Analyse Bundeswehr wird zur Mission impossible

Berlin · Als die Bundeswehrreform 2011 auf den Weg gebracht wurde, konnte niemand die Herausforderungen des internationalen Krisenjahres 2014 erahnen. Nun stellt sich die Frage, ob nachgebessert werden muss.

Analyse: Bundeswehr wird zur Mission impossible
Foto: dpa, dan pzi

Die Reform der Bundeswehr ist beschlossene Sache, und das politische wie organisatorische Großprojekt ist seit 2011 in vollem Gange. Angesichts der jetzt bekannt gewordenen Ausrüstungsmängel beschleicht allerdings viele Experten und Soldaten ein ungutes Gefühl. Als die Reform auf den Weg gebracht wurde, waren die Erwartungen an die deutschen Streitkräfte noch andere als im Jahr der internationalen Krisen 2014. Ist die Bundeswehr gerüstet für ihre Aufgaben? Oder steht sie vor einer "Mission impossible" - einer unerfüllbaren Mission? Erste Stimmen fordern, dass bei der Reform nachgesteuert werden muss.

Anfang des Jahres hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die neue Marschrichtung für die Sicherheitspolitik vorgegeben: "Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option", sagte sie bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Danach war viel von der neuen Rolle und der neuen Verantwortung Deutschlands in der Welt zu hören. Die Vereinten Nationen und die Nato-Partner begrüßten die neue Bereitschaft der Deutschen, sich stärker als bisher für den Erhalt der Friedensordnung zu engagieren.

Doch ist die Bundeswehr auf die guten Vorsätze der Bundesregierung und die neuen Herausforderungen, die der Kampf gegen die Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS), die veränderte Sicherheitslage in Osteuropa und nicht zuletzt die Ebola-Seuche in Afrika bringen, zu wenig vorbereitet.

Der Transport von Ausbildern und Waffen für den Kampf gegen den IS verzögerte sich wegen defekter Flugzeuge. Auch eine "Transall-Maschine", die Hilfsgüter in die westafrikanischen Ebola-Gebiete bringen sollte, blieb liegen. Jüngsten Meldungen zufolge ist die Bundeswehr auch personell überlastet. Seit Anfang 2013 ist eine Raketenabwehr-Einheit der Bundeswehr im Rahmen eines Nato-Einsatzes an der türkisch-syrischen Grenze stationiert. Weil die Einheit so knapp besetzt ist, konnte bei jedem vierten Soldat die Karenzzeit von 20 Monaten nach einem Einsatz nicht eingehalten werden.

"Die Neuausrichtung der Bundeswehr hat den Schwerpunkt auf Stabilisierungseinsätze wie Afghanistan und Mali gelegt. Jetzt muss sich die Bundeswehr aber auch wieder stärker für den Fall der Bündnisverteidigung rüsten", sagt der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner. "Für beides gleichzeitig ist die Bundeswehr nur noch unzureichend ausgestattet", meint Wüstner, dessen Verband die Interessen von rund 200.000 Angehörigen der Bundeswehr vertritt. Um die Reform ins Ziel zu führen und dabei weiter Stabilisierungseinsätze durchzuführen, müsse der Wehretat um mindestens zwei Milliarden Euro auf 35 Milliarden Euro aufgestockt werden, meint Wüstner. Die Reform zu stoppen, wäre "ein Wahnsinn", wohl aber müsse jetzt nachgesteuert werden: "Diese Bundesregierung muss jetzt einen glaubwürdigen Fahrplan entwickeln, wie wir aus der Mangelverwaltung wieder herauskommen." Es habe während des Nato-Gipfels einen "sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel" gegeben, indem auch Deutschland Grundsatzbeschlüsse mitgetragen und sich künftig zu mehr Verantwortung verpflichtet habe. "Das muss sich jetzt auch in der Ausstattung der Bundeswehr niederschlagen."

Als de Maizière sein Konzept für die neue Bundeswehr im Mai 2011 vorstellte, herrschte Erleichterung im politischen Berlin darüber, dass das schwierige wie unpopuläre Projekt endlich angegangen wird. De Maizière gilt als besonnener Macher, der die Dinge gründlich erledigt. Sein Vorgänger, der über seine abgeschriebene Doktorarbeit gestolperte CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, hatte gerade erst die Abschaffung der Wehrpflicht durchgesetzt und sich mit den Worten aus dem Amt verabschiedet, er hinterlasse "ein bestelltes Haus". Schon unter de Maizière zeigte sich allerdings, dass dem nicht so war und bei der Bundeswehr viel im Argen liegt. Überraschend geräuschlos gelang de Maizière damals dennoch der Aufschlag zur Reform.

Die 2010 noch 250 000 Soldaten starke Armee soll auf 170 000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie bis zu 15 000 freiwillig Wehrdienstleistende schrumpfen. Mehr als 30 Bundeswehrstandorte werden im Zuge der Reform geschlossen. Schlanker, kostengünstiger und effizienter soll die Bundeswehr werden. Doch de Maizière entschied sich damals auch für das Prinzip "Breite statt Tiefe": Weiterhin sollte die kleinere Armee alle Fähigkeiten einer modernen Streitmacht vorhalten. Gleichzeitig sind Milliarden-Kürzungen bei Rüstungsprojekten vorgesehen. "Es gibt den Anspruch, alles weiter tun zu können, aber mit weniger Personal und weniger Geld", kritisiert der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold. Das seien strukturelle Vorgaben, die "nicht funktionieren". Arnold bemängelt, dass insbesondere der technische Dienst überproportional geschrumpft sei.

Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner sagt: "So, wie die Reform angelegt ist, kann sie nun nicht weitergehen." Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen müsse "Zahlen vorlegen, wie hoch der Bedarf beim Materialerhalt der Bundeswehr wirklich ist". Die Armee braucht aus seiner Sicht nicht mehr Geld, sondern müsse ihre "Managementprobleme" lösen.

Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Schockenhoff, sieht keinen Anlass dafür, bei der Bundeswehrreform das Ruder herumzureißen. Für die laufenden Einsätze im Ausland sei die Bundeswehr gut aufgestellt. Defizite im Material sieht Schockenhoff "bei den unvorhergesehenen Anforderungen". Bis Dezember habe von der Leyen noch Zeit, heißt es in der SPD. "Dann muss sie wissen, wie die Probleme zu lösen sind."

(qua / rl)
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