischen Land. Der Übergang von der Schule in die Ausbildung gelingt aber weiterhin nicht gut genug. So brachen 2014 rund 47.000 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss ab, fast zwei Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland konnten in demselben Jahr keinen Berufsabschluss vorweisen. Das betrifft zumeist junge Erwachsene mit Migrationshintergrund. Sie verlassen mehr als doppelt so häufig die Schule ohne Abschluss wie junge Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Dass sich die Lage drastisch verschärfen könnte, ist angesichts der zumeist jungen Flüchtlinge im Land nicht unwahrscheinlich. Deshalb will die Bundesregierung mit ihrer neuen Strategie vor allem darauf abzielen, Orte in sozialen Brennpunkten zu "Begegnungsstätten" auszubauen. Mit Projekten aus anderen Ministerien soll so beispielsweise ein Nachbarschaftszentrum, ein Vereinsheim oder eine Volkshochschule noch deutlich stärker in die Integrationsarbeit eingebunden werden. Von Verbesserungen im Stadtteil würden aber "nicht nur bestimmte Zielgruppen, sondern alle in der Nachbarschaft lebenden Menschen" profitieren, heißt es in dem Papier.

Wie genau die Kontrolle über die Verteilung der Fördergelder erfolgen soll, ist indes noch nicht bekannt. Zwar will sich das Bundeskabinett künftig regelmäßig Bericht erstatten lassen über die Wirkung der Finanzspritzen. Angesichts der Vielzahl der Projekte dürfte ein Überblick jedoch schwierig werden.

(jd)
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