Debatte um Einsatz im Kriegsgebiet Soll die Bundeswehr in Syrien kämpfen?

Düsseldorf · Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz hält einen Kampfeinsatz mit deutscher Beteiligung in Syrien und im Irak für geboten - das schreibt er im "Münchner Merkur". Militärisch wäre dieses Szenario vielleicht möglich - aber ist es politisch vorstellbar? Eine Analyse.

Bundeswehr in Syrien: Wäre ein deutscher Kampfeinsatz im IS-Gebiet sinnvoll?
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"Panzergrenadierbataillon 212, verstärkt durch Artillerie und Kampfhubschrauber, greift unverzüglich rechts umfassend IS-Riegelstellung an der Hauptstraße 6 hart südlich Rakka an, wirft Feind und nimmt und hält Brücke über den Fluss Euphrat, um nachrückendem US-Kavallerieregiment den Vorstoß ins Stadtzentrum Rakka zu ermöglichen." - So könnte ein Bundeswehr-Befehl zum Angriff auf das Hauptquartier des sogenannten Islamischen Staats (IS) lauten, der den Irak und Syrien terrorisiert und Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat - mit dramatischen Folgen auch für Deutschland.

Doch wäre ein solcher massiver Kampfeinsatz sinnvoll, wäre er politisch möglich und militärisch umzusetzen? Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hält ein Eingreifen der Bundeswehr für geboten. Zumindest die Option müsse man sich offenhalten, forderte der frühere deutsche Botschafter in Washington gestern im "Münchner Merkur".

Bundeswehr in Syrien: Wäre ein deutscher Kampfeinsatz im IS-Gebiet sinnvoll?
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Der Sicherheitsexperte sieht den Nahen Osten in Flammen: "Die gesamte Region steht kurz vor der Groß-Explosion. Die Gefahr überschwappender Instabilität ist enorm." Ischinger wirft den europäischen Staaten "kollektives Wegschauen" vor. Vor vier Jahren sei man froh gewesen, dass der Kelch einer militärischen Beteiligung an Deutschland vorbeigegangen ist. "Jetzt landet der Konflikt krachend vor unserer Haustür."

Andere Staaten engagieren sich seit Monaten im Kampf gegen den IS: Jeden Tag meldet das Verteidigungsministerium in Washington Luftangriffe der USA und ihrer elf Verbündeten auf die Islamisten vor allem im Irak, allein gestern waren es 25 Einsätze. Auch Australien hat soeben F 18-Jets in den Nahen Osten geschickt. Durch die Attacken soll der IS mehr als 1000 Kämpfer verloren haben, ihr Anführer Abu Bakr al Bagdadi wurde angeblich schwer verletzt. Während einzelne Terroristen sich in Häusern verstecken können, sind die gepanzerten Fahrzeuge und Geschütze, die der IS zumeist von den Irakern erbeutet hat, aus der Luft gut erkennbare Ziele. Größere Kampfgruppen können sich nicht mehr unbemerkt formieren, Nachschubwege sind gekappt, die Telekommunikation wird überwacht oder gestört.

Ohne den Einsatz von Bodentruppen ist der IS aber nicht zu vertreiben, vor allem nicht aus den Städten und Dörfern. Über seine Stärke schwanken die Angaben stark: Von 15.000 bis zu 50.000 Kämpfern ist die Rede. Der US-Geheimdienst CIA will es genauer wissen: Es seien 31.500 Mann. Der IS hat keine echte militärische Struktur: Die Kämpfer sind meist Abenteurer, perspektivlose junge Menschen, Orientierung suchende Außenseiter oder von religiöser Propaganda Manipulierte. Geführt werden sie unter anderem von desertierten irakischen Offizieren. Den Nimbus der Unbesiegbarkeit haben sie mit dem Rückzug aus der Kurden-Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei verloren.

US-Generalstabschef Martin Dempsey verglich gestern die durch den IS mitverursachte Flüchtlingskrise mit dem Bürgerkrieg auf dem Balkan in den 90er Jahren. Er habe "die politische Führung in Europa zusammengeschweißt" und zur erfolgreichen Nato-Operation im ehemaligen Jugoslawien geführt - ein Wink mit dem Zaunpfahl. Der Druck auf die europäischen Regierungen wächst. Aber ist eine solche Großaktion ähnlich dem US-Vorgehen gegen den Diktator Saddam Hussein im Irak oder der Nato-Mission gegen die Taliban in Afghanistan heute noch vorstellbar? Militärisch wäre ein solcher Befriedungseinsatz trotz aller Abrüstung zwar auch jetzt noch möglich. Er scheint aber innenpolitisch in den beteiligten Ländern nicht mehr durchsetzbar. Denn der IS würde sich hinter der Bevölkerung verschanzen; größere Verluste der Friedenstruppe und Tote unter den Zivilisten wären wahrscheinlich und würden von den Bürgern der Entsende-Staaten mutmaßlich nicht akzeptiert.

Zudem müsste die Truppe französischen Berechnungen zufolge bis zu 100.000 Mann stark sein, ein zwar schwer zu stemmender Kraftakt. In Afghanistan waren aber zeitweise bis zu 150.000 Soldaten unter Nato-Führung im Einsatz. Erfahrungen aus den Konflikten in Afghanistan und dem Irak lehren indes, dass Soldaten letztlich nur Zeit gewinnen können. Parallel müssen Wiederaufbauarbeiten anlaufen und Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gestärkt werden - ein Ansatz, der langen Atem erfordert.

Dies würde im Nahen Osten noch dadurch erschwert, dass die irakische Führung bis heute zerstritten und die Lage in der Region verworren ist: Mehrere Golfstaaten unterstützen heimlich den IS; der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und neuerdings verstärkt Russland helfen offen dem Assad-Regime in Syrien; Türken, Kurden, andere islamistische Gruppen und politisch motivierte syrische Freiheitskämpfer kämpfen für ihre eigenen Interessen. Erzielt der IS keine Erfolge mehr, dürften sich Unterstützer wie die Al-Nusra-Front wieder von ihm abwenden. Experten bezweifeln, dass es dem IS gelingt, einen echten Staat aufzubauen, der seine Bevölkerung versorgen kann. Eher dürfte die Terrorherrschaft durch innere Machtkämpfe zerfallen. Das aber kann Jahre dauern.

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Der russische Präsident Wladimir Putin empfiehlt deshalb, sich mit dem syrischen Assad-Regime verbünden. Ohne eine Zusammenarbeit mit Damaskus sei ein Sieg über den IS unmöglich, betonte Putin gestern. Das renommierte Londoner Internationale Institut für Strategische Studien hingegen warnt davor: Um die Ausbreitung des IS zu verhindern, sei der Westen sowohl auf die Kurden als auch auf sunnitische Muslime angewiesen. "Und wenn man sunnitische Araber an Bord holen will, braucht man eine politische und militärische Lösung, um das Schicksal Assads in Angriff zu nehmen", sagte der Nahostexperte Emile Hokayem. Unabhängig davon würde sich der Westen, der den skrupellosen Assad stets angeprangert hat, unglaubwürdig machen, wenn der für den Tod Hunderttausender verantwortliche Diktator plötzlich als "das kleinere Übel" zum Bündnispartner gemacht würde.

Eine realistische Option ist dagegen - neben diplomatischen Initiativen - die Einrichtung größerer Schutzzonen und von Schutzkorridoren, die Flüchtlingen bereits in der Region Sicherheit gewähren. Auch solche Bereiche erfordern einen größeren Einsatz von Militär. Ischinger bringt zudem Flugverbotszonen ins Gespräch, um Assads Luftwaffe von Angriffen auf Zivilisten abzuhalten. Hier könnte die Bundeswehr, die im Irak bereits kurdische Peschmerga bewaffnet und ausbildet, vielfältig ins Spiel kommen: mit Flugabwehr, Logistik, Überwachungsdrohnen und Sanitätern zum Beispiel. Ungefährlich wäre auch ein solcher kompakterer Einsatz nicht.

(mic)
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